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Der Waldheim-Wahlkampf war ein Anstoß für den christlich-jüdischen Dialog.

Der "Aufklärer wider Willen", wie Kurt Waldheim in Nachrufen genannt wurde, war indirekt auch der Auslöser eines spezifischen Bewusstseinsschubs unter vielen Katholiken. Genauer: Es war nicht Kurt Waldheim persönlich, sondern der Präsidentschaftswahlkampf 1986 mit seinen Exzessen. Damals hatte die aggressive Kritik des Jüdischen Weltkongresses den schlummernden Antisemitismus in Österreich schlagartig wachgerufen. Es folgten Ausbrüche blinden Hasses auf allen Seiten, als befände sich Österreich in einer Art geistigem Bürgerkrieg. Als Reaktion darauf startete die Katholische Aktion Österreich (KAÖ) eine Initiative, deren positives Echo ihre Richtigkeit - in Zeitpunkt wie Form - unterstrich. Unter dem Titel "Schalom für Österreich" kam es zu einer Serie christlich-jüdischer Begegnungen, wie es sie nach 1945 noch nie gegeben hatte.

Für die jüngere und mittlere Generation in den achtziger Jahren war Waldheim die Symbolfigur für die fehlende Auseinandersetzung Österreichs mit der NS-Verstrickung. Das geschah durch Waldheims eigenes (Ver-)Schweigen und durch Akteure im Hintergrund. So wurde Waldheim - ohne dass er verstand, was ihm geschah - zur Projektionsfläche für viele, seit den Skandalen um Borodajkewycz und Kreisky/Wiesenthal längst drängende Fragen. Plötzlich machte sich ein Verlangen nach Ehrlichkeit Luft.

Für engagierte Christen bedeutete dabei die Frage "Wie geht man mit den finsteren Seiten seiner Vergangenheit um?" auch die Suche nach den Wurzeln des christlichen Antijudaismus. Zugleich entstand damit die Frage: "Wie vermeidet man es, in die billige Selbstgerechtigkeit von Nachgeborenen zu verfallen?"

Wahrheitsstreben & Kalkül

Es ist die Koinzidenz vieler Faktoren, die einen schicksalhaften zeitlichen Knoten erzeugt. Im Rückblick muss es den Beobachter erstaunen, dass es gerade die Waldheim-Affäre war, die in Österreich die Sensibilität für die christlich-jüdische Glaubensbeziehung schärfte. Hatte es nicht schon 21 Jahre vorher die fundamentale Weichenstellung durch die Konzilserklärung Nostra Aetate gegeben? Hatte nicht bereits die Wiener Diözesansynode von 1971 Grundlegendes zur christlich-jüdischen Begegnung erklärt? Waren es nicht Persönlichkeiten wie Kurt Schubert, Erika Weinzierl und viele andere im christlich-jüdischen Koordinierungsausschuss, die längst an der Korrektur jahrhunderte alter kirchlicher Fehlhaltungen mitwirkten? Was gab den Ausschlag?

Es war nicht nur ein quasi kollektives Generationenbedürfnis, das den breiteren christlichen Bewusstseinsschub ab 1986 mit ausgelöst hatte, nicht nur die weltweite Dimension der Waldheim-Turbulenzen, sondern auch und gerade in der Wahlkampf-Erhitzung von 1986 die schwer lösbare Vermischung von Wahrhaftigkeitsforderungen und Heucheleiübungen, von berechtigtem Schuldbewusstsein und unberechtigter Selbstgerechtigkeit, von geforderten Lebensbeichten und selektiver Eigenwahrnehmung, von tagespolitischem Nutzungskalkül und der Aufdeckung von "Lebenslügen".

Für das gesellschaftspolitische Klima bedeutete diese Mischung oft mehr Polarisierung statt Selbstreinigung, mehr Hochmut statt Demut - und das in der unseligen österreichischen Tradition der Verfeindungsbereitschaft. Daher hielt es die Katholische Aktion Österreich 1986 für unerlässlich, einen Beitrag zum ehrlichen Dialog und zur menschlichen Begegnung zu leisten.

