"Relevante Parallelen zum Fall Golan"

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Es wird zunehmend schwierig, sich an die UN-Regeln für Friedenserhaltung zu halten. Besonders dort, wo mehrere verschiedene Kriege stattfinden, inklusive Terroristen wie ISIS.

Das Kernproblem ist, dass UN-Truppen in Kriegsgebiete geschickt werden, in denen es keinen Frieden zu sichern gibt.(Nevenka Tromp-Vrkic)

Nevenka Tromp-Vrkic doziert Osteuropa-Wissenschaften an der Universität von Amsterdam (UvA). Sie war als Mitarbeiterin des NIOD-Instituts am Srebrenica-Report beteiligt. Später arbeitete sie als Forscherin für die Anklage des Jugoslawien-Tribunals.

Die Furche: Wie sehen Sie die Verantwortung der niederländischen Blauhelme für Srebrenica?

Nevenka Tromp-Vrkic: Natürlich können die Dutchbat-Mitglieder nicht für genozidale Absichten zur Rechenschaft gezogen werden. Doch es gibt die Konvention zur Verhütung und Bestrafung von Völkermord, die für alle UN-Mitglieder bindend ist. Hier liegt ein Teil der Verantwortung der Niederlande, aber auch der anderen beteiligten UN-Mitglieder, vor allem der vier westlichen Mächte USA, Großbritannien, Frankreich und Kanada. Sie waren nachrichtendienstlich in der Region stark vertreten, hatten Satellitenbilder und Möglichkeiten, die Kommunikation zwischen allen wichtigen politischen und militärischen Führern abzufangen -vor, während und nach dem Fall von Srebrenica. Die Niederländer hatten das nicht und waren darum von ihnen abhängig. Persönlich denke ich nicht, dass dies ihre Verantwortung abschwächt.

Die Furche: Welche Erkenntnis hätte man so gewinnen müssen?

Tromp-Vrkic: Mindestens seit Juni 1995 gab es keinen Zweifel, dass die Internationale Gemeinschaft die Strategie eines "Austauschs von Territorien" unterstützte, wobei die östlichen Enklaven mit einer muslimischen Mehrheit, darunter Srebrenica, Cepa und Gorazde, von Serben übernommen und Teil der Republika Srpska würden, im Austausch für Sarajevo und West-Bosnien. Das beinhaltete auch von Serben gehaltene Territorien in Kroatien, die zurück an Kroatien gegeben würden. Die Tatsache, dass die niederländische Regierung es nicht wusste, oder schlimmer noch, sie wusste es und stellte Dutchbat politisch relevante Informationen nicht zur Verfügung, ist von großer Bedeutung.

Die Furche: Es gab einige Gerichtsprozesse, welche die Mit-Schuld der Blauhelme bestätigten. Wie sehen Sie das?

Tromp-Vrkic: Für die Niederlande denke ich nicht, dass die Reparationen, die sie den Opferfamilien zahlen mussten, wichtig sind. Vielmehr geht es um ein politisches und historisches Label, das für immer an ihnen haften bleibt. Das Gericht hat richtig entschieden, aber ich habe ein kleines Problem mit der Tatsache, dass bislang nur der niederländische Staat verantwortlich für den Genozid in Srebrenica erklärt wurde. Serbien aber, das in Bosnien und Herzegovina direkt und indirekt in Genozid verwickelt war, wurde nicht schuldig gesprochen. Für Generationen, die dies in 50 Jahren in einer Enzyklopädie lesen, könnte das eine verzerrte Geschichte des Genozids bedeuten.

Die Furche: "Srebrenica" gehört zum historischen "Kanon der Niederlande" - was sagt das aus?

Tromp-Vrkic: "Srebrenica" hat tiefgreifende Konsequenzen für das Image des niederländischen Militärs. Es ist nötig zurückzuschauen, zu analysieren und Lehren zu ziehen. Die Niederländer senden noch immer Truppen auf UN-Friedensmissionen. Das bedeutet, dass sie an Verbesserungen arbeiten können, basierend auf Erfahrungen und Fehlern der Vergangenheit.

Die Furche: Wie schätzen Sie die Auswirkung von "Srebrenica" auf die niederländische Gesellschaft und Politik ein?

Tromp-Vrkic: Die politische Folge war der Fall der Regierung Kok nach dem NIOD-Report 2002. Kok fühlte die Tragödie von Srebrenica sehr persönlich. Dann gab es ein erfolgreiches Theaterstück und Dokumentationen, zuletzt die des TV- und Radio-Journalisten Huub Jaspers: eine exzellente Rekonstruktion der Srebrenica-Tragödie, für die er sowohl NIOD-als auch ICTY-Material benutzte und mit neuen Dokumenten aus Washington abglich. Jaspers wurde ausgezeichnet, aber seine Befunde haben ihren Weg noch nicht ins Mainstream-Narrativ gefunden.

Die Furche: Sehen Sie eine Parallele mit dem Golan-Fall der österreichischen UN-Soldaten?

Tromp-Vrkic: Es gibt relevante Parallelen. Zunächst wegen der Abhängigkeit von den Nachrichtendiensten anderer UN-Mitgliedsstaaten, die nicht immer mit den jeweiligen Truppen geteilt wurden. Die UN haben keinen eigenen Nachrichten-Dienst und hängen von ihren Mitgliedsstaaten ab. Und dann ist da das Kernproblem der Friedenssicherung, dass UN-Truppen in Kriegsgebiete geschickt werden, in denen es keinen Frieden zu sichern gibt. Friedenssoldaten sind leicht bewaffnet und dürfen nur zur Selbstverteidigung schießen. Die UN ermöglichen Friedenssicherung und humanitäre Hilfe, aber keine Friedens-Durchsetzung.

Die Furche: Wie sehen Sie die zukünftigen Kapazitäten von Friedensmissionen ?

Tromp-Vrkic: Die Risiken für Friedenssicherer auf ihren Missionen nehmen zu, weil sich die Kriegsführung verändert. Daher wird es zunehmend schwierig, sich an die UN-Regeln für Friedenserhaltung zu halten. Besonders dort, wo mehrere verschiedene Kriege stattfinden, inklusive Terroristen wie ISIS. Die Zukunft der Stationierung multilateraler Truppen braucht einen neuen Anlauf um Friedens-Durchsetzung möglich zu machen.

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