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Mehr als der gefrorene Konflikt mit dem Brudervolk im Norden macht Südkorea die Sandwichposition zwischen China und Japan zu schaffen. "Immer voran!" lautete das Motto der Olympiade in Seoul 1988. Über den Sport hinaus hat Südkorea diesen Spruch wahr gemacht: wirtschaftlich und politisch, denn diese Olympiade begünstigte auch die Demokratisierung des Landes - das Militär konnte sich im Fokus der Weltöffentlichkeit keine Unterdrückung der Opposition mehr leisten. Insofern wären Südkorea auch die Winterspiele 2014 vergönnt - angesichts der Salzburger Bewerbung der einzige Knackpunkt in einem von Harmonie und gegenseitigem Interesse geprägten Staatsbesuch von Bundespräsident Fischer.

Im Grenzort Panmunjom am 38. Breitengrad dient ein Fernglas nicht dazu, in die Ferne zu schauen, sondern die Nähe in die Ferne zu rücken und auf Distanz zu halten. Der US-Begleitoffizier Sergeant Kevin Perrone deutet mit seinem Zeigefinger einen Vogel, als der nordkoreanische Grenzsoldat, drei Meter vom südkoreanischen Visavis und zehn Meter von der österreichischen Besuchergruppe entfernt, einen Binokel an seine Augen führt. Was er von den Nordkoreanern hält, fasst Perrone in einem Wort zusammen: "crazy - verrückt!"

Fototermin mit dem Bösen

Am nächsten Tag bei einem Pressegespräch im Außenministerium in Seoul wird Chun Yung-Woo, Südkoreas Chefverhandler bei den Sechs-Parteien-Gesprächen über Nordkoreas Atomprogramm, die Befindlichkeit Pjöngjangs differenzierter beurteilen: "Nordkoreas Situation ist außergewöhnlich, die stecken in einer existenziellen Krise, da kann man nicht erwarten, dass sie sich normal verhalten."

Verrückt? Normal? Irgendwo dazwischen spielt sich auch die Visite im vier Kilometer breiten Niemandsland zwischen Nord-und Südkorea ab: Fast 170.000 Besucher reisen im Jahr eine gute Autostunde von Seoul an, erzählt der New Yorker Perrone, um zwischen Panzerabwehr-Wällen, Minenfeldern und Sicherheitszäunen mit Stacheldrahtkrone aus nächster Nähe einen Blick auf die "Achse des Bösen" werfen zu können.

Bundespräsident Heinz Fischer erzählt nach der Tour, dass sein Begleitoffizier mit "gruseligen Geschichten" nicht gespart hat; und auch Fischers Delegation darf sich bei Perrones Erzählungen ein wenig fürchten: An dieser Brücke "wäre 1976 beinahe der Dritte Weltkrieg ausgebrochen"; und damit die aktuelle Gefahr nicht aus dem Blick gerät noch Perrones Einserfrage: "Warum verstecken sich die südkoreanischen Grenzsoldaten immer zur Hälfte hinter einer Barackenwand? Damit sie sich bei einem plötzlichen Angriff schneller aus der Schusslinie werfen können", liefert der Zwei-Meter-Hüne die Antwort gleich mit - wohin sich in diesem Fall die Besucher auf der Aussichtsplattform werfen, fragt niemand zurück; irgendwie verständlich: die Suche nach der Idealposition für ein Erinnerungsfoto mit dem Bösen lässt keine den angenehmen Schauder störenden Einwände hochkommen - noch dazu, wo "der Feind" mit seiner Fernstechernummer so fotogerecht mitspielt.

Vorarbeiten zur Vereinigung

Ein riesiger Falke, der über den noch brach liegenden Reisfeldern kreist, ist der einzige, den die Infrastruktur dieser institutionalisierten Feindschaft nicht tangiert - ihm schmecken die Mäuse und Hasen hüben und drüben der Demarkationslinie gleich gut. Und mit dieser Einstellung kommt er der Wahrheit dieser Grenze wohl näher als alle Besucher, die der Grusel-Ästethik und dem Gut-Böse-Schema auf dem Leim gehen und sich nur zu gerne einen Konflikt vorspielen lassen, den es so nicht mehr gibt.

