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Sehr geehrte Herren Präsidenten!

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Wir wissen, daß Sie in den wenigen Stunden, die Sie in unserer Bundeshauptstadt zubringen, nicht mit den Problemen unseres Landes befaßt sein werden. Und wir verstehen durchaus, daß Wien für Sie eine Stadt „auf halbem Wege“ darstellt, die sich Ihnen als praktisch günstiger Ort für ein weltpolitisches Gespräch anbietet, zu dessen Art und Themenkreis wir uns keine direkte Stellungnahme anmaßen können oder wollen.

Dennoch haben unser Bundespräsident und unser Bundeskanzler in Übereinstimmung mit der Meinung unseres gesamten Volkes in den letzten Tagen erklärt, daß wir bei diesem Gespräch zwar nur die Funktion des höflichen und hilfsbereiten Quartiergebers auszuüben gedenken, dennoch aber nicht nur d.es- interessierte Zuschauer sein können. Wir können dies schon deswegen nicht, weil wir mit der übergroßen Mehrzahl der Bewohner dieser Erde an einer friedlichen Lösung der großen Streitfragen, an der Schaffung friedlicher Voraussetzungen für die Austragung jener großen und ernsten Gegensätze interessiert sind, die unsere Gegenwart bestimmen. Solche Gesinnungen und Wünsche teilen wir aber schließlich mit Millionen anderer Menschen in allen Teilen der Welt.

Über diese allgemeinen Gesichtspunkte hinaus aber glauben wir, daß die Österreicher Ihnen, sehr geehrte Herren Präsidenten, einige besondere Perspektiven zur Beachtung empfehlen dürfen, die wir nachstehend skizzieren wollen.

Um gleich etwas vorwegzunehmen: Wenn wir uns erlauben, Ihnen gegenüber vom „Geist von Wien“ zu sprechen, so geschieht dies nur in einem ganz konkreten, gegenwartsbezogenen Sinn.

Gewiß haben wir eine große österreichische Geschichte, auf die wir stolz sind und deren Tradition wir nicht missen möchten. Aber wir wissen sehr gut, daß Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, diese Geschichte Österreichs vor allem im Zusammenhang mit der großen Geschichte Ihrer eigenen Staaten und Gesellschaften sehen. Und wir wissen, daß die Dinge in dieser Sicht sehr verschiedene Akzente besitzen. Wir halten es für nicht notwendig, Ihnen das Modell des Wiener Kongresses von 1815 vor Augen zu führen oder Ihnen die Rezepte der Staatskunst eines Kaunitz oder Metternich zu empfehlen.

Wir schwärmen nicht für einen vielbesungenen „genius loci“ unserer Hauptstadt, der angeblich mit Walzerklängen und Mozart-Melodien, mit Sachertorte und „heurigem" Wein die Weltstreitigkeiten sanft zu lösen vermöchte: In Wien wurde in der Vergangenheit und wird in der Gegenwar. ebenso hart und entschieden um die großen Fragen der Zeit gerungen wie an anderen Orten der Erde, und ein kurzer Blick auf die Geschichte des letzten halben Jahrhunderts zeigt, daß es in der Mehrzahl dieser Jahrzehnte hier keinesfalls nur gemütlich und harmonisch zugegangen ist.

Wenn wir den „Geist von Wien“ beim Namen nennen, dann möchten wir in Ihnen keine historischen Anekdoten und keine romantischen Filmbilder beschwören, sondern Ihnen, sehr geehrte Herren Präsidenten, einzig und allein jenen 15. Mai 1955 ins Gedächtnis zurückrufen, an dem die Außenminister Ihrer Länder, zusammen mit ihren englischen und französischen Kollegen und dem österreichischen Außenminister jenen Staatsvertrag Unterzeichneten, der die Freiheit, die unser Land schon im April 1945 gewonnen hatte, international besiegelte:

Was dieser Tag von Wien — ganz abgesehen von der Bedeutung, die er für unser kleines Land selbst hatte — weltpolitisch bedeutete, scheint uns dies zu sein:

Zum erstenmal in der durch die Rivalität der Weltmächte gekennzeichneten Nachkriegsgeschichte war es an einem Punkt der Erde möglich, jenes Vertrauensklima zu schaffen, das uns die Voraussetzung für jede Vereinbarung vertraglicher Art zu sein scheint. Ohne ein bestimmtes Mindestmaß an solchem Ver-

trauen, ohne einen gewissen, in seinem Risiko selbstverständlich nach Menschenermessen genau kontrollierten „Vorschuß“ können noch so angestrengte diplomatische und juristische Bemühungen zu keinem Erfolg führen. Beide Weltmächte konnten damals annehmen, daß die Räumung ihrer Positionen auf dem Boden unseres Landes durch die andere Seite nicht im Sinne eigener Machterweiterung ausgenützt würde. Unserem kleinen Land aber würde das Vertrauen entgegengebracht, seine freiwillig übernommene Neutralität zu wahren.

