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Solidarität oder Feudalisierung
Neue Gruppen statt alte Klassen. Die Sozialstaat- Reform muß diese gesellschaftlichen Veränderungen berücksichtigen. Der katholische Sozialethiker Johannes Schasching (SJ) im FURCHE-Gespräch.
Neue Gruppen statt alte Klassen. Die Sozialstaat- Reform muß diese gesellschaftlichen Veränderungen berücksichtigen. Der katholische Sozialethiker Johannes Schasching (SJ) im FURCHE-Gespräch.
DIEFURCHE: Die Diskussion über den Umbau des Sozialstaats Österreich reißt nicht ab. Wie beurteilen Sie die Debatte?
JOHANNES SCHASCHING: Die Sozialenzyklika Centesimus Annus diagnostiziert ein starkes Bewußtsein für Ökologie, für die Natur, weniger aber für Humanökologie, also die sozialen Grundprobleme. Grundsätzlich muß man unterscheiden zwischen dem großen überstaatlichen, europäischen und weltweiten Bereich einerseits und den innerösterreichischen Problemen andererseits. Ansonsten verbeißen wir uns in den Kleinkram österreichischer Probleme und verlieren den weltweiten Aspekt aus den Augen. Betreffend Österreich werden wir in den nächsten Jahren aufgrund des Umbaus innerhalb Europas noch massive Strukturveränderungen erfahren, nicht nur in der Landwirtschaft. Mit der Folge, daß Arbeitsplätze wegrationalisiert und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Diese Umstellung erzeugt im Übergang starke Arbeitslosigkeit, die vor a Ilern unsere älteren und ganz jungen Arbeitnehmer betreffen wird. Für die Soziallehre wird dies die große Frage der Zukunft: Wie wird unsere Gesellschaft morgen den arbeitsfähigen Menschen eine zur Entfaltung und menschlichen Verwirklichung entsprechende Arbeit geben können? Hinzu kommt das zweite Problem, daß dies alles ohne eine Umverteilung — im richtigen Sinn verstanden — nicht möglich sein wird.
DIEFURCHE: JEizs verstehen Sie konkret unter dieser Umverteilung?
SCHASCHING:Wir sehen, daß es Gruppen gibt, die einen vollen Arbeitsplatz und darüber hinaus noch eine ganze Reihe von Chancen wie Überstunden haben. Daneben gibt es aber auch Gruppen, die keine dieser Chancen haben. Wir müssen uns daher fragen, ob es auch eine Umverteilung bei der Chance auf Arbeit geben kann. Jetzt werden einige sagen, daß dies eine Utopie ist. Im Frühsommer war ich bei einer Tagung der Gewerkschaft der Privatangestellten, wo darüber intensiv nachgedacht wurde. Man hat die Frage aufgeworfen, ob nicht jüngere Arbeitnehmer künftig mit mehr Lohn, mit mehr Einkommen ausgestattet werden sollen, da sie ja erst eine Existenz aufbauen müssen. Und daß die älteren Arbeitnehmer, die ihre Existenz bereits gesichert ha ben, man zur Solidarität mit den jungen Arbeitnehmern bitten sollte. Die Gewerkschaft sagt selbst, daß man dies nicht bei den derzeitigen Arbeitnehmern, sondern erst bei den künftigen Einsteigern in die Arbeitswelt beginnen sollte. Denen könnte gesagt werden, du bekommst jetzt mehr, aber vergiß nicht, in späteren Jahren wirst du auf einiges verzichten müssen, weil deine Existenz ja gesichert ist. Dies setzt natürlich ein starkes Stück Solidarität voraus.
DIEFURCHE: Ungerechtigkeiten im österreichischen Sozialsystem?
SCHASCHING: Man stößt sofort auf Widerstände und Ressentiments, weil viele sagen, Österreich ist im Bereich der Familienförderung ja ohnehin ein Musterstaat. Ich will keine Kritik an der bestehenden Fa- milienforderupg üben, ,aber trotz dieser Errungenschaften haben wir in Österreich noch immer nicht dieses Bewußtsein, daß die Lebenskraft der Familie für die Zukunft unseres Staates so bedeutsam ist, daß man fast alles investieren muß, um die Familie nicht bloß materiell zu unterstützen, sondern als Lebenseinheit ermöglicht. Wir sehen heute sehr deutlich, wo Solidarität herkommt. Durch Großeinheiten nur sehr begrenzt. Die Familie ist noch immer der primäre Zubringer an Solidarität. Wenn diese Schule der Solidarität ausfällt, kann ich sie nicht durch einen Sensitivity-Trainings- Kurs ersetzen. Da sind also noch immer gewaltige Lücken, wie sie auch der Katholische Familien verband aufzeigt, etwa in der Gestaltung der Arbeitszeiten. In der Sozialenzyklika haben wir die Feststellung, daß die Arbeitszeiten noch viel familiengerechter organisiert werden sollte. Wenn man nämlich merkt, wie unser Sozialgefüge in Österreich einreißt, wie junge Menschen ausbrechen, wie wir am Mangel an zwischenmenschlichem Glück leiden, dann würde ich sagen, die Familie wird zu einem Problemfeld, neben der Frage der Arbeit.
DIEFURCHE: Entsolidarisierung führt doch wohl in den Gruppenegoismus? SCHASCHING: Diese Gefahr quält sowohl politische Parteien als auch die Gewerkschaft. Wir gehen auf eine Gesellschaft zu, die nicht mehr in Groß-Solidaritäten denkt, sondern in Erbhöfen. Das ist eine Form der Re- Feudalisierung, zum Teil dadurch erklärbar, weil die Gesellschaft komplexer und unüberschaubarer wird. Nur wo nehmen wir die Solidarität her? Wir meinen, daß das gesellschaftliche Unterholz unabdingbar ist. Ich kann Solidarität nicht durch blattlose Urwaldriesen kommandieren, wenn wir das Bild vom Wald gebrauchen. Solidarität kommt subsidiär aus der kleinen Gemeinschaft.
DIEFURCHE: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird zur Zeit heftig diskutiert..
SCHASCHING: Centesimus Annus und schon Laborem Exercens sagen, daß der Staat den Frauen finanzielle Möglichkeiten schaffen muß, wenn sie zur Kindererziehung daheim bleiben wollen. Will aber eine Mutter arbeiten gehen, aus einer Reihe von Gründen, so soll sie nicht diskriminiert werden. Ich kenne eine Rei he von Frauen, die würden ganz gern eine bestimmte Anzahl von Stunden arbeiten, allerdings müssen sie dann auch versichert sein, die soziale Einbindung sowie, ein menschengerechtes Einkommen haben.
DIEFURCHE: Weg vom Gießkannen- Prinzip in der Sozialpolitik, hin zur gezielten Förderung?
SCHASCHING: Die Gesellschaft wird immer komplexer und vielschichtiger. Wir Soziologen sprechen jetzt von Gruppen, nicht mehr von Klassen und Massen. Es gibt keine reine Klasse der Proletarier oder der Kapitalisten mehr. Daher brauchen wir eine pointierte, akzentuierte Sozialpolitik für jene Gruppen, die in Not geraten sind und die Hilfe des Staates brauchen. Daher gibt es auch eine Reihe von Gruppennot, aber nicht mehr die Massennot. Wir brauchen eine Art Radargerät, das die soziale Not viel differenzierter aufspürt, mißt und sozialpolitisch betreut. Das ist nicht ganz leicht, weil die Sozialpolitik ganz glücklich ist, wenn sie mit Generallösungen operieren kann, sei es mit Abschreiben oder mit Steuerermäßigungen, also mit Großentscheidungen.
Mit Johannes Schasching SJ sprach Stefan Kronthaler.
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