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Riesen und Zwerge

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Die heuer in Frankfurt stattfindende internationale Automobilausstellung wirft bereits ihre Schatten voraus. Besonders die deutsche Automobilindustrie unterwirft sich dem Gebot der Stunde. So kamen in der letzten Zeit einige repräsentative Automobilfabriken mit neuen oder zumindest verbesserten Modellen schon jetzt heraus. Der Grund, warum die Werke damit nicht bis zur Ausstellung selbst zuwarten, dürfte nicht darin, daß sie den zuständigen nationalen Salon negieren oder gar diffamieren wollen, sondern in sehr realen Erwägungen zu suchen sein. Dadurch, daß man bereits jetzt die neuerschienenen Fahrzeuge der Oeffentlichkeit vorstellt, ist es möglich, den einzelnen Typen eine größere Beachtung in der Presse und damit Oeffentlichkeit zu sichern, als wenn die Neuheiten erst zu Ausstellungsbeginn gezeigt würden. Allein platz- und raummäßig würden sie von der Berichterstattung der einzelnen Blätter wesentlich unaufmerksamer als jetzt, einige Wochen oder Monate vorher, bedacht' werden.

Die meiste Beachtung fanden in letzter Zeit zweifellos die neuen Mercedes-Typen. In Fachkreisen war man sich wohl darüber im klaren, daß Mercedes in absehbarer Zeit mit Neuem auf den Markt zu kommen gedenkt. Wie das so üblich ist, wurden natürlich Vermutungen nach allen möglichen Richtungen angestellt, und hier teilten sich die Auffassungen in zwei Lager: Der eine Teil neigte zu der Annahme, daß ein konservatives Werk wie Daimler-Benz grundsätzlich „bei der Linie bleiben“ und Veränderungen nur in der Weise vornehmen werde, daß der optische Eindruck des Mercedes erhalten bleibt, was gleichbedeutend mit relativ wenig Aenderungen gewesen wäre. Die andere Gruppe war der Auffassung, daß Daimler-Benz nun allmählich in der Formgebung auch der Pkw. (Tourenwagen) an die ebenfalls bereits sehr populäre und typisch gewordene Mercedes-Form der Sportwagen, wie des 300 oder 190 SL, überschwenken würden. Das hätte bedeutet, daß man von der seit Entstehen der Mercedes-Wagen typischen Kühlerform zu der breitgezogenen Sportwagenschnauze hätte übergehen müssen, was natürlich auch mit einer wesentlichen Formveränderung der Fahrzeuge Hand in Hand gegangen wäre. Nun, die erste Gruppe hat recht, behalten: Mercedes blieb Mercedes auch in der optischen Gestaltung, wenn man auch wesentlich modernisierte.

Die Linienführung vor allen Dingen der Sechszylindertypen ist etwas härter geworden, und es läßt sich hier wohl ein Anklang an italienische Vorbilder erkennen, ohne daß man sie jedoch sklavisch aufgedeutscht hätte. Der Kühler ist breiter geworden, die Scheinwerfer wurden umgestaltet und das Heck zeigt eine leichte Andeutung von Schwanzflossen. Das Werk hebt hervor, daß aber auch die Fahreigen- schaften der drei Sechszylindertypen entscheidend verbessert wurden. An sonstigen Verbesserungen weisen der 220 (an Stelle des bisherigen 219), 220 S und 220 SE einen neuen gleichen Radstand — abgesehen von der neuen gleichen Karosserie mit denselben Außen- und Innenabmessungen — auf. Sie unterscheiden Sich untereinander ausschließlich in Fahrleistung und Ausstattung. So ist der neue Typ 220 mit seinen 95 PS bei 4800 U/min der fahrsichere, zuverlässige, schnelle und bequeme Reisewagen mit sehr guter Ausstattung, während der neue Typ 220 S mit seinen 110 PS bei 5000 U/min das exklusive, lebendige, komfortabel ausgestattete Fahrzeug darstellt. Der 220 SE mit 120 PS bei 4800 U/min entspricht in seiner Ausstattung zwar dem 220 S, ist aber durch die gesteigerte Motorelastizität, die ihm der Einspritzmotor verleiht, der fahrsichere Reisewagen mit der interessanten und sportlichen Note.