Die Zeiten feindlicher nordkoreanischer Tunnelbauten unter den südkoreanischen Minenfeldern hindurch sind vorbei; heute führt über Land die Staatsstraße Nr. 23, "die Straße der Freiheit", vierspurig und mit einem breiten Mittelstreifen versehen - die Möglichkeit eines späteren Ausbaus lässt sich bereits erkennen - von Seoul kommend durchs Niemandsland hindurch nach Norden; Kaesông, die Hauptstadt von Korea in alter Zeit, soll damit von Süden her erschlossen und zu einer Freihandelszone ausgebaut werden; und parallel zur Straße verläuft eine neue Eisenbahnlinie mit Endstation Dorasan auf südkoreanischer Seite; der hypermoderne Bahnhof an der heute noch toten Grenze wartet nur darauf, zum wichtigen Bahnknotenpunkt aufgewertet zu werden, wenn die Strecke einmal nach Nordkorea weitergeführt und darüber hinaus an das Netz der transsibirischen Eisenbahn angeschlossen wird.

Ferne Zukunftsmusik? Beim bereits erwähnten Gespräch mit dem südkoreanischen Chefverhandler Chun Yung-Woo erscheinen die Differenzen zwischen Süd-und Nordkorea nicht unüberbrückbar und ein Friedensregime auf der koreanischen Halbinsel keineswegs ausgeschlossen; sein Verhandlungs-Gegenüber aus dem Norden lobt Chun über den grünen Klee: "ein netter Mensch, vernünftig, ruhig, ein Mann großer Integrität"; und auch für die Positionen Pjöngjangs zeigt Seouls-Speerspitze im Annäherungsprozess viel Verständnis: Nordkorea sei voller Misstrauen, brauche Sicherheiten, es gehe darum, Pjöngjang die Grundlagen für die Behauptung zu nehmen, es werde von den USA bedroht; und umgekehrt brauchen alle anderen Ländern die Sicherheit, dass sie sich vor Nordkorea nicht fürchten müssen. Chun wünscht sich für Nordostasien "eine kooperative Sicherheit nach OSZE-Modell".

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die maßgeblich für den gegenseitigen Vertrauensaufbau in der Zeit des Kalten Krieges verantwortlich war, wird auch von den südkoreanischen Gastgebern bei ihren Gesprächen mit Bundespräsident Fischer immer wieder thematisiert. Wobei sich der Vertrauensaufbau nicht nur auf Nord-und Südkorea beschränken soll: "Das Misstrauen gegenüber den Nachbarn China und Japan ist größer, als ich es mir vorgestellt habe", sagt Fischer bei einem Resümee-Pressegespräch während des Heimflugs von Südkorea. Und auf die Frage, warum Nordkorea nicht den Reformweg Chinas einschlagen kann, meint der Bundespräsident: "China ist die Sonne in seinem eigenen Sonnensystem - da kann kein anderer Planet ebenfalls Sonne spielen."

Wilhelm Donko, der österreichische Botschafter in Seoul, wählt einen anderen Vergleich, um die ungute Sandwich-Position Koreas zu beschreiben: "Die Koreaner leiden darunter, ein Shrimp zwischen Walen zu sein." Und die Koreaner fürchten, zwischen den regionalen Playern China und Japan im Zusammenspiel mit den anderen Großmächten USA und Russland aufgerieben zu werden. Deswegen wird auch Fischers bei diesem Staatsbesuch gemachte Beobachtung richtig sein, dass Südkorea an einem EU-Engagement in den Sechs-Parteien-Gesprächen gelegen wäre. Nicht um eine siebte Partei, sondern um einen weniger von Eigeninteressen getriebenen ehrlichen Makler an den Tisch zu bekommen. Insofern lässt sich die skurrile Fernglasnummer in Panmunjom auch anders deuten: Als Ausschau-Halten nach einer Konfliktlösung, die nur in einer internationalen Fortsetzung der "Sonnenscheinpolitik" liegen kann: Wie in der Fabel von Äsop, in der es dem warmen Sonnenschein gelingt, einen Wanderer dazu zu bewegen, seinen Mantel abzulegen, während das der kalte Wind zuvor trotz aller Anstrengungen nicht geschafft hat.

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