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Serbien — nur ein Wintermärchen

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Die Beschreibung des Schneegestöbers an der Drina in Peter Handkes Reisebericht über Serbien gehört vielleicht zu den besten Seiten, die dieser bedeutende Dichter geschrieben hat.

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Die Beschreibung des Schneegestöbers an der Drina in Peter Handkes Reisebericht über Serbien gehört vielleicht zu den besten Seiten, die dieser bedeutende Dichter geschrieben hat.

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Ob Peter Handke den Titel „Gerechtigkeit für Serbien" für seinen langen, langen Text in der „Süddeutschen Zeitung" gefunden hat, oder die Redaktion, wüßte ich nur zu gerne. Wäre ich der Redakteur gewesen, hätte ich vorgeschlagen, den Titel „Serbien -ein Wintermärchen" zu nehmen. Aber Märchenerzähler Heine war Deutscher, wenn auch jeder Nazi hinzufügen würde - ein Jude. Handke kann kein Serbe sein.

Natürlich habe ich mich trotz aller seiner Irrtümer und Oberflächlichkeiten gefreut, daß Handke, einer, der immer „dagegen" ist, was für ihn spricht, einmal „die andere Seite" zeigen wollte, im Grunde genommen gegen die „Verteufelung" eines Volkes und seines Namens Stellung nahm.

Er haute damit in dieselbe Kerbe, die ich seit langem zu treffen hoffe, wenn ich sage: „Sagt nicht die Deutschen, wenn ihr Hitler, sagt nicht die Serben, wenn ihr Karadzic, Mladic oder Arkan meint."

Was mich zur Zeit stört, ist, alle Welt diskutiert über Handke, kaum jemand darüber, wie es in Bosnien, aber natürlich auch in Serbien und Kroatien weitergehen soll.

Handke verläßt sich auf zwei zufällige Führer durch Serbien, er beschreibt sie auch und zeigt, daß sie selber in ihrer Heimat fremd geworden sind, was ihre Schuld nicht ist. Und er macht sich Gedanken zu oberflächlichen Berichten in den Medien, freilich - wie könnte es anders sein - selber auf eine oberflächliche Weise.

Über die Aggression, mit der die Ereignisse in meiner Heimat begonnen haben, die zum Bürgerkrieg geführt haben (ich gebrauche diesen Begriff, obwohl ich weiß, daß andere kluge und ernst zu nehmende Beobachter ein anderes Wort nehmen würden), liegen genug Fakten vor. Es genügt etwa, die schon veröffentlichten Memoiren des letzten Präsidenten Jugoslawiens, des Kroaten Stipe Mesic, mit denen des vorletzten Präsidenten, des Serben Borisav Jovic, des letzten Kriegsministers Jugoslawiens, Veljko Kadijevic, und des ersten Verteidigungsministers Sloweniens, Janez Jansa, mit den veröffentlichten Protokollen über die Gespräche mit den europäischen Vermittlern parallel zu lesen, und man sieht, wer in Slowenien, in der Krajina und in Vukovar „angefangen" hat. Es waren eindeutig aus Belgrad gesteuerte Aktionen.

Aber in einer Hinsicht hat Handke recht, so einfach ist es auch wieder nicht. Viele Menschen, hier muß ich sagen: viele Serben, fühlten sich bedroht und erinnerten sich an das Grauen des Zweiten Weltkrieges. Nur „gelang" es der Belgrader schlechten Politik, sie aufzuhetzen und dadurch ins Unrecht zu setzen.

Ich habe hier keinen Raum, um alle wichtigen und weniger wichtigen Irrtümer Handkes aufzuzählen. Nicht einmal mit Nebensächlichkeiten hat er recht. Nicht „die deutschen Okkupanten" haben, zum Beispiel, im Zweiten Weltkrieg die halbe Stadt Smederewo in die Luft gesprengt, bei der ungeschickten Sprengung eines Munitionslagers in der alten Festung, das nicht in die Hände der einrückenden Wehrmacht fallen sollte, passierte das Unglück. Das „Rohlingsgesöff", das Handke im Kloster Studenica serviert wird, würde ein jeder Norddeutsche sofort als eine Art Grog identifizieren, bei dem anstatt von Rum Slibowitz genommen wird. Aber lassen wir das. Und so weiter.

In Bosnien und Herzegowina wird es dieses Jahr Wahlen geben. Die IFOR wird früher oder später abziehen, was danach auf dem Balkan geschieht, hängt davon ab, wie sie ausgehen. Vor fünfeinhalb Jahren, im Dezember 1990, haben die ersten freien Wahlen seit es das Land gibt die drei national-nationalistischen Parteien der Moslems, Serben und Kroaten gewonnen. Sie haben dann ein Bosnien-Herzegowina mit einer Verfassung gebildet, das so verschieden von dem, was in Dayton beschlossen wurde, nicht war. Und auf Grund dessen entstand die Katastrophe.

Wenn in den „Entitäten", die sich „moslemisch-kroatische Föderation" und „Republik der Serben" nennen, wieder die nationalen Parteien gewinnen, und derzeit sieht es so aus, geht alles unter noch schlimmeren Voraussetzungen von vorne los.

Es gibt die Nationen übergreifenden Gruppen und Parteien, die eine Hoffnung darstellen, zumindest sein könnten. Sie werden nirgendwo erwähnt, ihnen hilft niemand, sie kennt weltweit kaum jemand.

So wie die sehr alte, sehr tief reichende „Erbfeindschaft" zwischen Deutschen und Franzosen dank einer einzigen Generation kluger und verantwortlicher Autoren, Journalisten, Professoren und Politiker überwunden worden ist, sollten wir endlich beginnen, die Abgründe zwischen den Völkern auf dem Balkan erst zu überbrücken, dann zuzuschütten. Und eines Tages nein, nicht vergessen, das wäre wieder falsch, aber verstehen, was dazu geführt hat, und daß es nicht die Völker waren.

Ich wage nicht zu hoffen, daß ich das erleben werden. Aber was soll ich anderes tun, als mit aller Kraft in diese Richtung zu wirken?

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