Wir sind der Überzeugung daß das österreichische Problem eine weltpolitische Detailfrage darstellte und daß es sich nicht als ein überall gültiges Modell verallgemeinern läßt. Aber wir konnten feststellen, daß maßgebliche amerikanische wie sowjetische Staatsmänner in den letzten Wochen mehrfach von einer „österreichischen Lösung“ im Zusammenhang mit Problemen anderer Länder sprachen, ohne sofort bei der anderen Seite auf Widerspruch zu stoßen.

In einem vielstudierten Interview mit dem amerikanischen Publizisten Walter Lippman haben Sie, sehr verehrter Herr Ministerpräsident Chruschtschow, allerdings ausdrücklich festgestellt, daß es wohl neutrale Staaten, in der verantwortungsbewußten Politik aber keine neutralen Menschen geben könne. Wir Österreicher entnehmen daraus, daß Sie die österreichische Lösung, die ja auf dem Gedanken an die Möglichkeit einer solchen, für beide weltpolitischen Lager annehmbaren Neutralität beruht, nicht im Sinne einer Preisgabe oder Aufweichung einer Gesinnung verstanden haben. Ebenso haben Sie, sehr verehrter Herr Präsident Kennedy, in Übereinstimmung mit den leitenden Männern Ihrer Administration bereits des öfteren klargemacht, daß auch Ihren Augen die korrekte Neutralität nicht gleichbedeutend sein muß mit verdeckter Parteinahme für die andere Seite.

Wir schmeicheln uns, sehr verehrte Herren Präsidenten, daß diese Ihre Erkenntnisse und Feststellungen der letzten Monate nicht zuletzt durch die Erfahrungen veranlaßt wurden, die Sie in den vergangenen sechs Jahren mit dem „Beispiel Österreich“ machen konnten. Und wir bitten Sie sehr, uns so, und nur so zu verstehen, wenn wir uns erlauben, Ihnen gegenüber in dieser Stunde den „Geist von Wien" beim Namen zu nennen.

Wir glauben aber, wie immer Ihre Beratungen heute und morgen ausgehen sollten, daß diese, unsere Hauptstadt noch öfters in den Gesichtskreis Ihrer Überlegungen treten wird. Im vergangenen Herbst wurde der Name Wiens während der unter keinem guten Stern stehenden Beratungen der UNO-Vollversammlung als einer der möglichen Städte genannt, die in der Zukunft einmal Sitz der Vereinten Nationen sein könnten. Diese Ihnen vorliegende Zeitung hat damals den Gedanken aufgegriffen und sich erlaubt, die Perspektiven einer solchen Ortswahl zu entwickeln. Leider wurde in der Debatte, die dann folgte, der Gedanke des UNO-Tagungsortes mit einem Konzept der Neuorganisation der Vereinten Nationen verbunden, das nicht die Zustimmung der Vollversammlung — übrigens auch nicht die unsere — fand. Wir sind aber der Meinung, daß diese Frage dennoch an der Tagesordnung bleiben wird. Wir gehen einer Zukunft der Menschheit und ihrer vielen Völker entgegen, die nicht durch die Hegenomie eines einzigen oder einiger weniger Staaten in den Griff zu bekommen sein wird. Und wir glauben, daß es schon in absehbarer Zeit für die heute militärisch führenden Weltmächte vorteilhafter sein wird, ein wirkliches Forum für die großen Auseinandersetzungen friedlicher Art zu besitzen, das an einem Punkt der Erde außerhalb des unmittelbaren Machtbereiches der gegnerischen Partner liegt, als mit der gleichzeitigen Verantwortung für die landeseigene und die intetnationale Politik an einem einzigen Ort belastet zu sein.

