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Schwäche des Parlamentarismus

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Die Abgeordneten der Regierungsparteien nehmen ihre Degradierung zu Marionetten der Koalition demütig zur Kenntnis.

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Die Abgeordneten der Regierungsparteien nehmen ihre Degradierung zu Marionetten der Koalition demütig zur Kenntnis.

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Mehrmals war schon festzustellen, daß sich der Parlamentarismus Österreichs in einer besorgniserregenden Krise befindet. Die spektakulären Auseinandersetzungen über die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen zu den Themen Kurdenmorde und politischer Einfluß auf die Banken beleuchten neuerlich die Situation unserer Volksvertretung. Was nun sichtbar wird, ist abermals beunruhigend.

Dabei geht es keineswegs (nur) um die Frage, ob sich die Opposition mit ihren Wünschen einer Prüfung der genannten heiklen Themen durchsetzen kann. Wieder einmal will man die Spielregeln ändern, um vorerst Schwächen bei der Arbeitsweise von Untersuchungsausschüssen zu beseitigen. Ob dies gelingen kann, bleibt fraglich. Geht es doch weniger um die Verfahrensregeln, als um deren verfehlte Handhabung. Wer die Dinge nur einigermaßen durchschaut, sieht klar, daß dieses wichtige Kontrollinstrument unseres Nationalrats im Lauf der Zeit zu einer Politshow degradiert wurde. Nicht das legitime Streben nach Aufklärung und Wahrheitssuche steht im Vordergrund, sondern die Opposition will „punkten”. Sie allein hat ja heute die Kontrollfunktion des Parlaments zu tragen, und sie will diese nützen, der Mehrheit kräftig am Zeug zu flicken. Hier wiederum blockt man ab. Außer Streit muß an sich stehen, daß beide politischen Themen für eine parlamentarische Untersuchung geeignet sind. Ein gewisses Verständnis ist freilich für das Nein der Mehrheit zu gewinnen, wenn man die bisherige Praxis solcher Prozeduren analysiert. Im Ausschußsaal werden Scheingefechte geführt, um im Vorzimmer die eigentliche „Arbeit” zu leisten - das Füttern der Journalisten mit der brühwarmen Kost, die aus ungeschickten oder unterlassenen Zeugenaussagen oder ans Licht gebrachten Papieren gekocht wird.

Nun hat man die Verfassung beschworen, als die Abgeordneten der Opposition wegen der Ablehnung der gewünschten Untersuchungen ihre Mitarbeit eine Zeitlang überhaupt verweigerten. ÖVP-Klubobmann Andreas Khol wollte sich nicht durch einen „Verfassungsbruch” erpressen lassen. Es mag stimmen, daß Mandatare ihre Pflicht nicht verletzen dürfen, und ein Boykott ist immer unangebracht, wenn er nicht dem legitimen Zweck dient, auf einen bestimmten Verstoß gegen das fair play im Hohen Haus drastisch aufmerksam zu machen. Der Verfassungsbruch liegt aber eigentlich ganz woanders, nämlich bei den Koalitionsparteien. So schrieb etwa die „Presse”: „Für die Begierung ändert sich damit nichts. Sie will weiter keinem Untersuchungsausschuß zustimmen, wie Bundeskanzler Viktor Klima und Vizekanzler Wolfgang Schüssel Dienstag nach dem Ministerrat übereinstimmend erklärten”. Man liest diesen Satz mehrmals - zunächst ungläubig und dann in einem Schwanken, ob man sich amüsieren oder wütend werden soll. So weit sind wir also schon gekommen! Wie man schon in Staatsbürgerkunde als Schüler erfahren hat, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Volksvertretung, die Vollziehung zu kontrollieren. Wenn also die Inhaber der beiden höchsten Begierungsämter einem Untersuchungsausschuß nicht zustimmen, bekunden sie damit auf höchst unverblümte Weise, daß sie selbst darüber befinden, ob der Souverän, also das Volk, in Form seiner gewählten Vertretung ihre Tätigkeit überprüfen darf oder nicht. Punktum! Erfreulich ist, daß sich einzelne Stimmen regten, die das üble Spiel nicht mehr mitmachen wollen. Sie wurden prompt gerügt. Vom Bundeskanzler, der dem Parlament (angeblich) verantwortlich ist...

Das eigentlich Betrübliche ist, daß diese Perversion der Verfassung und ihrer Gewaltentrennung als Baugesetz niemand merkt und schon gar nicht jemand dagegen protestiert. Die Abgeordneten der Begierungsparteien nehmen ihre Degradierung zu Marionetten von Parteivorsitzenden in Begierungsämtern offenbar demütig zur Kenntnis.

Der Bundespräsident spricht durch Zufall drei Tage später von der „Schattenweit, in der wesentliche Entscheidungen neben den gut funktionierenden Institutionen der Gewaltenteilung und des Parteienpluralismus fallen”. Gut gebrüllt, Löwe Klestil. Wo bleibt aber die Büge an die vom Staatsoberhaupt ernannte Begierung, die ihr Gelöbnis auf die Verfassung in so offenkundiger Weise verletzt? Wo bleibt der Aufschrei der Medien, die sonst keine Gelegenheit vorbeigehen lassen, die Regierenden an ihre Pflichten zu erinnern? Wir müssen immer mehr erkennen, daß jede Achtung vor dem Parlamentarismus verloren gegangen ist. Das ist unser aller Schuld. In erster Linie ist sie aber von denen zu tragen, die sich verpflichtet haben, ihre Wähler vor dem Staat und seinen Gewalten zu repräsentieren. Ein eigenständiges Wollen der Abgeordneten in ihrer Gesamtheit ist praktisch nicht mehr vorhanden!

Ernsthaft wird nun darüber nachgedacht, das Einsetzen von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen zu einem Recht der Minderheit im Nationalrat zu machen. Absurderweise wird das als möglicher Fortschritt angesehen! In Wahrheit würde sich aber damit die Volksvertretung endgültig ihr eigenes Armutszeugnis ausstellen. Sie würde zugeben, daß Abgeordnete der Regierungsparteien ihre Pflichten auch dort nicht wahrnehmen wollen oder dürfen, wo es um eine ihrer vornehmsten Aufgaben geht. Die Aufgabe, Regierungsgewalt zu kontrollieren, würde damit endgültig auf die Opposition abgeschoben. Dies aber mit ganz wesentlichen Nachteilen, die niemand zu bedenken scheint: Es stünde nicht mehr der politische Wille zur Reinhaltung und Offenlegung der Machtausübung im Vordergrund, sondern Strategie und Taktik der Oppositionsparteien. Nicht mehr der Parlamentarismus selbst würde handeln, sondern er gelangte zu seiner Spaltung, ja eigentlich Atomi-sierung. Hie braves Buckeln vor den Trägern der Macht, da wildes Attackieren um jedenPreis. Wem jetzt die Augen nicht aufgehen, dem ist wahrlich nicht zu helfen. Es muß neuerlich und geradezu beschwörend in Bichtung der gewählten Volksvertreter gesagt werden: Macht euch endlich frei, besinnt euch auf eure Aufgabe und auf eure Würde! Das Hohe Haus darf sich nie mehr dem Vorwurf aussetzen, nur noch „Quatschbude” zu sein und auf diese Weise seinen eigenen Untergang in die Wege leiten.

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