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Schweiz am Balkan?

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Der Gegenbesuch des rumänischen Staats- und Parteichefs Nicolae Ceausescu ab 15. Juni 1970 in Paris bedeutet gerade jetzt mehr als eine höfliche Geste gegenüber der lateinischen Schwesternation. Ebenso war der plötzliche Besuch des meisterlichen Unterhändlers der Rumänen, Ion Gheorghe Maurer, in Moskau nicht bloß routinemäßig durch Freundschaftsbeteuerungen bestimmt. Der langjährige Vertrauensmann des Kreml in Rumänien, Emil Bodnäras, Schöpfer der rumänischen Volksarmee, führte eine Son-derdelegatdon nach Peking und nach Pjöngjang. Vom 22. bis 26. Juni dieses Jahres findet auch ein Besuch des rumänischen Regierungschefs I. G. Maurer in Bonn statt — nach vorausgegangenen kameradschaftlichen Aussprachen mit den Verbündeten des Warschauer Paktes und des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (COMECON). Gleichzeitig laufen auch noch Beratungen der Rumänen mit sehr differenzierten Partnern der Balkanstaaten.

Schon diese knappe Aufzählung verdeutlicht, daß Rumäniens Politik längst vor der Uberschwetnmungs-katastrophe, dem 13. Mai, und seither erst recht — trotz und wegen der Milliardenverluste einer Sintflut — zwei Zielsetzungen unablässig und beharrlich verfolgt: Gewährleistung einer stabilen Innenpolitik durch einen patriotisch-sozialistischen Zusammenhalt und das blockpolitisch nicht immer dankbare Rollenfach einer „Schweiz“ für Osteuropa und den Nahen Osten. Bereits vor der Sintflut hatte sich für Rumänien auch erneut eine verschärfte Konfrontation mit der sowjetischen Führungsmacht ergeben. Der Kreml wünscht den seit Jahresbeginn 1968 fertiggestellten Text eines neuen Freundschaftsvertrags mit Bukarest dem tschechoslowakischen „Modell“ anzupassen. Die rumänische Bündnispflicht sollte nicht nur innerhalb, sondern wohl auch außerhalb Europas gelten. Ferner sollte ein gemeinsamer COMECON-Investitionsfonds die künftige Koordinierung, überregionale Arbeitsteilung und engste Kooperation der kleinen Rudelblockwirtschaften beschleunigen und vollenden. Bereits vor den Überschwemmungen in Rumänien, Ungarn, Jugoslawien und Bulgarien gab es Schwarzseher, die ankündigten: Die überragend günstige Position des Kreml im Donau-Balkan-Gebiet, die sowjetische Flotte im Mittelmeer und neue Basen in Nordafrika und im nahöstlichen Raum werden dem Kreml Gelegenheit bieten, noch während des laufenden Jahres in Rumänien „den Laden dicht“ zu machen, Jugoslawien und Albanien erneut in die Zange zu nehmen! Die Überschwemmungskatastrophe in Rumänien hat zweierlei Effekte: Verluste von unvorstellbaren Ausmaßen, die vom Bauernhäuschen bis zu neuerrichteten Großbetrieben, von vernichteten Ernten bis zum Opfer zahlreicher Menschenleben reichen — eine Prüfung, die materiell erst nach Jahren überwunden sein kann. Gleichzeitig ergab sich unter dem Druck tobender Naturgewalten der beeindruckende Zusammenhalt eines ganzen Volkes, die Einheit zwischen Führung, Volk, Opfern und Helfern. Und der am „kapitalistischen Westen“ oft zu Recht bekrittelte Individualismus kam mit Initiativen beeindruk-kender Hilfeleistung den ideologisch näher stehenden Staaten und Hilfsorganisationen einfach zuvor. Allein die täglichen Spendenausweise in allen rumänischen Zeitungen belegen diesen Tatbestand.

Es geht indessen gerade für die betroffenen und geschlagenen Länder und Gebiete Südosteuropas um mehr als die Rettung vor Flutkatastrophen, vor Mangel und Hunger. Bereits im Februar dieses Jahres wurde ein Vorstoß der rumänischen Diplomatie bekannt: Bukarest wünschte eine Vorbereitungskonferenz zugunsten einer geplanten Konferenz der Regierungen für Frieden und Sicherheit Europas zu veranstalten. Jetzt, in der ersten Junihälfte, bahnt sich erneut eine rumänische Initiative zu Konsultationen aller Balkanstaaten an, unabhängig von ihrer machtpolitischen Zugehörigkeit. Zweiseitige und gemeinsame Beratungen der Balkanländer sollten einzelne Spannungen beseitigen und eine umfassende europäische Sicherheitskonferenz vorbereiten helfen. Kein neuer Gedanke, aber ein Ansatz zur föderativen Souveränität des Balkans!

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