Meister - © Foto: DGAP/ Dirk Ernters

Russland: „Die Annäherung ist gescheitert“

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Über „die Globalisierung des Systems Putin“, Österreichs Rolle in diesem Spiel und wie die EU mehr effektiven Druck auf den Kreml ausüben könnte. Der deutsche Politologe und Osteuropa-Experte Stefan Meister im FURCHE-Interview.

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Über „die Globalisierung des Systems Putin“, Österreichs Rolle in diesem Spiel und wie die EU mehr effektiven Druck auf den Kreml ausüben könnte. Der deutsche Politologe und Osteuropa-Experte Stefan Meister im FURCHE-Interview.

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Russlands Hilfe für den weißrussischen Diktator Lukaschenko sowie der dubiose Fall Nawalny sind bloß die jüngsten Tiefpunkte in der Beziehung zwischen der EU und Russland. Wie es Putin gelingen konnte, sein System nach Brüssel zu exportieren, und womit die EU nun gut beraten wäre, analysiert der Russland-Kenner Stefan Meister.

DIE FURCHE: Der Umgang des Kreml mit Belarus, der Fall Nawalny und postwendend die Retourkutschen des Kreml auf Vorwürfe, Syrien, Libyen – ist das in Summe eine Demonstration der Stärke oder viel eher ein Übertünchen von Schwächen der russischen Führung?
Stefan Meister: Ich meine, dass ein Großteil der russischen Politik – von Syrien bis Libyen – ursprünglich ein Zeichen der Schwäche war, um durch das Eingreifen in diese Konflikte die eigene Verhandlungsposition gegenüber den USA und der EU unter anderem mit Blick auf den Ukraine-Konflikt zu verbessern. Gleichzeitig hat sich der Kreml dabei die Schwächen der Amerikaner und der Europäer zunutze gemacht, um durch deren Nichthandeln zum Akteur im Nahen Osten zu werden und die eigene Position international aufzuwerten. Wenn man sich Belarus ansieht, ist es anders. Da wird ohne Russland nichts passieren. Da ist Russ­land der entscheidende Machtfaktor. Bei Nawalny kann man einerseits sagen, das Regime schert sich nicht, was zum Beispiel die EU sagt über den Giftgasanschlag. Andererseits ist Nawalny die einzige echte Her­ausforderung für die Machteliten in Russland. Es gibt Dauerproteste im Fernen Osten Russlands, da sind die Menschen in Belarus auf der Straße, es wächst die Unzufriedenheit in Russland selbst, und da ist die Duma-Wahl im kommenden Jahr. Man könnte also sagen, da hat das Regime den wichtigsten Oppositionsführer ausgeschaltet. Somit könnte der Anschlag auch als Zeichen von Schwäche interpretiert werden.

DIE FURCHE: Was den Anschlag auf Nawalny angeht, so sagen Kritiker einer scharfen Russland-Politik, man könne eine solche Tat nicht auf Putin zurückführen. Aber wäre eine solche Tat denn ohne sein Wissen möglich? Und wenn er nichts wusste: Was bedeutet das in Hinblick auf seine Kontrolle über die eigenen Geheimdienste?
Meister: Wir wissen nicht, ob das ohne Wissen Putins möglich ist. Auch bei Boris Nemzow wurde gesagt, das könne nicht ohne die Entscheidung Putins passiert sein. Wenn es ohne Wissen Putins passiert ist, dann zeigt das einen gewissen Kontrollverlust Putins. Denn wir wissen ja auch, dass es innerhalb des Sicherheitsapparates verschiedene Lager gibt, die miteinander konkurrieren. Und diese Lager tun mitunter Dinge, um Putin zu gefallen, ohne dass er das immer konkret weiß. Aber es stellt sich die Frage: Wie sehr kontrolliert Putin das alles noch, oder hat es sich verselbstständigt? Die Macht der Geheimdienste ist in Russland unter Putin gewachsen. Das ist ein Staat im Staat. Jedoch ohne Entscheidung von einflussreichen Personen kann ein solcher Giftgasanschlag nicht erfolgen, allein aufgrund der Zugänge dazu und Fähigkeit, mit dem Stoff umzugehen. Damit kann man mit Sicherheit sagen, das System Putin hat diesen Anschlag verübt, auch wenn die Entscheidungsstrukturen intransparent bleiben.

DIE FURCHE: Auf der anderen Seite steht die EU. Da sagen manche, man solle Gesprächskanäle offen halten, andere meinen, man müsse hart handeln, andere wollen gar nicht handeln. Wie sehr öffnet diese Uneinigkeit eben solchen Dingen Tür und Tor?
Meister: Natürlich hat das einen Einfluss. Die russischen Eliten rechnen nicht mit harten Sanktionen. Sie gehen davon aus, dass schlimmstenfalls ein Botschafter einbestellt wird. Aber solche Aktionen haben bisher nur zu geringen Kosten für den Kreml geführt. Und wir haben es hier mit einem Regime zu tun, das in einem Kosten-Nutzen-Schema denkt. Selbst was die ­Ukraine angeht, sind die Kosten durch die Sanktionen bisher überschaubar. Und das begünstigt solche Handlungen. Auf der anderen Seite fördert der Kreml ja auch diese Spaltung im Diskurs. Nord Stream 2 ist ein wunderbares Werkzeug, um eine Spaltung innerhalb der EU zu verstärken.

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