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Rein kirchlich oder apostolisch?

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Die katholische Pre.sse in Frankreich hat seit 1945 wachsende Erfolge zu verzeichnen. Eine zahlenmäßige Einschätzung ist schwierig. Man spricht von 3 500 Titeln, aber da wären natürlich auch sämtliche Mitteilungsblätter der Diö zesen und Pfarrgemeinden mitgerechnet Weit-

aus der größte Teil der katholischen Presse Frankreichs besteht aus Wochenblättern. Was die Auflageziffern betrifft, so erscheint die große Pariser Tageszeitung „La Croix“, die überhaupt als eines der besten französischen Tagesblätter gilt, in 160.000 Exemplaren; sicherlich

eine schöne Zahl für eine Publikation dieser Art, aber doch nur ein geringer Bruchteil der Gesamtauflage der großen französischen Tagespresse. Die zwei tragenden Säulen der katholischen Presse sind der altbekannte „Pelerin“ und die noch jugendliche „Vie Catholique", die mit je ungefähr 600.000 Exemplaren herauskommen. „Panorama Chretien“, eine erst seit heuer erscheinende, 132 Seiten starke, illustrierte Monatsschrift, hat bereits eine Auflage von 250.000. Auch gewisse, der Action catholique besonders auf dem flachen Land angeschlossdne Bewegungen geben Blätter heraus, deren Auflagen nicht unbeträchtlich sind. Zwei Wochenzeitungen, die sehr bestimmte Meinungen vertreten, „Te- moignage Chretien" und „La France Catholique“, von denen die erstere, um einen deutlichen, wenn auch unzulänglichen Ausdruck zu gebrauchen, „links“ und die andere „rechts“ steht, erreichen je etwa 120.000. Die Gesamtauflagenziffer der katholischen Wochenblätter von regionaler Bedeutung bewegt sich um 1,400.000.

Die eigentliche Stärke der katholischen Pressą liegt jedoch weniger in der Höhe flfߥ°Äuf4 lagen, die schließlich kalini zwölf Prozent den gesamten französischen Presse ausmacht, als vielmehr in ihrer Vielfältigkeit. Man findet da die verschiedensten redaktionellen Eigenarten ebenso wie die unterschiedlichsten ideologischen Positionen. Die katholischen Blätter, das heißt jene, die sich ausdrücklich auf die Lehre der Kirche berufen und sich bemühen, sie zu verwirklichen, zeigen alle Variationen zwischen sozialem Konservativismus und mehr oder weniger virulentem Antikapitalismus. Manche sehen darin eine Verzettelung der Kräfte, andere hingegen einen Reichtum und sozusagen ein Spiegelbild der Mannigfaltigkeit des französischen Katholizismus selbst.

Man darf nicht glauben, daß diese Presse einen sehr politischen Charakter trägt. Vor fünfzig Jahren war das noch der Fall, aber an die Stelle der mit bestimmten politischen Positionen verknüpften Kampfblätter sind weithin Blätter des Bekenntnisses getreten, die den katholischen Standpunkt mit viel größerer Unabhängigkeit als seinerzeit ausdrücken. Was heute die französischen Katholiken beschäftigt, ist nicht mehr sosehr die Verteidignug ihrer spezifischen Interessen, die ja im großen und ganzen anerkannt sind — allerdings mit ernsten Ausnahmen, wie z. B. das Schulproblem —, als vielmehr die ihnen in den letzten Jahren zu Bewußtsein gekommene erschütternde Tatsache der weitgehenden Entchristlichung ihres Landes. Daher geht es ihnen jetzt weniger um die Ueberwindung offener Gegner, als darum, die Gleichgültigen zu bekehren und die eingeschläferten Gewissen zu neuem Leben zu erwecken.

Mehr und mehr spricht man vom Apostolat der öffentlichen Meinung und vom Einsatz der katholischen Presse als Mittel der Missionierung. Im Zuge der großen regionalen Missionen, denen die Aufgabe gestellt ist, den Glauben in ganzen Städten neu zu beleben, werden einzelne katholische Zeitungen häufig dazu verwendet, das geistige Klima vorzubereiten oder dann die erzielten Erfolge zu festigen und auszuweiten. Im übrigen gibt es jetzt in der Mehrzahl der Pfarrgemeinden sogenannte Pressekomitees, das heißt kleine Gruppen von Aktivisten, die es übernommen haben, die katholischen Blätter nicht bloß an den Kirchentüren, sondern auch in den Häusern, ja systematisch von Wohnung zu Wohnung zu verkaufen; den Lauen und den Ungläubigen ebenso wie den Gläubigen Dank der aufopfernden Arbeit dieser rund 30.000 „Militanten der Presse“ dringt die katholische

Presse wieder in jene unübersehbar weiten Kreise ein, in denen sie wirken sollte, die ihr aber, nicht zuletzt wegen mangelnder Verbrei- tüngstechnik wie einer gewissen Tendenz, sich in ihrer eigenen Sphäre abzuschließen, früher unerreichbar waren. Immer zahlreicher werden die Studientagungen, Regionalkongresse, Ausstellungen und sonstige Veranstaltungen, die der Förderung der katholischen Presse gewidmet sind. Demselben Zweck diente die Bestellung einer bischöflichen Informationskommission, der Kardinal F e 11 i n persönlich präsidiert. Doch zugleich und gerade dadurch sind Probleme entstanden, die zur Zeit den Gegenstand lebhafter Diskussionen im katholischen Lager bilden.

