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Russen setzen auf Bewahrts

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In zwei, drei Wochen geht es um den weiteren Kurs Rußlands: Boris Jelzin oder Gennadi Sjuganow. Kann es eine Rückwärtswende geben?

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In zwei, drei Wochen geht es um den weiteren Kurs Rußlands: Boris Jelzin oder Gennadi Sjuganow. Kann es eine Rückwärtswende geben?

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Boris Jelzin ist 65, Gennadi Sjuganow 52. Was die beiden mehr trennt, das Alter oder die politischen Ziele, ist nicht leicht auszumachen. Nach der Präsidentschaftswahl vom vergangenen Sonntag trennen die beiden etwa 3,5 Prozentpunkte. Der erste russische Präsident (er war am 12. Juni 1991 gewählt worden, was das vielleicht wichtigste Signal und Ereignis für den endgültigen Zerfall der Sowjetunion im Dezember desselben Jahres war) konnte zwar die meisten Stimmen der zehn Kandidaten auf sich vereinen, blieb aber, wie erwartet, mit 35 Prozent weit unter der erforderlichen mehr als 50 Prozenthürde, um schon im ersten Wahlgang gewählt zu werden. Der Kommunist Sjuganow erreichte 31,5 Prozent - hat aber für den zweiten Wahlgang erheblich geringere Chancen als Jelzin.

Wer gibt mehr Sicherheit, wer schafft besser Ordnung in dem Riesenreich, waren die Fragen, die die Russen wirklich bewegten. Nationale Töne brachten da rein gar nichts, was wohl das äußerst schlechte Abschneiden des Chauvinisten Wladimir Schirinowskis mit sechs Prozent erklärt. Von Rundumschlägen und Drohungen gegen alles Nichtrussische kann sich kein Russe etwas abschneiden. Da setzt man lieber auf Rewährtes: Und dieses repräsentieren sowohl der zum Demokraten (natürlich unter dem Motto: Was Demokratie ist, bestimme ich) gewandelte Boris Jelzin als auch der Kommunist Sjuganow, der es im gegenwärtigen Rußland leicht hat, Demokratie als Mängelherrschaft zu bekämpfen.

Der Wahlkampf geriet zum bloßen Stimmenfang. Der eine, Jelzin, versprach, daran kam er offenbar nicht vorbei, um gewissen Kräften Wind aus den Segeln zu nehmen (was gelungen ist) nationale Stärke und sozialen Fortschritt; der andere setzte auf Bürgerrechte (hört, hört den Kommunisten!) und auf eine nicht näher definierte soziale Marktwirtschaft (Sjuganow).

Die Ähnlichkeit der Aussagen, deutet zumindest auf eines: daß beide erkannt haben, vor welchen Problemen Rußland heute steht. Aber eines der Probleme ist ein systemimmanentes: der Präsident hat eine gigantische Machtfülle und kann am Parlament vorbeiregieren. Bei einer Wahl des Kommunisten Sjuganow könnte sich diese Verfassung als Bumerang für die weitere Entwicklung Rußlands erweisen. Im „Spiegel” hat vorige Woche der russische Verfassungsgerichtspräsident Wladimir Tumanow die Befürchtung geäußert, daß ein Macht-

Wechsel auch eine neue Verfassung nach sich ziehen könnte.

Wird aber Jelzin wiedergewählt, dann nützt die ganze Machtfülle auch nur wenig, weil dieser russische Präsident über vieles, aber kaum über ein Wirtschaftsprogramm für das Land verfügt (das war immer seine Schwäche, schon zu einer Zeit, als er, der von Gorbatschow schwer Gekränkte sein „Bettungsbuch” für Rußland, „Aufzeichnungen eines Unbequemen”, vorstellte).

Immerhin steht Jelzin für Kontinuität in der kurzen „demokratischen” Phase der Russischen Föderation, während bei Sjuganow nicht auszumachen ist, ob er Schritte in die „große” Vergangenheit setzen wird. Wo Sjuganow wirklich steht, zeigt ein Bonmot aus seinem Mund: „Ich trinke ein bißchen weniger als Boris Ni-kolajewitsch (Jelzin) und ein bißchen mehr als Michail Sergejewitsch (Gorbatschow).”

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