6648335-1958_37_14.jpg
Digital In Arbeit

Sicherung der Märkte

Werbung
Werbung
Werbung

Die österreichische Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren zeitweise stürmisch aufwärtsentwickelt, und man kann sagen, daß die Industrie bei dieser Entwicklung den Ton angegeben hat; unter den vielen positiven Daten der Statistik ragten diejenigen über den Fortschritt der Industrie besonders hervor. Im Jahre 1954 lag die Industrieproduktion um 14 Prozent höher als im vorangegangenen Jahr, und 1955 wurde das Ergebnis von 1954 sogar um 16,3 Prozent übertroffen. Seither hat sich das Bild verändert; die Zuwachsraten sind bescheidener geworden, das Wachstum der Industrieproduktion hat lieh stark verlangsamt.

An die Industriellen stellt man nun die besorgte Frage, ob die Expansion zum Stillstand kommen wird und ob der bisherige Wachstumsprozeß in absehbarer Zeit gar in einen Schrumpfungsprozeß umschlagen könnte. Ganz offensichtlich hat die amerikanische Rezession jetzt unser Land erreicht, freilich zu einem Zeitpunkt, da sich in Amerika selbst schon wieder mannigfache Auftriebstendenzen bemerkbar machen. Der Industrielle, besonders jener, dessen Produktion stark vom Auslandsgeschäft abhängig ist, legt sich selbst die Frage vor, wieviel Zeit wohl vergehen wird, bis wir Anschluß an eine neue Konjunkturwelle gewinnen. Er kann diese Frage nur schwer beantworten, er ist darauf angewiesen, die aus dem Ausland übermittelten statjstischefl Daten zu lesen und die Zu- oder Abnahme der Auftragsbestände in seinem eigenen Unternehmen zu registrieren. Im Moment scheint wohl festzustehen, daß die amerikanische Rezession allein bei uns keine tiefen Konjunktureinbrüche mehr verursachen wird; gewiß ist die österreichische Industrie wegen des hohen Anteils der Exporte an der Gesamtproduktion stark von der Entwicklung der Weltkonjunktur abhängig, doch zeigt die Binnenkonjunktur eine bemerkenswerte, zumindest durch psychologische Einflüsse bisher nicht gestörte Stabilität. Auch sorgt eine umsichtige Finanzpolitik dafür, daß zu Zeitpunkten, da eine Stagnation einzutreten droht, konjunkturfördernde Impulse auf die Wirtschaft einwirken; solche Impulse waren beispielsweise im Jahre 1956 die Wiedereinführung der Bewertungsfreiheit und 1958 die Vermehttiftg“ der staatlichen Investitionen gegenüber den Vorjahren.

Für die — gewiß vorübergehende — Zeit der Konjunktur abschwächung und (was nur für einzelne Branchen gilt) des Konjunktur-rückschlages muß die Industrie ihr Anstrengungen verdoppeln, um ihre Produktion im In- und Ausland abzusetzen. Sie kann nicht auf Lager produzieren, in der Hoffnung, daß man ihr eines Tages die Ware wieder aus den Händen reißen wird. Vielmehr muß sie zu verkaufen trachten, wenn auch zu gedrückten Preisen und ungünstigeren Zahlungskonditionen. Hierbei sollten ihr nun nicht Schwierigkeiten bereitet werden.

Was ist damit gemeint? Es ist bekannt, daß sich Oesterreich in den letzten Jahren gewissermaßen zu einem sozialen Musterstaat jn Europa entwickelt hat. Die Sozialgesetzgebung hat den Arbeitern und Angestellten eine Unzahl von Begünstigungen und Vorteilen verschafft, welche die Arbeiter und Angestellten anderer Länder nicht genießen. Darüber hinaus hat die Industrie Beachtliches auf dem Gebiet'der sogenannten „freiwilligen Sozialleistungen“ hervorgebracht (eine von der Industriellenvereinigung durchgeführte Untersuchung hat ergeben, daß die freiwilligen Sozialleistungen im Durchschnitt aller Industriebetriebe nicht weniger als 10 Prozent der Bruttolohnsumme erreichen). Natürlich bürden die gesetzlichen wie' die freiwilligen Sozialleistungen den Unternehmungen schwere Lasten auf. Wenn man Löhne und Sozialleistungen summiert, so rangiert Oesterreich heute auch keineswegs mehr unter jenen europäischen Ländern, in denen die Arbeiter und Angestellten relativ schlecht bezahlt-werden — wir befinden: uns i;n Mittelfeld, was beachtlich erscheint, wenn wir bedenken, daß sich unsere Produktionsstätten samt und sonders in verkehrsungünstiger Lage befinden, verglichen mit den konkurrierenden Industrien in Seehafennähe und an großen Binnenwasserstraßen.

