Orban

Schafft es Brüssel, Orbán zu "erziehen"?

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Nepotismus und Korruption sind prägende Elemente von Viktor Orbáns Regierungsstil. Wie Brüssel versucht, dem Einhalt zu gebieten – und ob es Chancen gibt, dass das gelingen kann.

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Nepotismus und Korruption sind prägende Elemente von Viktor Orbáns Regierungsstil. Wie Brüssel versucht, dem Einhalt zu gebieten – und ob es Chancen gibt, dass das gelingen kann.

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Kurz vor Weihnachten wurde Ungarns Regierungschef Viktor Orbán reich beschenkt: In Brüssel flog die Korruptionsaffäre rund um die griechische Sozialdemokratin auf. Fotos mit einem Koffer voller Geldscheine, mit dem das Emirat Katar die Gunst der Abgeordneten erkauft haben soll, wurden in der Regierungspresse mit viel Häme kommentiert. Genüsslich twitterte Orbán ein Meme mit Menschen, die sich vor Lachen biegen, und der Bildunterschrift: „Das Europäische Parlament ist ernsthaft besorgt über die Korruption in Ungarn.“

Die Wochen davor waren geprägt gewesen vom Gezerre zwischen Brüssel und Budapest über Milliarden aus dem Kohäsionsfonds zur Förderung strukturschwacher Gebiete. Ungarn muss konkrete Schritte zur Bekämpfung der ausufernden Korruption nachweisen. Dass letzten Endes statt 7,5 nur 6,3 Milliarden Euro eingefroren wurden, verkaufte Orbán zu Hause als großen Erfolg. Wenige Tage später folgte die kalte Dusche: Die EU-Kommission will in den kommenden fünf Jahren insgesamt 22 Milliarden Euro an verschiedenen Fördermitteln für Ungarn zurückhalten. Das sind 65 Prozent der für Ungarn vorgesehenen Mittel. Wegen rechtsstaatlicher Bedenken. Da geht es um das Fundament des Systems Orbán. In den vergangenen zwölf Jahren seiner Herrschaft hat er die Verfassung mehrmals zu seinen Gunsten umgeschrieben, das Wahlgesetz für seine Bedürfnisse zurechtgezimmert, oppositionelle Medien ausgeschaltet, Justiz, Forschung und Wissenschaft weitgehend unter seine Kontrolle gebracht und in allen wichtigen Institutionen Leute seines Vertrauens installiert, die auch im Falle eines Regierungswechsels in seinem Sinn entscheiden würden. Dazu gehört auch die Staatsanwaltschaft, die alle Recherchen der EU-Antikorruptionsagentur OLAF in Windeseile schubladisiert hat. Der Europäischen Staatsanwaltschaft, die selbst Zugriff auf die Strafverfolgung in den Mitgliedsländern hat, ist Ungarn wohlweislich nicht beigetreten.

Geld für Günstlinge

Bevor jetzt also die Gelder aufgetaut werden, muss Ungarn nachweisen, dass die geförderten Programme der EU-Grundrechtecharta entsprechen. Das Verfahren ist also unabhängig vom bisher angewandten Rechtsstaatsmechanismus. Die Brüsseler Behörden werden besonderes Augenmerk auf die akademische Freiheit und das Recht auf Asyl legen. Beide sind de facto derzeit nicht gewährleistet. Der Zugang von Kindern zu Informationen über nichtheterosexuelle Lebensformen ist sogar per Gesetz ausgeschlossen. Will Orbán der EU entgegenkommen, hat er innenpolitisch gehörigen Erklärungsbedarf, denn das Gesetz zum „Schutz der Kinder vor homosexueller Propaganda“ war als große Errungenschaft verkauft worden. Dass Ungarn ein reales Problem mit Korruption und Rechtsstaatlichkeit hat, erfahren die Menschen aus den staatlich gelenkten Medien nicht. Auf dem Index der Antikorruptionsagentur „Transparency International“ lässt Ungarn von den EU-Staaten nur noch Bulgarien hinter sich. Das Land befindet sich auf dem Niveau von Staaten wie Ghana, Kuweit und Senegal.

Verwandte und Günstlinge von Orbán sind in den vergangenen Jahren durch Staatsaufträge reich geworden. „Transparency International“, das in Ungarn nur dank internationaler Finanzierung arbeiten kann, gilt als „ausländischer Agent“ und als Instrument von Orbáns Lieblingsfeind, dem milliardenschweren Spekulanten und Förderer liberalen Gedankenguts George Soros. Dass die auf Druck Brüssels vorgesehene „Integritätsbehörde“ wirklich dem systematischen Missbrauch von EU-Geldern Einhalt gebieten wird, muss sie erst unter Beweis stellen. Der Politologe Péter Krekó vom sozialliberalen Thinktank „Political Capital“ glaubt nicht an echte Zugeständnisse. „Wir können nicht von einem Löwen erwarten, dass er von einem Moment auf den anderen Vegetarier wird“, sagte er der Deutschen Welle. Ein Abgehen von Nepotismus und Korruption würde bedeuten, „dass enge Mitarbeiter oder Familienmitglieder vielleicht sogar ins Gefängnis kommen würden“.

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