Der Ausgangspunkt dieser Diskussionen ist einfach der: Welches sind die Zeitungen, deren Verbreitung man mit den genannten Mitteln betreiben könnte und sollte? Da die französische katholische Presse in der Regel von Laien geleitet wird, kommt es über diese Frage nicht selten zu Konflikten, was unter anderem dazu führen kann, daß das eine oder andere Blatt in der einen Pfarrgemeinde eifrig verbreitet, in der nächsten aber zum Vertrieb durch das Presse-

komitee nicht zugelassen wird. Es ist naturgemäß eben doch so, daß der gesamte Inhalt einer im Wege des pfarramtlichen Pressekomitees verkauften Zeitung als kirchlich approbiert gilt, auch wenn die Redaktion gar nicht behauptet, in allen ihren Meinungsäuße-

rungen zu weltlichen Dingen den Standpunkt der Kirche wiederzugeben. Angesichts dieser Situation haben die einzelnen Bischöfe nicht immer eine identische Haltung eingenommen, doch soll nach den von ihnen ausgegebenen allgemeinen Richtlinien kein katholisches Blatt von der Verbreitung ausgeschlossen werden, um auch auf diese Weise zu zeigen, daß die Kirche sich keine der in der katholischen Presse auftretenden Tendenzen zu eigen macht, sondern ihnen allen, innerhalb der zulässigen Grenzen, den gleichen Spielraum gewährt.

Damit ist den praktischen Notwendigkeiten des Tages Rechnung getragen, aber die grundsätzliche Frage harrt noch immer der Lösung. Sind als katholische Blätter nur jene zu bezeichnen, die allen weltlichen Problemen aus dem Wege gehen und sich darauf beschränken, die Lehren der Kirche zu wiederholen? Aber ist das nicht eigentlich gleichbedeutend mit einer Flucht vor Verantwortung? Hat eine Zeitung nicht die Pflicht, dem Leser zu helfen, sich eine eigene Meinung zu bilden? Oder sind, im Gegenteil, der katholischen Presse in erster Linie die Blätter zuzuzählen, die ihren Zweck unstreitig vor allem darin sehen, die christliche Botschaft zu verkünden, zugleich aber sich bemühen, die Anwendung dieser Botschaft auf soziale, familienrechtliche, wirtschaftliche, kulturelle Probleme und sogar Probleme der Politik, im allgemeinen Sinn dieses Wortes, aufzuzeigen? In welchem Fall allerdings auch die Gefahr zu bedenken ist, daß eine Art von Vertrauensmißbrauch eintreten könnte, indem die christliche Botschaft zur Begründung von Stellungnahmen oder Verpflichtungen herangezogen wird, die nicht unbedingt aus ihr zu folgern sind.

Damit sind die zwei Auffassungen, die sich im katholischen Frankreich heute gegenüberstehen, gekennzeichnet. Die erste entspringt einer gerechtfertigten Sorge der Klugheit, doch ist nicht zu leugnen, daß allzu viele katholische Zeitungen der Meinung sind, ihre Mission erfüllt zu haben, wenn sie offizielle Texte zitieren und kirchliche Zeremonien beschreiben. Es ist nicht unangebracht, Sie daran zu erinnern, daß Prozessionen kein Ersatz für das Evangelium sind. Die zweite Auffassung ist die aktivere und zweifellos wirksamere, aber sie führt unmittelbar auf ein heikles und nicht ungefährliches Terrain. Wo beginnt die Domäne der freien, persönlichen Entscheidung und wo endet der Bereich der strikten und konkreten Anwendung der kirchlichen Lehre? Wo beginnt die freie Wahl rein politischer oder rein technischer Wege? Wo verstummt der Ruf der Kirche zu bürgerlichen-Verpflichtungen und zu sozialer oder svirtsiha'ftliehdn Reformen?-1 •

Jede der beiden Auffassungen entspricht unbestreitbaren Forderungen und Bedürfnissen. Die katholische Presse oszilliert sozusagen zwischen ihnen. Theoretisch und definitiv ist die gegebene Spannung kaum zu lösen; sie wird immer wieder durch ein praktisches Kompromiß überbrückt werden müssen. Aber im Grunde genommen ist der Meinungsstreit zwischen dem katholischen Journalisten und dem, der katholische Blätter verbreiten will, nur ein Ausdruck der Kontroverse, die jeder Katholik in sich selbst austragen muß: Wie ist die Lehre der Kirche von Fall zu Fall so genau als möglich anzuwenden, ohne sie durch Entscheidungen zu kompromittieren, die der einzelne selbst treffen darf? Oder auch: Wie kann die Reinheit der Botschaft vollkommen gewahrt werden, ohne Verzicht darauf, sie in zeitlichen Dingen ins Praktische zu übersetzen?

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