In einer konjunkturellen Lage wie der gegenwärtigen, da der Konkurrenzkampf, wie erwähnt, härter wird und wir uns jeden Auftrag aus dem Ausland erkämpfen müssen, sollte freilich alles getan werden, um auf der Seite der Produktionskosten zu sparen. Das soll nicht heißen, daß die Löhne gesenkt und die gesetzlichen Sozialleistungen beschnitten werden sollen — das zu fordern wäre ebenso unbillig wie unrealistisch. Auch bleiben die Unternehmungen bemüht, das ihren Arbeitnehmern bisher an Sozialleistungen freiwillig Gebotene aufrechtzuerhalten. Aber die Unternehmer müssen um Verständnis dafür bitten, wenn sie bei der Gewährung neuer Vergünstigungen für die Arbeitnehmer vorsichtig und zurückhaltend werden. Im Interesse der Sicherung des Absatzes und damit der Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung müssen sie vor jeder Maßnahme warnen, die im gegenwärtigen Zeitpunkt geeignet wäre, die Produktionskosten zu erhöhen.

Dies gilt zum Beispiel für die so aktuelle Frage der Verkürzung der Normalarbeitszeit. Der Gewerkschaftsbund fordert — ziemlich kategorisch — die Einführung der 45-Stunden-Woche ab 1. Jänner des kommenden Jahres, wobei die Wochenlöhne und Monatsgehälter in gleicher Höhe wie bjsher bezahlt werden sollen. Mit einiger Genugtuung haben wir dieser Tage zwar zur Kenntnis genommen, daß der Gewerkschaftsbund nicht länger an der schon vor einiger Zeit aufgestellten Forderung des Sozialministeriums festhält, den Rhythmus künftiger Arbeitszeitverkürzungen gleich auf einige Jahre im vorhinein festzulegen; der Präsident des Gewerkschaftsbundes erklärte in einem Artikel, die Gewerkschaften würden weitere Arbeitszeitforderungen (außer der nach der 4 5-Stunden-Woche) erst dann wieder stellen, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dies erlauben. Aber allein die Forderung nach der schlagartigen, alle Wirtschaftsunternehmungen zugleich erfassenden Arbeitszeitverkürzung um drei Wochenstunden am 1. Jänner 1959 bereitet der Industrie die allerschwersten Sorgen. Zur gleichen Zeit, da in Oesterreich dieses Verlangen so vehement geäußert wird, : haben die Gewerkschaften in der Schweiz und hat der sogenannte Sozial-Oekonomische Rat in den Niederlanden vor einer generellen Arbeitszeitverkürzung gewarnt. Sie haben gewarnt, weil sie fürchten, daß eine solche Maßnahme die Industrie oder zumindest einzelne Industriezweige in ihren Ländern in Schwierigkeiten stürzen und kampfunfähig für den Wettstreit auf den Exportmärkten machen könnte. Dieselbe Sorge hat die österreichische Industrie — und der Gewerkschaftsbund müßte diese Sorge eigentlich mit ihr teilen; denn es ist die Sorge um die Arbeitsplätze.

' Es ist wohl richtig, daß der Beschäftigtenstand in Oesterreich im Juli 1958 trotz Nachlassen der Konjunktur eine vorher noch nie erreichte Höhe erklommen hat, aber das Institut für Wirtschaftsforschung hat in seinem letzten Bericht eine ganze Reihe von Anzeichen dafür festgestellt, daß die Lage auf dem Arbeitsmarkt keineswegs mehr so rosig ist, wie dies einem oberflächlichen Betrachter erscheinen könnte. Die Arbeitslosigkeit hat in den letzten Monaten weniger stark abgenommen, als dies saisonmäßig zu erwarten gewesen wäre, und absolut lag die Zahl der Arbeitslosen Ende Juli immerhin um 8612 Personen höher als ein Jahr zuvor. Diese Zahl ist an und für sich nicht besorgniserregend (auch die Gesamtzahl der Arbeitslosen von 74.200 ist es nicht); aber man muß bedenken, daß besonders die Industrie die Kündigung von Arbeitskräften solange wie nur irgend möglich hinausschiebt, daß sie, in Erwartung einer Besserung der Lage, einen gewissen Prozentsatz von Arbeitskräften „mitschleppt“, ohne sie eigentlich noch voll einsetzen zu können. Diese Erfahrung haben wir bereits bei früherer Gelegenheit — in den Jahren 1952 und 1953 — gemacht.

