Belgrad - © Foto: APA / AFP / Andrej Isakovic

Russland, China und EU: Politischer Einfluss in den Westbalkan-Staaten

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Wie sich Moskau und Peking mit wenig Aufwand politischen Einfluss in den Westbalkan-Staaten sichern – und wie die Europäische Union trotz bester Voraussetzungen daran scheitert. Auch jetzt in der Coronakrise.

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Wie sich Moskau und Peking mit wenig Aufwand politischen Einfluss in den Westbalkan-Staaten sichern – und wie die Europäische Union trotz bester Voraussetzungen daran scheitert. Auch jetzt in der Coronakrise.

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Wahre Freunde zeigen sich in der Not, heißt es doch. Jene sechs Staaten des Westbalkans (Serbien, Montenegro, Albanien, Kosovo, Bosnien und Herzegowina sowie Nordmazedonien), die seit Jahren auf die Aufnahme in die Europäische Union warten, sind von der Ausbreitung des Coronavirus besonders schwer getroffen. Derzeit gibt es laut WHO-Statistiken rund 60.000 Erkrankte in der 20-Millionen-Einwohner-Region, Tausende sind gestorben. Nach einer anfänglich beinahe ungehinderten Ausbreitung hat sich das Infektionsniveau etwa auf dem österreichischen Level eingependelt.

Ebenso dringend scheint also auch eine erfolgreiche Impfkampagne zu sein, wie auch EU-Politikern bewusst ist. Einigen zumindest. Ende Jänner drängte etwa der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell im Rahmen eines Treffens der Außenminister der Union auf rasche Hilfe bei den Impfungen für die sechs Westbalkanstaaten. Borrell ließ keinen Zweifel am Nutzen für die Union selbst: „Unsere Grenzen sind nicht sicher, falls wir unsere Unterstützung nicht auf unsere Nachbarn ausweiten.“ Doch die Reaktion fiel, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete, eindeutig aus: Borrell „blickte in stumme Gesichter“.

Solidarität abgesagt

Während sich die EU-Staaten in einem Rennen um die Impfung Millionen Impfdosen für die eigene Bevölkerung sichern, endet die Solidarität für Resteuropäer 500 Kilometer südlich von Wien abrupt. Das Verstörende daran ist, dass die Union im Vorjahr noch ganz anderes versprochen hatte. Nach einem EU-Westbalkan-Gipfeltreffen am 6. Mai hatte sich der Rat der Mitgliedsstaaten damit gebrüstet, die EU öffne den Westbalkan-Staaten „exklusiven Zugang zu EU-Instrumenten und medizinischer Ausrüstung“.

Nun mag es zwar sein, dass Impfdosen nicht zu „medizinischer Ausrüstung“ zählen, aber in den Augen der Betroffenen muss der Eindruck einer Brüsseler Augenauswischerei hängenbleiben. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić fasste das so zusammen: Die EU sei „moralisch inakzeptabel“. Vučić geht solche Kritik allerdings auch leicht von den Lippen, da er längst seit seiner Machtübernahme in Belgrad 2013 ganz andere Allianzen für sein Land sucht und preist: jene mit Russland und jene mit China. Nicht zu erwarten war aber, dass gerade die Coronakrise ihm da seinen wohl größten Erfolg bescheren würde.

Den Kampf um die Wirtschaft in den Balkanstaaten mag die EU vielleicht gewinnen. Der Kampf um das Wohlwollen der Bürger ist verloren.

Denn die Freunde Serbiens in Moskau und Peking sind mit Unterstützung großzügig. Peking hat bereits eine Million Impfdosen des Sinopharm-Serums geliefert, Russlands Sputnik V wird ebenfalls bereits breit in Serbien verimpft. Für Russland nicht der einzige Erfolg in der Region: Nun sind auch Bosnien und Nordmazedonien in Verhandlungen mit Moskau getreten. Allein Albanien schätzte sich glücklich, eine Lieferung aus der EU zu bekommen. Doch geliefert wurden letztlich nur 10.000 Einheiten von Pfizer. Die Enttäuschung in Tirana war entsprechend.

Die Pandemie ist bei weitem nicht das einzige Feld, auf dem die Russen und Chinesen ihren Einfluss auf die sechs Staaten des Balkans ausdehnen. Beide Regime sind freigiebigst bei der Vergabe von Kreditlinien und Joint Ventures. Russland tut sich da schon seit den neunziger Jahren hervor. Allerdings wurden die Beziehungen zu Vučić, der Wladimir Putin als „lieben Freund“ bezeichnen darf, inniger, als dem Westen und der EU lieb ist. Nicht nur liefert Russland Kampfflugzeuge und Militärtransporter an Belgrad. Laut Konrad-Adenauer-Stiftung war auch ein Spionagezentrum unter den russischen Gaben, untergebracht in den Räumlichkeiten des „Russisch-Serbischen Humanitären Zentrums“ im südserbischen Nis. Dort sollen angeblich russische Desinformationskampagnen in der Region koordiniert werden.

Sergej Narishkin, Putins Auslandsgeheimdienstchef, ist einer der regelmäßigen Gesprächspartner des serbischen Präsidenten. Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin macht sich diese Kommunikationsarbeit besonders bezahlt. Er nimmt in Umfragen stets den Platz des beliebtesten ausländischen Staatsoberhauptes in Serbien ein. Auf wirtschaftlicher Ebene sind Bosnien, Serbien und Montenegro bereits von russischen Gaslieferungen abhängig. Sie spielen als Transitländer für Turkstream und South Stream ein große Rolle. In diesem Sinn wird der Westbalkan das künftige Einfallstor für russische Gaslieferungen nach Europa.