Mit Verbesserungen und Neuerungen wurden aber auch die im Preis unveränderten Vierzylindertypen 180, 190, 180 D und 190 D ausgestattet. Die niedrigere, breitere Kühlermaske, die verstärkten, glatten Stoßstangen und die kombinierten Schlußleuchten vermitteln einen neuen optischen Eindruck. Die Innenausstattung wurde um eine Scheibenwaschanlage, ein Lenkrad mit tiefliegender, großflächig gepolsterter Nabe, Polsterwülsten am Armaturenbrett, Turbobremstrommeln vorn, abschließbares rechtes und linkes vorderes Türschloß und für die 180er- Typen nun auch eine Lichthupe bereichert. Die Motorleistung des 180er ist auf 68 PS bei 4400 U/min, die des 190er auf 80 PS bei 4800 U/min erhöht worden, während die Leistungen der Dieseltypen gleich blieben.

Daimler-Benz waren sichtlich bestrebt, ein Typenprogramm zu erstellen, das höchsten Anforderungen bezüglich Fahrkomfort ebenso wie der Leistung entspricht. Nach wie vor ist man bei dieser Firma bemüht, Fahrzeuge auf den Markt zu bringen, die der Mode nicht sklavisch Unterliegen, wenn auch im Zuge der Weiterentwicklung immer wieder Zugeständnisse an sie gemacht werden.

Neben der neuen viertürigen Version des „Rekord“ bringt Opel einen neukarossierten „Kapitän“ heraus. Auch hier ist das Werk seiner prinzipiellen Linienführung einigermaßen treu geblieben und hat zeitgemäße stilistische Korrekturen vorgenommen. Das Werk betont, daß die Karosserieform nunmehr eine gewisse moderne Eigenwilligkeit zeige, sich in vielen Punkten von der in der Nachkriegszeit üblichen Weichheit der Linienführung absetze und nunmehr eine kraftvoll betonte Horizontale und wirksame, prägnante Konturen zeige. Der Wagen wirkt denn auch langgestreckt und breiter, obwohl er nur um 65 mm länger geworden ist. Die über die ganze Wagenbreite in die Seiten laufende Vollsicht-Panorama-Windschutzscheibe geht mit ihrer Oberkante etwa 20 mm tiefer in das Dach hinein, wodurch sich eine Sichtwinkelvergrößerung ergibt. Auch die Heckscheibe erfuhr eine Vergrößerung, so daß die Rundumsicht eine bessere geworden ist. Veränderungen am Armaturenbrett geben dem Fahrzeug auch innen eine neue Note.

Der Motor des „Kapitän“ wurde auf 2,6 Liter erhöht, wodurch die Leistung auf 90 PS gebracht wurde. Die Bremsen wurden durch Vergrößerung der Bremstrommeln und -backen dieser Leistungssteigerung angeglichen.

Interessanterweise gibt das Werk weiterhin bekannt, daß nunmehr auch ein kleiner Opel mit 1200 ccm auf den Markt gelangen werde, den man allerdings erst auf der Frankfurter Automobilausstellung der Oeffentlichkeit präsentieren wolle.

Zwei neue englische Typen, die, genau genommen, ein und dieselbe Konstruktion darstellen — nur das Kühlergitter weist Verschiedenheit auf —, stellen der neue Morris 8 5 0 sowie der kleine Austin 850 ccm dar, zwei Kleinstwagen, die einem den Jahrmarktwitz einfallen lassen, den einst ein Schaubudenbesitzer mit großem Stimmaufwand dem staunenden Publikum vorführte, als er ihm den „größten Zwerg“ der Welt mit 1,80 m Größe Vorstellte.