Wir glauben kaum, daß solche Entscheidungen schon in den nächsten Monaten fällig werden. Aber Sie verübeln es uns wohl nicht, sehr geehrte Herren Präsidenten, wenn wir Sie heute schon bitten, sich bei einmal aktuell werdenden Dispositionen an Wien zu erinnern.

Sicher gibt es auch andere Städte in anderen Kontinenten, die einen Anspruch auf Beherbergung der Vereinten Nationen erheben können, und es liegt uns fern, diese abzuwerten. Aber wir glauben dennoch, für Wien einige Gründe ins Treffen führen zu können, die ihm einen gewissen Vorzug verleihen:

Nicht nur der seinerzeitige Völkerbund erwog zu Zeiten ernsthaft seine Verlegung nach Wien, nicht nur die Europakonzepte in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen sahen unsere Stadt als eine natur- und geschichtsgegebene Metropole des Kontinents an. Dies alles könnte in unserer Zeit, die ja im Weltmaßstab und nicht mehr in Kontinentalräumen oder historischen Grenzen denkt, belanglos geworden sein. Auch die Kraftlinien der Gegenwart weisen mit Deutlichkeit auf die politisch-geographische Lage einer Hauptstadt hin, die von allen Metropolen der westlichen Welt dem östlichen Machtbereich am nächsten liegt. Aber mehr noch: schon in den letzten Jahrhunderten der größeren Vergangenheit war Wien eine Stadt von besonderer Offenheit und Bereitschaft zur Begegnung von Menschen aller Rassen, Hautfarben und Konfessionen. Das kulturelle und geistige Gesicht der alten Hauptstadt eines Vielvölkerreiches ist ja von diesem brüderlichen Nebeneinander geprägt worden. Das hat nicht nur ein Mann wie Hitler, der Wien gerade ob dieser weltzugewandten Offenheit zeitlebens mit dem tödlichen Haß des Menschenfeindes verfolgte, erkannt. Das wissen auch jene nach tausenden und aber tausenden zählenden Gäste und Studenten aus den heute selbständig werdenden Staaten Asiens und Afrikas. Und wir sind der Meinung, daß der Name unserer Hauptstadt bei den Bescheid wissenden Staatsmännern dieser Länder, die morgen über den Sitz der UNO maßgeblich mitzubestimmen haben, einen guten, durch keine düsteren Erinnerungen an die Vergangenheit belasteten Klang hat.

Wir nehmen nicht an, sehr geehrte Herren Präsidenten, daß Sie sich bei Ihren zeitbedrängten Beratungen näherhin mit diesem zur Zeit nicht spruchreifen Problem befassen werden. Aber wir haben die Hoffnung, daß Sie in einigen Augenblicken mit dem Instinkt der Politiker etwas vom Geist und der Atmosphäre dieser Ihrer Umgebung wahrnehmen, des heutigen, des für morgen bereiten Wien, das zwar seine Tradition ehrt und aus ihr Kraft schöpft, aber nicht in Modell- und Denkvorstellungen einer für immer beendeten Vergangenheit verhaftet ist. Unsere Stadt, sehr geehrte Herren Präsidenten, ist jung und lebenskräftig genug, in einer solchen Zukunftsaufgabe — Sitz der Vereinten Nationen zu sein — bejahenswerte Sinnerfüllung zu finden und dieser Aufgabe mit der gleichen Begeisterung und Tatbereitschaft zu dienen, wie sie dies in den vergangenen Jahrhunderten gegenüber historischen Aufgaben vermochte, die heute abgeschlossen sind.

„Auf eine gute Nachred’“, sagt man bei uns, wenn man sich verabschiedet. Dürfen wir hoffen, sehr verehrte Herren Präsidenten, daß sich Wien bei Ihnen in gleicher Weise „guter Nachrede“ wie auch der Erinnerung in einem bestimmten Augenblick der vielleicht schon recht nahen Zukunft erfreuen wird? Wir hoffen zunächst, daß das, was w i r dazu beizutragen vermögen, geschehen wird.

Unsere aufrichtigen Wünsche — für uns Christen sind sie in so entscheidenden Stunden immer mit dem vertrauensvollen Gebet zum Heiligen Geist verbunden — begleiten Ihr Gespräch, das Sie wohl auf dem exterritorialen Boden Ihrer Botschaften, dennoch aber zwischen unseren alten Mauern führen werden

„DIE FURCHE“

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