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Klingklingkling - die Münzen fallen aus dem Spielautomaten heraus. Miguel hat gewonnen. Endlich! Schon seit einer halben Stunde wirft er so konsequent wie vergeblich sein Kleingeld in den einarmigen Banditen. Aus der Cafetaria sieht man gut in den Wartesaal des kleinen Bahnhofs. Ein Jugendlicher liegt schlafend auf einer Bank, ein weiterer dreht im Jogging-Anzug - offensichtlich schwer betrunken - seine Runden im Gebäude. Vor dem Haupteingang in der Sonne sitzen einige Männer mittleren Alters und mustern jeden, der den Bahnhof betritt. Ihre Bewegungen scheinen wie in Zeitlupe. Es ist Montag, Vormittag, zehn Uhr am Bahnhof Jerez de la Frontera, mitten in Andalusien. Während Europas Politiker immer neue Rettungsschirme aufspannen, spielt hier das echte Leben: 50 Prozent der jungen Erwachsenen sind ohne Job, Perspektiven: nahe null. Es sind nicht nur die schlecht Ausgebildeten, die arbeitslos sind. Das Elend ist in der Mittelschicht angekommen, auch als Akademiker ist es fast aussichtslos Arbeit zu finden. Manche von ihnen findet man als Taxifahrer wieder.

Während der Zugfahrt nach Cadiz drehen sich die Gespräche der Teens und Twens um Madrid, Barcelona und Deutschland. Nur nicht mehr hier sein. Unvorstellbar, wenn man beim Fenster hinaussieht - hier im Land des Lichts, dem "ewigen Paradies“, wie der andalusische Poet Ibn Jafaya um 1100 schrieb. Auch wenn nach außen der Schein gewahrt wird - so gut es eben geht: es sind längst nicht mehr nur die sozialen Brennpunkte in Sevilla und Cordoba, die Kopfzerbrechen bereiten.

Leben ohne Job und Geld

Viele über 30 leben immer noch zu Hause bei den Eltern. Ein Leben aufzubauen, ist für sie nicht möglich - ohne Job und Geld. Wenn man dann doch Arbeit bekommt, dann häufig ohne Sozialversicherung. Der informelle Sektor blüht. Fatal - für die Betroffenen selbst aber auch für den Sozialstaat, der zu wenig Einnahmen erwirtschaftet und ohnehin nicht allzu ausgebaut ist. Denn arbeitslos sein, das heißt in Spanien bald arm sein - wer kein Arbeitslosengeld und keine Arbeitslosenhilfe mehr bekommt, dem muss die Familie helfen. Und das tut sie auch. Den ausgeprägten sozialen Netzwerken ist es zu verdanken, dass nicht mehr Menschen auf der Straße stehen.

Die horrende Arbeitslosigkeit unter Spaniens Jugendlichen und jungen Erwachsenen liegt nicht nur an der Wirtschaftskrise, sondern ist zum Teil auch hausgemacht. Forscher analysierten im Auftrag der Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (BBVA): Viele Akademiker, viele Schulabbrecher, Spanien hat eine "Polarisierung des Bildungswesens“. Während fast 40 Prozent der jungen Erwachsenen einen Universitätsabschluss haben, stehen ebenfalls annähernd 30 Prozent ohne Ausbildung da. Dies führt zu einer extrem hohen Akademiker-Arbeitslosigkeit. Zudem sind nirgends in Europa so viele Akademiker überqualifiziert für ihre Jobs. Was fehlt, sind Facharbeiter. "Das ist die hoffungsloseste, aber die am besten ausgebildete Generation, die Spanien je hatte“, wird der Journalist Ignacio Escolar im Telegraph zitiert.

Analogien zu Marienthal

Bei den Zahlen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ohne Beschäftigung lässt sich jedenfalls von Massenarbeitslosigkeit und noch mehr von Perspektivenlosigkeit einer ganzen Generation sprechen. Nicht selten ist von der Generation zero die Rede. Die Auswirkungen auf eine Gesellschaft sind mittelfristig schlimm und langfristig verheerend. Als Beleg dafür gilt gemeinhin die erste bekannte Arbeitslosigkeits-Untersuchung: Die Marienthal-Studie. Als im Österreich der 1930er Jahre die Wirtschaftskrise wütete, die Arbeitslosigkeit innerhalb kurzer Zeit auf 30 Prozent kletterte, blieb auch ein kleines Dorf namens Marienthal nicht davon verschont. Die einzige Fabrik als Arbeitgeber für den Großteil der Bevölkerung ging vor die Hunde. Was Marie Jahoda und Kollegen anschließend herausfanden, ist heute Forschungsgeschichte. Das Schlimmste waren die psychischen Auswirkungen. Obwohl "mehr Zeit“ vorhanden war, verloren die Menschen das Interesse selbst an kos-tenlosen kulturellen Angeboten. Apathie machte sich breit, Jahoda schreibt von der "resignierten Gesellschaft, die zwar die Ordnung der Gegenwart aufrecht erhält, aber die Beziehung zur Zukunft verloren hat.“

Psychische Erkrankungen im Steigen

Was damals galt, gilt heute noch: Margalida Gili und Kollegen von der Universität in Palma de Mallorca haben in einer aktuellen Studie nachgewiesen, dass seit Beginn der Rezession in Spanien deutliche Steigerungen bei der Diagnose von psychischen Störungen zu verzeichnen sind: Plus19 Prozent bei Depression, plus 8 Prozent bei generalisierter Angststörung, plus 7 Prozent bei somatoformen Störungen und plus 5 Prozent bei Alkoholabhängigkeit. Damit soll nun ein Gesundheitssystem zurechtkommen, in dem gespart wird. Entlassungen und Gehaltskürzungen sind für Beschäftigte im spanischen Gesundheitswesen kein Fremdwort. Diese Trends machen auch vor den Jugendlichen nicht halt: Kaum wo in Europa ist Drogen- und Alkoholkonsum unter den Jungen so hoch wie in Spanien. Und: Jugendarbeitslosigkeit enttäuscht, entmutigt, macht wütend und gewalttätig. Schon 1994 hat Anne Hammarström vom renommierten schwedischen Karolinska Institut in einer Übersichtsarbeit eine ganze Reihe von negativen Auswirkungen der Jugendarbeitslosigkeit belegt: mehr Erkrankungen, häufigere Arztbesuche, Drogenmissbrauch, Alkoholkonsum, höhere Mortalitätsrate, vor allem durch Selbstmord bzw. Unfälle.

Cordoba 31. 12. 2012: Ein wenig hat man das Gefühl als gebe es die traurigen Fakten nicht. Hunderte Touristen drängten durch die Mezquita - einem Gebäude, wie es nur in Andalusien entstehen konnte: als Moschee erbaut und während der Reconquista zur Kathedrale umfunktioniert. Es ist, als wäre damals schon klar gewesen, dass es mehr als einen Gott braucht, um die Schatten über dem Land des Lichts wieder los zu werden.

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