Aehnlich ergeht es einem bei der Betrachtung dieser- beiden interessanten Kleinstwagen. War diese Kategorie bisher immer durch wirklich kleine Fahrzeuge mit maximal Zweizylindermaschinen und einer Leistung von etwa 13 bis 20 PS gekennzeichnet, so müssen wir nun zur Kenntnis nehmen, daß die Engländer eine völlig andere Vorstellung vom Kleinstwagen — oder sagen wir doch besser Kleinwagenbesitzer — haben. Die neue Konstruktion stellt ein Zwischenglied zwischen Kleinst- und Kleinwagen dar, wobei er raummäßig in mancher Beziehung bereits an sehr populäre und leicht absetzbare Mittelklassewagen heranreicht. Der Antrieb dieser beiden englischen Fahrzeuge erfolgt durch einen recht beachtlichen wassergekühlten 8 50-ccm-Viertakt-Vierzylinder-Ottomotor mit einer Leistung von 34 PS bei 5500 U/min, der aber aus Gründen der Platzersparnis quergestellt wurde und zusammen mit Getriebe und Differential zu einem Block vereinigt die Vorderräder treibt.

Bei einer kurzen Besichtigung dieser Fahrzeuge konnten wir feststellen, daß sie solide gebaut sind, und zwar nicht nur bezüglich der Maschine, sondern auch der Karosserie, Federung (Gummifederung) und aller anderen Aggregate. Der Grund, weshalb man sich m England zum Bau dieser kleinen Fahrzeuge entschloß, ist nicht ohne weiteres einzusehen, wenn man bedenkt, daß sowohl Austin als auch Morris ohnehin zwei kleine Typen erzeugen, und zwar den Austin S 35, der allerdings aufgelassen werden dürfte, und den größenähnlichen Morris 1000. Man ging hier einmal einen Weg, der im Automobilbau ansonsten nicht üblich ist. Man stieg von einer größeren Type — besonders was den Austin A 35 anbelangt — auf eine kleinere Type herunter und bietet damit eigentlich seinem eigenen Erzeugnis, in diesem Fall dem Morris 1000, eine gewisse Konkurrenz; denn der Preisunterschied zwischen dem Morris 850 und dem Morris 1000 ist eigentlich gering, während der Preis des Austin A 35 sich in gleicher Höhe bewegt. Die neue Type kostet 33.900 Schilling.

Die neue Konstruktion ist zweifellos so interessant, daß man mit Recht annehmen kann, auch dieses Fahrzeug werde seinen Weg machen. Wir haben iii Ermangelung 4fnes eingefährenen- - Wagens dieser Type bei der Wiener Generalvertretung zwar noch keine Probefahrt durchführen können, sind aber auf- Grund der Gesamtkonstruktion davon überzeugt, daß die Fahreigenschaften ausgezeichnet sind. Weiterhin können wir uns sehr gut vorstellen, daß diese beiden kleinen englischen Fahrzeuge einem Verkehrsbedürfnis entsprechen, das immer konkretere Formen annimmt. Er wird nicht nur dem Mann mit der nicht so dicken Brieftasche zusagen, sondern stellt auch den kleinen Wagen für den Stadtbetrieb dar. Eine Reihe von Kraftfahrern wird sich sicher gern dieses rasanten, seinen Ausmaßen nach jedoch günstigen Fahrzeuges auch als zweiten Wagens für die Stadt bedienen. Auf jeden Fall müssen die beiden neuen „Engländer" als ausgesprochen mutige und dadurch beachtliche Neuerscheinungen auf dem Automobilsektor gewertet werden.

Zur Illustration noch kurz einige Maße und Gewichte: Gesamtlänge 3048 mm, Gesamtbreite 1396 mm, Gesamthöhe 1333 mm. Spur vorn 1206 mm, Spur hinten 1164 mm, Wendekreis 9144 mm, Radstand 2132 mm, Gesamtgewicht mit Wasser und Oel 585 Kilogramm. Warmwasserheizung. Außer im Kofferraum stehen im ganzen Fahrzeug verteilt Gepäcksunterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung.

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