Stalin Demo - © Foto: Getty Images / TASS / Sergei Fadeichev

Russland: „Macht durch Druck und Verbote“

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Unter der Regentschaft Wladimir Putins werden NGOs, die sich für Demokratie und Menschenrechte starkmachen, verfolgt. Zuletzt wurde auch „Memorial“ verboten. Die bekannte Germanistin Irina Scherbakowa arbeitete dort bis zuletzt führend mit. Ein Interview über Putin, Stalin und die Ukraine.

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Unter der Regentschaft Wladimir Putins werden NGOs, die sich für Demokratie und Menschenrechte starkmachen, verfolgt. Zuletzt wurde auch „Memorial“ verboten. Die bekannte Germanistin Irina Scherbakowa arbeitete dort bis zuletzt führend mit. Ein Interview über Putin, Stalin und die Ukraine.

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Die russische Menschenrechtsorganisation „Memorial“ war über Jahrzehnte hinweg mit der Aufklärung von und über Verbrechen des Stalinismus aktiv. Im Dezember wurde die Organisation verboten. Die vielfach ausgezeichnete Germanistin und Kulturwissenschafterin Irina Scherbakowa war bis zuletzt eine der Mitorganisatorinnen von „Memorial“.

DIE FURCHE: „Memorial“ galt lange Jahre als Gewissen Russlands. Wenn Sie die aktuelle Lage um die Ukraine betrachten: Glauben Sie, dass Putins aggressive Politik in einem Russland, das Stalinismus und Diktatur bewusst aufgearbeitet hätte, möglich wäre?

Irina Scherbakowa: Wenn man diese Aufarbeitungsgeschichte, die zum Teil in den 90ern möglich war, als etwas Gesondertes betrachtet, dann bietet das noch keinen Schutz gegen eine neue Diktatur. Wenn das ein Teil von Reformen wäre, wäre es wichtig, die Institutionen zu stärken – damit die Menschen begreifen, dass der Staat nicht das Recht hat, mit seinen Bürgern alles zu machen. Und eben das ist in Russland passiert.

DIE FURCHE: Was bedeutet die Auflösung der Organisation für das Klima im Land? Wohin bewegt sich die Gesellschaft?

Scherbakowa: Ich glaube, dass die Auflösung von „Memorial“ für viele ein Signal war, dass alle kritischen Stimmen, alle unabhängigen Organisationen immer weniger Möglichkeiten haben, ihre Tätigkeit normal auszuüben, dass Verbote und Druck immer mehr zu Mechanismen der Machtausübung werden.

DIE FURCHE: Ihr Engagement wurde mehrfach international ausgezeichnet. Welche Regierungen, Institutionen, Teile der Zivilgesellschaft im Ausland haben Ihnen nach dem Gerichtsurteil Unterstützung zugesichert? Gehört Österreich dazu?

Scherbakowa: Wir haben sehr viel Unterstützung bekommen, aus Russland vor allem, aber auch aus der ganzen Welt: unter anderem aus Deutschland, aus Frankreich, Italien Tschechien. Es gab Veranstaltungen, Proteste, Briefe. Auch aus Österreich kamen Worte, von einzelnen Menschen, Politiker und vielen mehr.

DIE FURCHE: Bei der Auflösung wurde Ihnen Tätigkeit als sogenannter ausländischer Agent vorgeworfen. Was besagt das Gesetz über ausländische Agenten aus dem Jahr 2011 konkret, und warum soll gerade „Memorial“ ein solcher sein?

Scherbakowa: Das Gesetz über ausländische Agenten ist 2012 angenommen worden, und nicht nur „Memorial“, sondern auch viele andere NGOs haben sofort gegen dieses Gesetz protestiert und eine Klage eingereicht – aber dann in allen Gerichtsinstanzen in der Russischen Föderation verloren. Denn dieses Gesetz ist so formuliert worden, dass nicht einmal die Juristen es erklären könnten. Eine Organisation kann nämlich vom russischen Justizministerium als ausländischer Agent benannt werden, wenn sie eine politische Tätigkeit ausübt und Geld aus ausländischen Quellen bekommt. Und die politische Tätigkeit ist so formuliert worden, als wäre es ihre Aufgabe, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Wir haben von Anfang an gesagt, es ist ein Gummigesetz und kann gegen jede unabhängige NGO angewendet werden. Das war auch der Sinn dieser Geschichte. Seit dieser Zeit sind hunderte Organisationen und einzelne Personen zu ausländischen Agenten erklärt worden. Die internationale Gesellschaft „Memorial“ ist 2016 auf die Liste der ausländischen Agenten gesetzt worden, und das war nicht nur eine Diffamierung, sondern eine Beeinträchtigung unserer Tätigkeit. Und warum „Memorial“? Weil es eine freie Menschenrechtsorganisation ist, die für historische Aufarbeitung der Geschichte der politischen Repressalien auftritt. Sie ist ein Netzwerk von mehreren Organisationen in Russland und im Ausland.

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