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Schweigen uber osterreich

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„Der Mensch ist wie eine Blume, die am Waldrande wächst. Wenn sie die Sonne nicht versengt, sie nicht der Hagel zerschlägt, nicht die Sichel des Mähers trifft, wenn sie nicht ein Tier zertritt oder ein Hirte pflückt — wenn alles das glücklich vorübergegangen, dann hat ihr Lebenskeim noch den Winter zu bestehen“, schreibt in seinem nachdenklichen „Istocdo bago“ der alttürkische Weise Mehmed Beg Kapita Ljubusak. — Wir Österreicher können ihm aus Erfahrung recht geben. Wir haben, verlassen von allen, den Überfall Hitlers, den Terror, die Knebelung, die Gefängnisse, die Torturen, die Blutgerichte seiner Diktatur, die Schrecknisse und Zerstörungen des Krieges überstanden, wir überwanden die Brandung, die das schwere Geschehen hinter sich ließ, und gingen mit vereinten Kräften an die Wiedereinrichtung unserer Heimat. Aber zuweilen ist es, als hätten wir noch stärkere Proben unserer Lebenskraft und der moralischen Leistungsfähigkeit unserer Demokratie zu bestehen.

Londoner Meldungen lassen es als zweifelhaft erscheinen, „daß die Lage Österreichs ernstlich erörtert werden wird, wenn die Außenministerkonferenz am 15. Juni wieder zusammentritt“. Sie hat in den eben abgeschlossenen Pariser Verhandlungen der Großen dieser Erde keinen Platz zu erhalten vermocht und es ist nicht einmal sicher, daß dies noch in diesem Sommer geschieht. Soweit von ihr nebenbei überhaupt die Rede war, war nur zu erkennen, daß Österreich zwischen machtpolitische Gezeitenströmungen geraten ist, die außerhalb seiner Grenzen und Einflußbereiche ihren Ursprung haben. Wenn etwa über die künftige staatliche Zugehörigkeit Triests die Verständigung so schwer ist, daß sie bisher noch nicht erzielt werden konnte, so geht es eben nicht nur um den schmalen Küstenstreifen unter den Hängen des Karstes, sondern um den Raum, der, auf keiner Landkarte vorgezeichnet, doch trotz seiner Unsichtbarkeit eine reale Größe, das wirtschaftspolitische Attraktionsgebiet der Hafenstadt Triest darstellt, einer der größten und für den Verkehr mit der Levante und dem Fernen Osten günstigst gelegenen Schiffahrtsemporen des Mittelmeerbeckens. An den Rändern dieses Raumes handelspolitischer Reichweite liegt Österreich. So gewinnt im Zusammenhang mit den Verschiebungen, die der Lauf der Kriesereignisse auf dem Balkan hervorgebracht hat, mit den Veränderungen, die England nicht ohne schmerzlichen Verlust, aber überlegener Ruhe in Ägypten durch Rücknahme seiner bisherigen Machtstellung am Nil vorbereitet, das Fleckchen Erde Triest eine vielleicht weltgeschichtliche Bedeutung für den, der es besitzt oder doch für sich irgendwie gesichert weiß. Es ist zu verstehen, daß die verantwortlichen Sachwalter der Mächte den mächtigen Interessenkomplex, der hier nach einer einverständlichen Ordnung verlangt, jeder für seinen Teil mit größter Beharrlichkeit und dem höchsten Aufgebot politischen Geschickes behüten und die Entscheidungen Geduld auch von denjenigen verlangen, die diesem ernsten politischen Schauspiel nur als Zuschauer folgen können.

So auch von Österreich. Den Großen mag es jetzt schwer fallen, jetzt, wo sie vor ihren Kardinalfragen künftiger Gestaltung in Europa stehen, der Kleinen zu gedenken, um die sie sich alle wahrlich durch ihr Be-freiuungswerk genug verdient gemacht haben. Aber gerade das überstandene Ordal des zweiten Weltkrieges hat von seinem Ursprung an gezeigt, welch entscheidende Bedeutung auch kleine Staaten für naturgemäße Ordnungen und den Frieden aller Völker haben können. So glaubt auch das österreichische Volk bei aller Dankbarkeit für die erhaltene Befreiung aus der Despotie der Hitlerherrschaft ein Recht zu haben, daran zu erinnern, daß für den inneren Aufbau unseres Landes bei weitem noch nicht alles getan ist.

Wir Österreicher verursachen keine innere Unsicherheit durch Uneinigkeit und Zersplitterung, das innerpolitische System steht unter guter Führung auf festen Füßen. Dennoch kann sich die österreichische Demokratie nicht rühmen, gerade dort, wo die intimsten Herzensangelegenheiten unseres Volkes berührt sind, bisher Fortschritte erreicht zu haben. Und doch handelt es sich dabei um die innere Festigung dieser Demokratie, um eine Bewährung, die uns die letzten seelischen Reste des Nazismus austilgen, die Zuversicht auf die Kräfte des Landes und die Anerkennung seiner Lebensrechte bezeugen hilft. Noch ist die Zerreißung der österreichischen Wirtschaftseinheit nicht überwunden, noch wissen wir nicht, wieviel unserem Lande nach den Potsdamer Beschlüssen von unserem rechtmäßigen Eigentum bleibt, noch drückt uns die bittere Sorge um Südtirol, noch wissen wir nicht einmal, wie lange sich noch die Verhandlung des Vertrages mit Österreich hinauszieht, ja, wann sie beginnen soll, diese Verhandlung, die uns erst ganz zu einem freien, unabhängigen Staat machen soll.

Das alles reicht in eine weit höhere als bloß politische Sphäre. Die Weltorganisation der Vereinigten Nationen kann nach der Überzeugung ihrer Begründer, wie Präsident Truman immer aufs neue dem Gewissen der Menschheit einschärft, nicht ein bloßes mechanisches Gebilde, von Macht und Utili-tät zusammengefügt sein, wenn sie Dauerhaftigkeit besitzen soll. Sie muß in dem Glauben der Völker an die Geltung der Gesetze der Gerechtigkeit, in. dem Vertrauen auf ein wahres Völkerrecht begründet sein, ah eine siegreiche neue sittliche Ordnung. Auf einen Platz gestellt, auf dem sich vielleicht noch einmal die geistigen Geschicke des Kontinents entscheiden werden, verlangt das österreichische Volk sehnsüchtig danach, diesen seinen. Glauben, an die Gerechtigkeit, an die brüderliche Verbundenheit der Menschheit bestätigt zu sehen. Es kann sein, daß Österreich ein Prüfstein dafür wird, ob nicht nur der furchtbarste Krieg der Geschichte gewonnen wurde, sondern auch das Größere, ein für die ganze Menschheit segensreicher Friede- f.

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