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Und all das zum Teil zu unvorstellbar niedrigen Preisen: „Stell dir vor, das Hemd, das ich anhabe, hat nur 50 Schilling gekostet", erzählte mir kürzlich ein Bekannter. Ich denke an den heurigen Sommer-Räumungsverkauf: Preisstürze wie nie zuvor.

Wer aufmerksam die Schaufenster in Wien beobachtet, erkennt auch die Schattenseite der Entwickung: Selbst in. großen Straßen geschlossene Geschäfte. Leere Schaufenster auch in der Wiener Innenstadt. Ein Pleitenrekord zeichnet sich für heuer ab. Strukturbereinigung nennt das die Ökonomie.

Viele Bauern geben auf. Es rentiert sich einfach nicht mehr. Typisch ein Landwirt im Ybbstal: Aufwendige Fremdenzimmer wurden eingerichtet, der Stall wurde verkleinert. Ein paar Kälber haben noch Platz. „Wir mästen sie, um die Grünflächen sauber zu halten. Verdienen tun wir damit nichts", erklärt die Bäuerin. Sie vermietet die Zimmer, ihr Mann geht arbeiten.

Der Wind weht rauher in unserer Wirtschaft. Wettbewerb ist angesagt. Die Interna-tionalisierung der Wirtschaft schreitet fort. Osterreichische Firmen gehen in ausländische Hände über, selbst Paradeunternehmen wie „Billa" und „Immuno". Angebote aus dem Ausland gibt es auch für die „CA". In den neunziger Jahren dürfte es mehr Eigentümerwechsel in Österreichs Unternehmen gegeben haben als in den vier Jahrzehnten seit dem Weltkrieg.

Das sei nun einmal die Logik der Wirtschaft, wird uns versichert. Die internationale Arbeitsteilung sei Garant für effiziente Produktion, somit für günstige Preise. Daß österreichische Unternehmen in ausländische Hände übergehen, sei so lange unproblematisch, als sich Österreicher im Ausland einkaufen.

Soweit die vorherrschende liberale Wirtschaftsdoktrin.

Trendforscher John Naisbitt (Autor von „Megatrends 2000") gibt Europa gute Tips: Steuern senken, Vorschriften minimieren, Unternehmer fördern, asiatischen Werten Aufmerksamkeit schenken, sonst verliere man den Anschluß an den Rest der Welt.

Auch Österreich werde liebgewonnene Privilegien aufgeben müssen, hört man. Irgendwie drängt sich da schon die Frage auf: Warum ist das so selbstverständlich? Mit der bisherigen Politik wurden wir einer der wohlhabendsten Staaten der Welt mit einem relativ hohen Maß an sozialer und Umweltqualität, ohne uns dabei eine international auffallend hohe Verschuldung einzuhandeln.

Was jahrzehntelang international als Modell erfolgreicher Wirtschaftspartnerschaft galt, soll plötzlich hinterwäldlerisch sein, nur weil es den internationalen Wirtschaftsgiganten gelungen ist, die Globalisierung von allem und jedem zum allein seligmachenden Projekt zu erheben, wirtschaftlichen Erfolg fast ausschließlich an der Ma-ximierung der Kapitalerträge zu. messen?

So wird der Kampf ums Überleben zum Heilsweg hochstilisiert: Wettbewerb heißt das Zauberwort. Gut. Aber wenn schon, dann nach vernünftigen Spielregeln, die verhindern, daß die weltweit seit Jahrhunderten gewachsenen Strukturen handstreichartig zerstört werden, insoweit sie ertragreiche Investitionen stören.

Wer fragt etwa danach, welche Opfer notwendig waren, damit ein Hemd um 50 Schilling auf Österreichs Ladentische gelangen konnte? Unter welchen Arbeits- und Umweltbedingungen haben da Bauern die Baumwolle geerntet? Was haben Frauen und Kinder in der Textil- und Bekleidungsindustrie Südostasiens verdient, wieviele Stunden" mußten sie arbeiten? Welche nichtberück-sichtigte Umweltbelastung hat der viel zu billige Transport hervorgerufen?

Die Außerachtlassung all dessen ist nicht der komparative Vorteil Südostasiens, sondern eine versteckte Subventionierung der Billigprodukte durch Ausbeutung von Mensch und Natur, also eine Marktverfälschung. Und ebenso marktverfälschend ist es, wenn Großunternehmen in unsere kleinstrukturierte Wirtschaft unter Inkaufnahme von vorübergehenden Verlusten drängen.

Was wäre dagegen zu tun? Nur ja kein Protektionismus, lautet die Antwort der Marktverfechter. Aber warum sollen wir eigentlich unsere gewachsenen Strukturen nicht schützen, wenn dieses Spiel, weil es ein Spiel mit doppeltem Boden ist, ihr Überleben bedroht?

Die Auseinandersetzung um die Reifenproduktion bei Semperit in Traiskirchen (immerhin laut „profil" ein beachtlicher Aktivposten des internationalen Conti-Konzerns, dessen Produktion aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen des Konzerns halbiert werden soll) könnte als Denkanstoß dienen. Wirtschaftsminister Johannes Farnleitner brachte im Zuge der Krise ein selektives Käuferverhalten ins Gespräch: Conti-Reifen-Kauf-boykott in Osterreich im Falle der Kürzung der Produktion in Traiskirchen.

Warum eigentlich nicht? Warum sollten bei Kaufentscheidungen nicht andere Überlegungen als nur der Preis eingehen? Es ist doch nicht egal, ob mein Einkauf den Arbeitsplatz meines Nachbarn erhält oder nicht. Schließlich ist es ja nicht einerlei, wieviel Kaufkraft in Osterreich erhalten bleibt.

Sollten wir nicht dazu übergehen, „Made in Austria" zum wichtigen Argument beim Einkauf zu machen, dem Inlandsurlaub Vorrang vor dem Flug in andere Kontinente einzuräumen? Der kurzfristige Vorteil des Kaufs von billiger Importware ruiniert auf lange Sicht die Inlands-(g, produzenten, die nicht mithalten 1 können, weil sie Auflagen zur Sicherung unseres sozialen und Umweltstandards einhalten müssen. Wird man uns aber in Krisenzeiten mit Fleisch aus Argentinien und Textilien aus Singapur versorgen?

Und: Auf den Weltmärkten wird zwar viel Arbeitskraft wegrationalisiert, aber für deren Überleben müssen nationale Sicherungssysteme herhalten. Wer wird sie langfristig erhalten, wenn nicht die Inlandswirtschaft?

Lassen wir also tatsächlich den Markt entscheiden, den österreichischen! Geben wir dem österreichischen Produkt einen Bonus, auch wenn es etwas teurer ist. Das wäre eine rationale Entscheidung - solange es nicht zum Freibrief für unverschämte Preise wird. Ein Blick auf die Kreislaufmodelle der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zeigt: Es ist nicht egal, ob österreichische Bauern, Gewerbetreibende, Arbeiter aus meinem Einkauf Einkommen beziehen können oder nicht. Bleiben sie damit wirtschaftlich am Leben, so tragen sie all jene Systeme mit, von denen wir alle abhängen: die Justiz, die Verwaltung, die Alters- und die Krankenversicherung, die Aufrechterhaltung der materiellen Infrastruktur ... Verlieren sie ihre Einkünfte, fällt nicht nur ihr Beitrag weg. Sie selbst werden zu Empfängern von Unterstützungen, die alle in der Produktion Verbleibenden mittragen müssen. Schon jetzt gibt es einen Bekord an Notstandshilfeempfängern.

Sollte es da nicht zur Selbstverständlichkeit werden, das „A" beim Kauf zu berücksichtigen, insbesondere in einer Zeit, in der Schleuderpreise vielfach zum Erwerb von Unnötigem und Überflüssigem, ja zum vorzeitigen AVeg-werfen animieren?

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