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Rückkehr der Offiziere in Lateinamerika

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Lateinamerikas Uniformträger erleben heute - wie zuletzt in Haiti - ihre Götterdämmerung. Die Ausnahme ist Venezuela.

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Lateinamerikas Uniformträger erleben heute - wie zuletzt in Haiti - ihre Götterdämmerung. Die Ausnahme ist Venezuela.

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Ein Militärputsch ist heute in Lateinamerika kaum noch vorstellbar; nicht zuletzt, weil die USA solche Verfassungsbrüche nicht mehr tolerieren. Haiti hat diese Regel bestätigt. Nach drei Jahren Militärdiktatur (und sofort verhängtem scharfen Handelsembargo) wurde dieser Tage nach einer „weichen“, von der UNO abgesegneten Militärintervention der vertriebene gewählte Präsident Jean-Bertrand Aristide, ein Befreiungstheologe, wieder eingesetzt. Einigen Einfluß haben Offiziere nur noch in den am wenigsten entwickelten Ländern Lateinamerikas wie in Paraguay, Guatemala und Honduras.

Die wirkliche Ausnahme stellt heute jedoch Venezuela dar. Denn in Caracas gilt die militärische Intervention wieder als Option - allerdings in völlig neuer Form.

Venezuela wurde Anfang der neunziger Jahre vom Sozialdemokraten Carlos Perez - entgegen seinen Wahlversprechungen — abrupt in den neoliberalen Umbau getrieben. Gegen diesen „Ausverkauf“ rebellierten 1992 zweimal die jüngeren Offiziere, allerdings erfolglos wegen mangelhafter Planung. Oberst Hugo Chavez, der in tellektuelle Chef dieser „in- tentonas“, wanderte ins Gefängnis.

Im heurigen Feber übernahm der 78jährige dissiden- te Christdemokrat Rafael Caldera die Regierungsgeschäfte. Eines seiner Wahlversprechen wurde sofort umgesetzt: Chavez ging prompt frei - und widmet sich heute in Zivil der Politik. Der Putschist von 1992 ist heute das Atout von Präsident Caldera. Der Oberst, ein Rambo-Troupier, inspiriert von einer nationalistischen, an Simon Bolivar orientierten Bewegung („Movimiento Bolivariano“), rüstet jetzt heftig gegen den neoliberalen Umbau. Er erwartet von Präsident Caldera über eine Volksabstimmung das Auflösen des jetzigen Kongresses, wo Politiker der beiden Traditionsgroßparteien noch die Mehrheit haben: Ein ziviler „Calderazo“ soll die korrupte Oligarchie verjagen und einen „venezolanischen Gaullismus“ etablieren, der zur nationalistisch-etatistischen Tradition zurückkehrt.

Präsident Caldera nützt die Konjunktur, indem er umgeben von diesen rebellischen Offizieren auftritt und dabei die Notmaßnahmen verkündet, die heute Venezuela durcheinander schütteln (FURCHE 33/1994). Weil die traditionellen Parteipolitiker und Bankiers genug Beispiele für Korruption und Unfähigkeit lieferten, sind beide Akteure, der greise Präsident und der junge Oberst, bei den unteren Einkommensschichten ungemein populär. In Caracas braut sich in dieser Kombination von jungen Offizieren, Kleinbürgern, ehemaligen Linken und Intellektuellen ein starker Protest gegen den neoliberalen Umbau (der zwar die Staatsfinanzen in Ordnung bringt, aber die Zahl der Armen vergrößert) zusammen. Dieser Protest könnte für ganz Lateinamerika richtungsweisend werden.

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