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Rücknahme von alten Zusagen r

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Ungarns Bischöfe spekulieren über den Kirchenkurs der seit kurzem im Amt befindlichen Regierung Gyula Horns.

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Ungarns Bischöfe spekulieren über den Kirchenkurs der seit kurzem im Amt befindlichen Regierung Gyula Horns.

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Der Bischof von Szeged, Endre Gyulay, ein entschlossener Gegner des seinerzeitigen kommunistischen Regimes, ist besorgt über die Unterstützung, die die Ex-Kommunisten in der ungarischen Gesellschaft erfahren. In einem persönlichen Gespräch mit dem Bischof habe sich Gyula Horn, letzter Außenminister in einer kommunistischen Regierung, als überzeugter Atheist bezeichnet. Horn ist aber nicht der einzige aus der alten Garde. „Auch viele kleine Apparatschiks von damals, die wieder in den lokalen Behörden ihre Plätze einnehmen, könnten die Gesetze der demokratischen Ordnung in Ungarn je nach Lust und Laune auslegen. Das kann hie und da zur Einschränkung der Tätigkeit der Kirche führen“, macht sich Bischof Gyulay Sorgen.

„Die Befürchtungen des Bischofs von Szeged sind nicht ohne Begründung“, so der evangelische Pastor von Budapest und Parlamentsabgeordnete der Sozialistischen Partei, Donät Läszlo. „In der Regierung, in den jeweiligen Ministerien und in anderen wichtigen Institutionen, sowie im Parlament gibt es heute kaum Männer der Kirche. Zur Zeit der Regierung des verstorbenen Joz- sef Antall gab es zehn protestantische Pastoren und einen Rabbiner.“ Nicht nur Vertreter von Kleinkirchen, sondern vor allem Mitglieder des katholischen Klerus wurden von wichtigen Staatsposten entfernt, darunter der Benediktinerpater Richard Korszenski, der als Berater Antalls fungierte. Seit Juni ist Korszenski Pfarrer in Tihany am Plattensee.

Interessant scheint auch die Frage der weiteren staatlichen Subventionen für Ungarns Kirche(n). Nach den neuen ungarischen Gesetzen steht es jedem Bürger, der mindestens 100 Unterschriften gesammelt hat, frei, eine Kirche zu gründen und seine Meinung öffentlich zu verbreiten. Auf diese Weise werden praktisch alle „Glaubens“richtungen — wie zum Beispiel der Bund der Hexen, die Zeugen Jehovas, Hare Kri- schna, die Buddhisten, Satanisten und andere - der katholischen Kirche gleichgestellt und haben das Recht auf Subventionierung.

„Das ist eine verkappte Politik der Regierung mit dem Ziel der Schwächung der traditionellen Kirchen“, vermutet der Präsident der ungarischen Adventisten,

Jenö Szigedy - denn der Subventionskuchen, von dem alle bekommen, bleibt leich groß. In en vergangenen Jahren haben 80 Prozent der staatlichen Zuweisungen die römisch- katholische, die evangelische und die jüdische Glaubensgemeinschaft bekommen; der Rest verteilte sich auf kleine Glaubensgemeinschaften.

Darüber hinaus ist der Staat jedoch zu einer großzügigen Unterstützung der kirchlichen Einrichtungen nicht bereit und setzt auf die Selbstfinanzierung aller Glaubensgemeinschaften in Ungarn. Ein Wunsch, der ohne entsprechende Veränderung der Gesetze nicht in Erfüllung gehen kann. Denn bis heute werden alle Kirchen in Ungarn wie Unternehmen behandelt. Aber die Kirchen sind nicht auf Pro fit eingestellt und leiden unter diesem Gesetz. Offiziell werden sie vom Staat subventioniert, praktisch aber müssen sie dann einen Großteil wieder dem Staat als Steuer refundie- ren. Daher bemühen sich die Kirchen, als non profit Organisationen anerkannt zu werden!

ALTE FREUNDE VON DAMALS

Aber nicht alle Amtsinhaber der unarischen Kirche haben Angst vor en sogenannten Sozialisten. Viele freuen sich, wie zum Beispiel der griechisch-katholische Bischof Szi- lard Keresztes, alten Freunden von damals wieder begegnen zu können. Keresztes wurde von einer parlamentarischen Kommission, die gleich nach der Wende in Ungarn ihre Arbeit aufgenommen hat, als Kollaborateur mit den Kommunisten entlarvt. Doch noch immer steht er an der Spitze der griechisch- katholischen Kirche in Ungarn. Für ihn ist der jetzige Premierminister Horn der große Held, der 1989 die Grenze Ungarns für die Ostdeutschen geöffnet hat, und die Mitglieder der sogenannten Sozialistischen Partei Akteure, die zur Zeit des Kommunismus nach Auswegen aus der Sackgasse dieser Ideologie gesucht haben. Mit der Politik der jetzigen Regierung ist Bischof Keresztes zufrieden. Ein Signal für das Bemühen um gute Beziehungen zur Kirche ist seiner Meinung nach die Regierungsabsicht, die Rückgabe der kirchlichen Güter zu beschleunigen.

Doch diesbezügliche Zusagen haben sich bis jetzt als trügerisch erwiesen. Die neue sozialliberale Regierung hat die Rückgabe nicht beschleunigt, sondern erst einmal gestoppt - mit der Begründung, die früheren Politiker hätten diesen Prozeß unüberdacht und zu schnell vorangetrieben.

Aber nicht nur diese Beschlüsse der Vorgängerregierung werden jetzt in Frage gestellt. Auch vom Abkommen über die Finanzierung katholischer Privatschulen (20 Jahre lang sollten die Schulen pro Jahr vier Milliarden Forint an Zuschüssen erhalfen) will der jetzige Kultusminister Gabor Fodor nichts wissen. Gemäß seinen Anweisungen darf auch der Religionsunterricht nur mehr als Wahlfach angeboten und die Noten dürfen nicht ins Zeugnis eingetragen werden.

Diese Schritte der Horn-Regierung haben eine breite Diskussion in den ungarischen Medien ausgelöst. Vor kurzem veranstaltete das Buda- pester Kossuth-Radio ein Forum zu diesem Thema. Dabei diskutierten der evangelische Bischof und Präsident des Ökumenischen Bundes der Kirchen in Ungarn, Bela Harmadi, und die Staatssekretärin Maria Hon- ti die Frage der weiteren Finanzierung der kirchlichen Schulen. Honti verteidigte die neue Linie der Regierung und erklärte: „Es wäre ungerecht, eine fixe Zusage bezüglich der Subventionen für die kirchlichen Schulen auf 20 Jahre zu binden, wenn die Finanzierung der Schulen, die von den jeweiligen Gemeinden getragen wird, noch nicht geklärt ist. Wir müssen dafür sorgen, daß alle Kinder in Ungarn gleich behandelt werden.“ Auch der stellvertretende Leiter der Abteilung für Beziehungen zwischen Staat und Kirche, Läszlo Soloj, sieht in der bisherigen Regierungspolitik gegenüber der Kirche keinen Grund zur Beunruhigung. Seiner Meinung nach hat die alte Regierung entsprechende Gesetze erlassen und die neue will sie nur überprüfen. „Wenn die Ortsbehörden den Kirchen ihre Rechte verweigern würden, stünde ihnen noch das Recht zu, direkt mit der Regierung zu verhandeln.“

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