So kam es am 12. Oktober 1986, dem Vorabend des jüdischen Versöhnungsfestes Yom Kippur, im Großen Saal der Nationalbibliothek zu einer "Christlich-jüdischen Stunde der Besinnung", an der erstmals gemeinsam der Wiener Kardinal Hans-Hermann Groër und Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg teilnahmen. Am Abend des Nationalfeiertages 1986 folgte eine ähnliche Veranstaltung mit Altbundespräsident Rudolf Kirchschläger unter dem Titel "Schalom - der Friede, den Er uns gibt".

"Eins vor Zwölf"

Spätere Höhepunkte waren eine noch heute höchst lesenswerte Grundsatzrede von Kardinal König zum Thema "Aus der Geschichte lernen - Kirche und Politik 1938/1945/1988" (vor der KAÖ-Konferenz im September 1987) sowie die Veranstaltung "Schalom für Österreich - Wege in die Zukunft". An dieser "christlich-jüdischen Gedenkstunde" im Redoutensaal der Wiener Hofburg (25. Oktober 1987) nahmen Bundeskanzler und Vizekanzler, Bürgermeister und Vizebürgermeister, Spitzenvertreter aller christlichen Kirchen, der Oberrabbiner, Dichter und Zeitzeugen teil. Es war ein viel beachteter Auftakt zum Gedenkjahr 1988, an dessen 12. März es der KAÖ überdies gelang, für die Besinnungsminute "Eins vor Zwölf" österreichweite Unterstützung zu gewinnen.

Das alles war gewissermaßen dem Fall Waldheim zu "verdanken". Christliche Vergangenheitsbewältigung - das bedeutete in der Folge den oft mühsamen Versuch, den neuen Geist der christlich-jüdischen Begegnung von den Spitzentreffen auf die Ebene der Basis zu bringen, mittels gezielter Verteilung von Informationsmaterial, mittels Vorträgen und Diskussionen. Dabei war und ist die damalige KAÖ-Generalsekretärin Ruth Steiner bis heute, auch durch Buchveröffentlichungen, erwähnenswert stark engagiert - für die gebürtige Tochter einer zwangsemigrierten jüdischen Diplomatenfamilie eine Lebensaufgabe.

Sünde Antijudaismus

Enttäuschungen blieben nicht aus. Der Elan von einst ließ sich nicht aufrechterhalten. Trotz Konzil einerseits, "politischer Korrektheit" andererseits kommt das christlich-jüdische Verhältnis an der Basis nicht recht voran. Die Einsicht des Paulus-Wortes "Nicht du trägst die Wurzeln, sondern die Wurzel trägt dich" ist vielen Christen noch längst kein Bedürfnis. Und doch muss man sich weiterhin fragen, was Christen gefehlt hat, dass sie still sitzen blieben angesichts der schrittweisen Entrechtung der Juden bis zur "Reichskristallnacht" und der Schoah. Man muss sich weiterhin fragen, wie die Kirche einen wirklich gelebten Zugang zu ihrer alten Sünde des Antijudaismus findet - dem "Symptom ihrer Lüge in ihrer Scheintreue zu Christus", wie Jean-Marie Lustiger einmal sagte.

Was Christen für unabsehbare Zeit zu tun bleibt, erhellt aus den Worten des emeritierten Pariser Kardinals: "Wenn man es gewagt hat, bezüglich Israel und Christus von Gottesmord zu sprechen, so müsste man bezüglich der christlich genannten, abendländischen Völker und dem, was sie dem jüdischen Volk angetan haben, von Gottesmord sprechen. Denn hier gilt für den einen, was für den anderen gilt: Ablehnung Christi, so wie er sich hingibt, Hass auf die Erwählung, so wie Gott sie schenkt. Das ist der Test bezüglich der Lüge in der Treue zu Gott. Das ist also die Sünde."

Der Autor war von 1985 bis 1988 Präsident der Katholischen Aktion Österreich.

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