"Selbstbetrug ist nicht der richtige Weg"

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Der Fall Ungarn und die demokratiefeindliche Politik von Viktor Orbán könnten tiefgreifende Auswirkungen auf die Zukunft Europas, aber auch auf Österreichs Regierung haben, meint Paul Lendvai.

DIE FURCHE: Viktor Orbán wird das Rechtsstaatsverfahren gegen seine Regierung anfechten, das im EU-Parlament beschlossen wurde. Einmal ganz trocken gefragt: Halten Sie Ungarn für einen Rechtsstaat? Ein Bericht des EU-Parlaments spricht von einer "systemischen Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn".

Paul Lendvai: Darüber braucht man nicht zu diskutieren. Es ist offensichtlich, dass Ungarn keine Demokratie mehr ist. Es ist noch keine offene Diktatur, aber die Gewichte verschieben sich und man kann nur darüber diskutieren, wie man das nennen soll, die Alleinherrschaft und die absolute Macht von Ministerpräsident Orbán. Alles, was in diesem Bericht steht, ist im Grund richtig. Auch wenn das von manchen Orbánverstehern oder Putinverstehern, die keine Ahnung von der Lage haben, bezweifelt wird.

DIE FURCHE: Ungarn war bei seinen juristischen Maßnahmen gegen das Parlament sogar noch langsamer als die FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl, die schon am Wochenende eine Überprüfung des Votums beim juristischen Dienst des EU-Rates beantragt hat. (Der Dienst erklärte sich für nicht zuständig.) Wie sehen Sie denn die Rolle Österreichs und seiner Regierung?

Lendvai: Das ist eine Regierung mit zwei Gesichtern. Ich war im Jahr 2000 ein Verteidiger der Regierung gegen die Sanktionen. Nicht weil ich für Schwarz-Blau war, sondern weil ich die Angriffe für heuchlerisch, ungerechtfertigt und kontraproduktiv gehalten habe. 1986 habe ich Österreich in der Waldheimaffäre verteidigt. Aber jetzt ist es etwas Anderes. Es vergeht kaum ein Tag oder eine Woche, in der nicht Gespenster der Vergangenheit erscheinen.

Es sind natürlich auch operettenhafte Ereignisse dabei, wie Wladimir Putin bei der Hochzeit der Außenministerin. Aber im Grunde ist es unglaublich. Es ist in der österreichischen Nachkriegsgeschichte noch nie vorgekommen, dass ein Teil einer Regierung mit den Gegnern jener europäischen Integration zusammenarbeitet, die der Regierungschef vertritt. Dass eine Hälfte der Regierung, noch dazu jene Hälfte, die die Geheimdienste und die wichtigsten Positionen kontrolliert, gemeinsame Sache macht mit Putin und den extremen Rechten, die Europa zerstören wollen. Es ist eine Frage ,wie lange das gut gehen kann.

DIE FURCHE: Aber die Positionen könnten divergenter ja nicht sein. Kurz meint bezüglich Ungarn, "es gibt keine Kompromisse bei der Rechtsstaatlichkeit". FPÖ-EU-Parlamentarier Harald Vilimsky bezeichnet Orbán dagegen als einen "Helden Europas". FP-Vizekanzler Strache lädt Orbáns Partei in die rechte EU-Familie ein. Ist denn eine solche Spannung auf Dauer haltbar?

Lendvai: Das ist die große Frage für die Zukunft. Es wird den Wahlkampf für das EU-Parlament geben und da muss man Farbe bekennen. Das ist eine neue Geschichte und da muss man auch in Betracht ziehen, dass der politische Wind von rechts weht. Aber es gibt ja auch Gegengewichte. Ein großer Hoffnungsschimmer ist natürlich Emmanuel Macron. Ich hoffe auch, dass diese große Politikerin Angela Merkel noch einige Jahre im Amt bleibt.

DIE FURCHE: Ein ähnliches Bild wie in Österreich zeigt sich auch in Italien, wo die Fünf-Sterne gegen Orbán und die Lega für Orbán gestimmt haben. In Deutschland zieht sich ein Riss durch das konservative Lager. Was bedeutet das, dass so viele Länder gerade in einer Zeit, wo es um den Brexit geht, regierungsintern gespalten sind?

Lendvai: Es ist eine Wendezeit und es kommt wieder zum Tragen, dass die stärkste Kraft der Nationalismus ist, der Europa schon zweimal in einen Krieg geführt hat. Dagegen muss man auftreten und kämpfen. Noch ein Wort zu Ländervergleichen. In Italien gab es in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Regierungen und die Koalition genießt noch die Unterstützung der Bevölkerung. In Österreich ist die politische Stabilität der Regierung immer ein Erfolg der Zweiten Republik gewesen. Diese Stabilität ist hier also etwas sehr Kostbares.

DIE FURCHE: Aber wie ist es denn zu den Verwerfungen innerhalb der EU gekommen. Das hat doch nicht alles nur mit Flüchtlingen zu tun.

Lendvai: Die Flüchtlinge sind ein wichtiges politisches Kleingeld. Aber die eigentliche Geschichte ist, dass die postkommunistischen Staaten nach dem Fall des Kommunismus von Europa Hilfe erwartet und bekommen haben. Aber sie tun nichts zur Verteidigung der Werte. Wir sehen heute, dass Polen einen ähnlichen Weg wie Ungarn einschlägt. Dazu kommt noch: Wenn sie die rumänische oder slowakische Regierung ansehen und dann die ungarische, dann sehen Sie, dass hinter der nationalistischen Kraft sofort die Korruption kommt. In Ungarn ist sie besonders ausgeprägt. Es ist die Besetzung des Staates durch eine korrupte Hierarchie. Es sind hier keine ideologischen sondern machtpolitische Fragen.

DIE FURCHE: Ex-Kanzler Schüssel hat davor gewarnt, Ungarn in die Enge zu treiben. Nun drehen die ungarischen Medien aber den Spieß um, und Kanzler Kurz wird zum Soros-Agenten gemacht. Just wegen der Mitgliedschaft in einem Soros-Thinktank (Europäischer Rat für Außenbeziehungen), dessen Mitglied auch Wolfgang Schüssel ist. Sollte man mit Orbán dennoch sanft umgehen?

Lendvai: Orbán ist sicher nicht das, wovon Konrad Adenauer oder Helmut Kohl geträumt haben. Das hat mit konservativen Prinzipien und Ideen nichts zu tun. Und da gibt es eine einzige Methode. Die EU-Transferzahlungen kürzen. Das verlangt natürlich sehr schwierige Entscheidungen von der Union. Aber Selbstbetrug ist nicht die richtige Politik.

DIE FURCHE: Ein Austritt von Ungarn aus der EU wird diskutiert unter Verweis auf den Brexit. Halten Sie das für möglich?

Lendvai: Nein. Erstens ist die Mehrheit der Ungarn für die EU. Zweitens ist Orbán ein viel zu raffinierter, erfahrener und skrupelloser Politiker, dass er so etwas machen würde. Er wird einen großen Sieg bei den kommenden Wahlen erreichen, weil seine populistische und nationalistische Agitation und die Angst vor den Einwanderern gewirkt haben und weil es keine echte Opposition gibt. Orbán ist also in einer bequemen Situation und er wird abwarten und dann der traditionellen Opferrolle Ungarns treu bleiben. Die große Gefahr ist, dass er sich zum Wortführer eines "Nein"-Blocks in der EU hochstilisiert und zugleich mit den nationalistischen Rechtspopulisten von Italien bis Österreich de facto ein Lager bildet.

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