7122186-1996_41_16.jpg
Digital In Arbeit

Roma und Krishna gegen Allah

Werbung
Werbung
Werbung

Im August 1947 erfolgte die Teilung des indischen Subkontinents in das hindu-do-minierte Indien und das moslemische Pakistan. Das unabhängige Indien war von Reginn an multireligiös. Das zeigt auch die derzeitige Bevölkerungsstatistik: etwa 84 Prozent sind Hindus, zwölf bis 13 Prozent (rund 100 Millionen) sind Moslems. Dazu kommen etwa 20 Millionen Christen, 17 Millionen Sikhs und andere religiöse Minderheiten.

Laut Verfassung ist Indien eine säkulare demokratische Bepublik. Die Multireligiosität spielt aber in vielen Fällen in die Politik hinein. Deutlich wurde dies gleich nach der Unabhängigkeit in Kaschmir, wo mehr als drei Viertel der Bevölkerung Moslems sind. Dementsprechend treten moslemische Separatisten immer wieder für den Anschluß Kaschmirs an Pakistan ein, wobei der Konflikt Ende der achtziger und zu Beginn der neunziger Jahre erneut einen blutigen Höhepunkt erreicht hat, der mehrere tausend Tote gefordert hat.

Die Besetzung der Hazrat-Bal-Mo-schee in Srinagar im Herbst 1993 hat dabei Indien und Pakistan erneut an den Rand einer militärischen Auseinandersetzung geführt. Auch die Sikhs haben mit der indischen Unabhänreligion und politik bilden im heutigen Indien eine unheilige Allianz. Fanatische Religionsführer sorgen für Spannungen auf dem Subkontinent. gigkeit begonnen, sich als religiöse, kulturelle und politische Gemeinschaft zu verstehen, was die ideelle Rasis der Forderung eines eigenen Staates Khalistan darstellt.

Ab Beginn der achtziger Jahre begannen dabei extremistische Sikhs mit Terror gegen die Hindus im Pan-jab und gegen die Zentralregierung in Delhi. Die Erstürmung des Goldenen Tempels in Amritsar, des Hauptheiligtums der Sikhs, das den Extremisten als Hauptsitz diente, im Juni 1984 durch die indische Armee erweckte schließlich unter breiteren Sikh-Krei-sen den Eindruck, daß die Sikh-Beli-gion durch die Hindu-Mehrheit bedroht sei.

Die Ermordung Indira Gandhis am 31. Oktober 1984 durch ihre Sikh-Leibwächter war deutlicher Ausdruck des erstarkten Sikh-Widerstandes gegen die indische Politik, was in den folgenden Jahren zu mehreren tausend Toten geführt hat. Erst in den vergangenen drei Jahren ist es zu einer leichten Beruhigung der Lage gekommen.

Seit etwas mehr als einem Jahrzehnt ist ein weiterer Faktor deutlich spürbar, die sogenannte Hindutva-Bewegung. Hindutva bedeutet „Hindutum”, wobei die Proponenten der Hindutva betonen, daß derjenige ein Hindu ist, der Indien als heiliges Mutterland betrachtet, und die Hindu-Kultur als einziges Modell für die Gesellschaft ansieht. Dadurch wird die Idee einer Multikulturalität, die J. Nehm bei der säkularen Staatsgründung vertreten hat, abgelehnt und auf den gegen die Kolonialmacht England gerichteten Nationalismus des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts - und indirekt auch auf Ali Jin-nahs „Zwei-Staaten-Theorie” -zurückgegriffen. Auf organisatorischer Ebene werden die Aktivitäten der Hindutva von der BSS (Vishva Hindu Parishad: „Welt-Hindu-Versammlung”) und der BJP (Bharatiya

Janata Party: „Indische Volkspartei”) geleitet. Obwohl Hindutva ursprünglich ein kultureller (und politischer) Begriff ist, hat die Hindutva-Bewe-gung grundsätzliche Konsequenzen für das Zusammenleben der Religionen in Indien.

L. K. Advani, eine Galionsfigur der bei den Wahlen im Mai 1996 erfolgreichen RJP, spricht beispielsweise von moslemischen, christlichen oder sikhistischen Hindus, was von den Angehörigen dieser Religionen ausdrücklich abgelehnt wird.

Genauso problematisch ist der Anspruch der Vertreter der Hindutva, daß Indien das „heilige” Land sei, und daß derjenige, der dies nicht anerkenne, in Indien ein Ausländer ist. Bai Thackeray, ein populistischer

Führer der Shiv Sena, der „Arme Shi-vas”, fordert aufgrund dessen, daß die Moslems, soweit sie nicht moslemische Hindus werden, aus dem heiligen Land Indien vertrieben werden müßten. Solche Ansprüche, die nicht bloß kulturell, sondern zugleich religiös sind, können von indischen Moslems, Christen oder Juden nicht akzeptiert werden.

Negativer Höhepunkt war der 6. Dezember 1995, als fanatisierte Hindus die aus dem 16. Jahrhundert stammende Babri-Moschee in Ayodhya (U. P.) völlig zerstörten. Als Grund dieser Aktion gilt, daß an der Stelle der Moschee ursprünglich ein Bama-Tem-pel gestanden wäre, der den Geburtsort des Gottes Bama markiert hätte. Archäologisch und (religi-ons)historisch lassen sich dafür keinerlei stichhaltige Indizien beibringen. Auf die Zerstörung der Moschee folgten in ganz Indien Unruhen, die noch immer andauern. Im Umkreis der BSS und VHP wird etwa unverblümt davon gesprochen, daß es untragbar ist, wenn in Mathura, einem Zentrum der Verehrung des Gottes Krishna, oder in Kashi (so der von Vertretern der Hindutva bevorzugte traditionelle Hindu-Name für Varanasi) eine Moschee das Stadtbild entscheidend prägt.

AVar das traditionelle Indien durchaus fähig, mit Multireligiosität konfliktfrei zu leben, so werden heute religiöse Aktivitäten häufig für politische Ziele vereinnahmt. Wenn es gelingt, der säkularen Verfassung gemäß Beligion und Politik besser zu trennen, so wird ein traditioneller Leitgedanke der indischen Geschichte wieder zur Geltung kommen, daß nur jeder Staat gedeiht, dessen unterschiedliche Beligionen sich gemeinsam um das Wohl aller Wesen bemühen (siehe auch Beitrag von Gudmn Harrer „Zwischen Terror und Konversion” Seite 6).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung