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Slobodans Wahn und Ende

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Die Bilder aus Belgrad erinnerten spontan an jene des Schicksalsjahres 1989. Zigtausende auf den Straßen der Hauptstadt, die ihrer Enttäuschung, ihrer Wut, ihrem Zorn gegen das Regime Ausdruck verleihen. Wie in den ehemaligen Ostblockstaaten, so hat auch jetzt in Serbien das Regime einen Namen: den seines obersten Repräsentanten, der Symbolfigur für Repression und diktatorische Willkür, die abgehoben vom Elend breiter Teile der Bevölkerung, das sie selbst verschuldet hat, agiert.

Einer der ganz wesentlichen Unterschiede zwischen Slobodan Milosevic und Ceausescu & Co.: Milosevic hat eben erst einen Krieg verloren - und zwar auf allen Ebenen: militärisch, politisch, ökonomisch und moralisch. Letzteres ist zweideutig: Aus demokratisch-rechtsstaatlicher Sicht hätte dieser Krieg in keinem Fall moralisch gewonnen werden können. Zu eindeutig waren hier -entgegen allen Versuchen der Nivellierung und trotz vieler berechtigter „Ja, aber“ - die Rollen von Aggressor und Opfer verteilt. Es gibt freilich noch jene andere gewissermaßen nationale „Moral“, die die Dinge an Wohl und Wehe des serbischen Volkes mißt. Auch hier hat Milosevic verloren. Am deutlichsten kommt dies in der Art und Weise zum Aus druck, wie die serbisch-orthodoxe K ir-chenführung unter Patriarch Pavle zuletzt auf Distanz zum Präsidenten gegangen ist. In einer Erklärung von dieser Seite hieß es: „Die Heilige Synode verurteilt die Regierung, die sich nicht nur über den Wählerwillen hinweggesetzt hat, sondern vor allem auch unsere ruhmreiche und schmerzliche Geschichte mit Füßen tritt.“

Darin spricht sich aus, was viele - ganz gewiß nicht alle -unter den Oppositionellen und deren Anhängern empfinden: für lange Zeit (und einmal mehr) vorbei der Traum von Großserbien, vergebens all die menschlichen Verluste und materiellen Entbehrungen. In den Worten der Geistlichkeit wird der Mythos der serbischen Geschichte als eines Opfergangs, der der „Erlösung“ harrt, wieder greifbar. Nicht die Mißachtung der Wahlergebnisse ist das Primäre, sondern der „Verrat“ an Serbien ist unverzeihlich. Dieser „Verrat“ hat spätestens mit der Unterzeichnung des Dayton-Abkom-mens begonnen, eigentlich aber schon mit der Distanzierung von der ihre Frömmigkeit stets fernsehgerecht zur Schau stellenden Führung der bosnischen Serben in Pale.

Wenn die Puppe Milosevics nun als Spottfigur durch die Straßen Belgrads getragen wird, so mögen 'manche befürchten, in diesem Bild ihre eigene Nation widergespiegelt zu sehen: gedemütigt vor den Augen der (Weltöffentlichkeit. Dieser Gedanke muß unerträglich sein -nicht nur für die Nationalisten in der Opposition. Und dies eben verbindet die Nationalisten mit den demokratisch gesinnten Kräften: die Erkenntnis, daß Milosevic sein Land in eine Sackgasse manövriert hat, aus der er es selbst nicht mehr herausführen kann. Noch ist diese Erkenntnis nicht in alle Winkel Serbiens vorgedrungen, vor allem die ländliche Bevölkerung steht noch vielfach hinter dem Regime. Doch der Spielraum für Milosevic wird enger, daran kann auch sein zuletzt überraschend erfolgtes teilweises Einlenken im Fall der Ergebnisse der Kommunalwahlen nichts ändern. Den totalen Vertrauensverlust im eigenen Land überlebt kein Begime, es sei denn um den Preis brutaler Gewalt und/oder durch Unterstützung von außen. Was letzteres angeht, so hat die OSZE in puncto Wahlen zwar klare Worte gesprochen; es wäre indes auch Sache der einzelnen Begierungen, Milosevic die Hoffnung auf augenzwinkernden Beistand jeder Art zu nehmen. Sollte der serbische Präsident aber doch noch auf Eskalation der Gewalt setzen, so würde dies ein verschärftes und geschlossenes Vorgehen der westlichen Länder nur vorantreiben.

Milosevics Verschwinden von der Bühne erscheint somit absehbar. Doch dann wird der Blick frei werden auf die gigantischen Probleme des Landes; und Europa wird sich erleichtert wieder anderem zuwenden.

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