Die russische Gazprom hat bereits den serbischen staatlichen Ölkonzern übernommen, und auch die russischen Banken sind laut einer Studie des „European Council on Foreign Relations“ (ECFR) breit in Belgrad vertreten. In Bosnien unterstützt Russland unverhohlen die sezessionsbereiten Radikalen der Republika Srpska und trägt damit massiv zum politischen Stillstand des Landes bei.

Wichtige Scheinwichtigkeiten

Die politische Wirkung Russlands auf dem Westbalkan entspricht übrigens nicht annähernd seiner tatsächlichen Stellung als Wirtschaftspartner. Moskau ist für gerade 4,8 Prozent des Handelsvolumens der Region verantwortlich, ein zwergenhaftes Engagement verglichen mit der EU (73 Prozent). Ganz ähnlich effizient ist das Engagement Chinas in der Region. Auch hier lautet das Motto: Man gibt ein wenig Wirtschaft für viel politischen Einfluss. Der Anteil der Auslandsinvestitionen in der Region durch Peking liegt bei nicht einmal einem Prozent.

Aber die wenigen Milliarden sind, gepaart mit chinesischen Krediten, strategisch äußerst gut platziert. In Montenegro wird mit chinesischen Geldern das nationale Prestigeobjekt einer Autobahn verwirklicht, die in der Hafenstadt Bar beginnt und bis an die serbische Grenze gehen soll. Laut Zeitungsberichten könnten sich die Chinesen exklusive Nutzungsrechte des Hafens gesichert haben, falls die Regierung in Podgorica die Raten des 800-Millionen-Kredits nicht rechtzeitig bedient. In diesem Fall gilt der Slogan des Projekts, „Straße ist Leben“, ausschließlich für China.

In Serbien stehen chinesische Konzerne mit zehn Milliarden Euro für Infrastrukturprojekte gerade, darunter eine Autobahn, Eisenbahnprojekte und ein Kohlekraftwerk. Letzteres ist ebenso umstritten wie das „Safe City Project“, das Chinas Huawei-Gesichtserkennungstechnologie in Belgrad großflächig umsetzen will. Tausend Kameras an 800 Plätzen der Stadt sollen zur Verfolgung von Rechtsbrechern beitragen. Besorgte Bürger fürchten aber, dass diese Systeme wie in China letztlich zur Totalüberwachung führen werden. Es wäre der erste Export chinesischer Totalüberwachung nach Europa. Die Beziehung zwischen Belgrad und Peking ist so stark geworden, dass Serbien derzeit die größte „Kolonie“ chinesischer Bürger in Europa beherbergt.

Mehr Engagement gefordert

Unter dem Eindruck solcher Entwicklungen fordert der Balkanexperte Faruk Ajeti vom Österreichischen Institut für Internationale Politik vermehrte Kontakte zur Zivilgesellschaft in den Westbalkan-Staaten und stärkere Investitionen in die Infrastruktur und mehr Engagement der EU und Österreichs. Doch wie es scheint, setzt die Bundesregierung in diesem Punkt lieber auf allerkleinste Schritte. So verkündete sie im Dezember stolz: „Österreich unterstützt Montenegro erneut.“ Diese Frohbotschaft leitete sich aber nicht etwa von dringend benötigten Impfstoffen ab oder sonstiger struktureller Hilfe. Nein, Österreich hatte sich bereiterklärt, einen Coronapatienten aus Montenegro zu übernehmen. Selten wohl ist ein einzelner einfacher Bürger einer Westbalkan-Nation so wertschätzend vermarktet worden wie dieser. Die Aussendung vermerkt sogar Details seiner Verbringung: „Der Abflug des Ambulanzflugzeugs erfolgte am Stefanitag um kurz nach 12.00 Uhr in Podgorica, gegen 13.30 Uhr ist es nach einem rd. 1,5-stündigen Flug in Klagenfurt gelandet.“

Thaci - © Foto: APA / AFP/ ANP / Pool / Jerry Lampen

Wahlen im Kosovo: Es geht um viel

Hintergrund und Fakten

Das Jahr 2021 könnte im Kosovo eine entscheidende Wende bringen. Denn Wahlen am kommenden Sonntag könnten die Macht der alten Clan-Seilschaften und Korruptionsnetzwerke brechen, wenn sie Liberalen und Linksnationalen eine Mehrheit verschaffen. Die mit dem alten System verbundenen Personen Hashim Thaçi (Bild) und Kadri Veseli müssen sich wegen schwerer Kriegsverbrechen, Folter und Mordes in Den Haag verantworten. Damit wäre der Weg frei für alternative Kräfte wie Albin Kurti, der sich trotz radikal nationaler Töne für einen Ausgleich mit Serbien und für ein Ende der tonangebenden Rolle der internationalen Staatengemeinschaft im Land einsetzt. Auch ethnische Enklaven lehnt Kurti ab. In den Umfragen liegt seine Vetëvendosje-Partei weit voran, gefolgt von den Konservativ-Liberalen (LDK, ehemals geführt von Ibrahim Rugova).

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