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Rußlands Angst vor Islamisten

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Kaum Notiz nimmt die Weltöffentlichkeit von den blutigen Vorgängen in Tadschikistan. Hunderttausende Flüchtlinge leben in unvorstellbarem Elend.

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Kaum Notiz nimmt die Weltöffentlichkeit von den blutigen Vorgängen in Tadschikistan. Hunderttausende Flüchtlinge leben in unvorstellbarem Elend.

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Im September 1992 gelang es einer vereinten Opposition von Islamisten und Liberalen, die aus der kommunistischen Epoche überkommene Regierung Tadschikistans aus der Hauptstadt Duschanbe zu vertreiben. Die von dem Islamisten Muhamed-Sharif Himatzode geleitete „Partei der Islamischen Wiedergeburt“ (IRP) ging eine Koalition mit der kleineren „Demokratischen Partei Tadschikistans“ ein, die sich als liberal definieren läßt.

Nach der Flucht der Regierung Rachmon Nabijew (er erlag im April 1993 einem Herzversagen) und ihrer Nomenklatura in den Nordteil des Landes ergab sich fast eine ähnliche Situation wie später in Rußland. Obwohl die Parlamentarier kein wirkliches Mandat besaßen, hielten sie doch an ihrem Anspruch fest, die einzig legitime Volksvertretung zu sein und erklärten die Regierung in Duschanbe für illegal.

Im November 1992 trat das von Kommunisten dominierte Parlament in der Provinzhauptstadt Khuzhand zusammen, wählte einen neuen Präsidenten, bildete eine Gegenregierung zur islamistisch-demokratischen Koalition und ließ Panzer auf die Hauptstadt rollen.

Am 10. Dezember blieb der Koalitionsregierung nichts anderes übrig, als zu fliehen, um den nun einsetzenden Säuberungen zu entgehen, in deren Verlauf es zu etlichen Blutbädern kam.

UNGEHÖRTER HILFERUF

Wie rücksichtslos die neuen Machthaber vorgingen, läßt sich daran erkennen, daß zeitweilig fast eine Viertelmillion Tadschiken nach Afghanistan flohen. Zu jener Zeit richtete Daulte Osmon, der stellvertretende Ministerpräsident der vertriebenen Koalitionsregierung, verzweifelte Hilferufe an die Weltöffentlichkeit und bat um Intervention, um sein Land vor einem Andauem des verlustreichen Bürgerkriegs zu bewahren. Doch wer interessierte sich angesichts der Konflikte in Somalia, Bosnien, Abchasien und Ar- menien/Aserbeidschan für die Tragödie im Pamir?

Die blutigen Ereignisse vom Dezember 1992 sind in ihrer Tragweite von der Weltpresse kaum hinreichend zur Kenntnis genommen worden. Schon im September, als sich die ersten Kämpfe zwischen den Islamisten und der Regierung Rakhmon Nabijew ereigneten, war es zu Verwüstungen gekommen, die das gesamte Stadtbild von Duschnabe veränderten. Nach den erneuten und noch heftigeren Kämpfen im Dezember 1992 ist Duschanbe nicht mehr Duschanbe. Hier hat sich eine Welt verändert, die nicht mehr rekonstruiert werden kann.

Nach Auflösung der „Partei der Islamischen Wiedergeburt“ flüchtete deren Führung nach Afghanistan, genauer gesagt, sie begab sich in den Schutz der Hezb-e Islami, der „Islamischen Partei“ des Extremisten Gulbuddin Hekmatyar, der durch einen saudisch-pakistanisch-iranischen Kompromiß zum Ministerpräsidenten von Afghanistan avanciert war. Dort bildeten nun die tadschikischen Islamisten eipe Gegenregierung zum Regime in Duschanbe und gingen zum Guerillakampf gegen Grenztruppen über, die im wesentlichen aus russischen und usbekischen Einheiten bestehen.

Die Führung des Koalitionspartners, der „Demokratischen Partei Tadschikistans“ zog ins Exil nach Moskau, wo sie Unterstützung bei politischen Kräften fand, die der Meinung sind, das neue Rußland sei politisch nicht glaubwürdig, wenn es in Tadschikistan ein undemokratisches Regime unterstützt. Außerdem ginge das ökonomisch darniederliegende Rußland damit eine unhaltbare Verpflichtung ein. Schließlich könnte eine solche Unterdrückung in Tadschikistan auch die Ressentiments der Moslems in Rußland wecken, vor allem im nordkaukasischen Daghestan und in Tartarstan, von Tschetschen-Ingutschia ganz zu schweigen, das ohnehin bereits im Unabhängigkeitskampf steht.

Der Krieg in Tadschikistan hat bisher 50.000 Tote gefordert, bei einer Bevölkerung von knapp fünfeinhalb Millionen ist das ein außerordentlich hoher Verlust. Auf beiden Seiten der Grenze herrscht furchtbares Elend. Es ist offensichtlich, daß den Russen nicht daran gelegen ist, in ein zweites Afghanistan-Abenteuer verwickelt zu werden. Außenminister Kosyrew will die tadschikische Regierung zu Gesprächen mit der Opposition bewegen. Präsident Jelzin erklärte, es sei Pflicht aller GUS- Staaten, Tadschikistan gegen Übergriffe aus Afghanistan zu verteidigen. Aber in dieser Region haben lokale Kriegsherren das Sagen.

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