Nun sagen die Gewerkschaften: Um vorzubeugen, daß diese Kräfte arbeitslos werden, soll die Normalarbeitszeit verkürzt werden — dann werden plötzlich wieder alle voll ausgelastet sein und die Arbeitslosigkeit wird nicht steigen. — Dieser Gedankengang, der von gewerkschaftlicher Seite in letzter Zeit wiederholt geäußert wurde, enthält ein Eingeständnis: daß die Gewerkschaften keineswegs hoffen (wie sie es sonst behaupten), die Verkürzung der Arbeitszeit werde seitens des Arbeitgebers durch Rationalisierung des Betriebes, und seitens des Arbeitnehmers durch vermehrte Arbeitsfreude wettgemacht — daß sie vielmehr mit der Notwendigkeit von Neueinstellungen oder, wo dies nicht möglich ist, mit vermehrten Ueberstunden rechnen. Ihre wahre Auffassung ist also die, daß sich die Unternehmer sehr wohl zu einem höheren Aufwand für den Kostenfaktor „Arbeit“ werden entschließen müssen, da sie in 45 Stunden nicht dasselbe produzieren können, was bisher in 48 Stunden geleistet wurde! Gerade dies aber ist es, was die Industrie im gegenwärtigen Zeitpunkt für kaum tragbar hält: die Verteuerung der Produktionskosten, die Erhöhung der Preise und damit die Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit im Ausland wie im Inland (wo sich infolge der Liberalisierung die Konkurrenz der Auslandsfirmen ja ebenfalls auswirkt).

Wenn in den nächsten Wochen über die Frage der Arbeitszeitverkürzung in Oesterreich verhandelt wird, dann sollte man die konjunkturelle Situation, in der sich unsere Wirtschaft gegenwärtig befindet, genau analysieren, ehe man übereilte Beschlüsse faßt. Niemand kann der österreichischen Industrie heute vorwerfen, daß sie unsozial eingestellt sei. Aber man muß ihre Sorge um die Sicherung der Märkte — innerhalb und außerhalb der Grenzen unseres Landes — verstehen; von der Selbstbehauptung auf dem Markt hängt das Schicksal vieler tausend Arbeitsplätze ab.

DIE UNFREUNDLICHEN GANGWOHNUNGEN und die veraltete Inneneinrichtung der meisten Wiener Häuser soll durch eine verbilligte Kredit-gebung allmählich ein gefälligeres Gesicht bekommen. Der Wiener Gemeinderat beschloß eine neue Aktion zur Hebung der Wohnkultur, die Stadt stellte dafür 100 Millionen Schilling zur Verfügung. Wie die Darlehen zur Modernisierung der Altwohnungen, werden auch die neuen Kredite, deren Höhe mit 10.000 S festgesetzt wurde, über die Zentralsparkasse der Gemeinde Wien abgewickelt. Die Kredite, welche sowohl an Haupt- wie an Untermieter zur Begebung gelangen, werden auf die Dauer von drei Jahren gewährt. Die Wohnungen müssen ich in Wiener Häusern befinden und dürfen das Ausmaß der im Wohnbauförderungsgesetz 1954 festgelegten Grenzen von 90 bzw. 110 Quadratmeter nicht übersteigen. Die Einrichtung von sogenannten amerikanischen Küchen, bei denen der Gedanke rationeller Raumausnützung vereint wird mit tunlichster Wohnlichkeit, ist ebenso in die neue Kreditaktion einbezogen worden wie die Beschaffung von Kühlschränken, die mit der Idee eines modernen Haushalts untrennbar verbunden ist. Die Kreditaktion wird, wie Generaldirektor Neubauer von der Wiener Zentralsparkasse erklärt, von seinem Institut so einfach wie möglich durchgeführt. Die Kreditwerber sollen keinen umständlichen Formalitäten unterworfen werden und anderseits die Verwaltungsspesen so Mein, wie Jiut, denkbar gehalten bleiben. Wer.von der Aktion Gebrauch machen möchte, begibt sich am bTTfzTnTm-ffindler'-'-cfie-Tiste der gelassenen Händler liegt in allen Filialen der Zentralsparkasse auf —, behebt einen Antragschein und füllt ihn aus. 20 Prozent der Kosten der gewünschten Anschaffung sind anzuzahlen. Es ist als sicher anzunehmen, daß von der neuen Aktion nicht nur eine weitgreifende Belebung der Wirtschaft, sondern auch eine nachhaltige innenarchitektonische Geschmacksbildung ausgehen wird. So wird wieder einmal der Beweis geliefert, wie ein von kommerziellen Gedanken geleitetes Unternehmen, dessen Einsatz für junge Künstler aller Gebiete hinlänglich bekannt ist, einen Beitrag zur Kunsterziehung leisten kann, dessen Wert in Zahlen kaum abzuschätzen ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung