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Sorgenkind Sizilien

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Die in Sizilien soeben durchgeführte „Operation Milazzo“ hat in folgendem bestanden: Als das aus 90 Mitgliedern bestehende regionale Parlament der Insel wegen der keine klaren Mehrheitsverhältnisse ergebenden Verteilung der einzelnen Parteimandate von einer Krisis in die andere taumelte, bot sich dem bis gestern der Democrazia Cristiana angehörenden Silvio Milazzo folgender Ausweg an: Bildung einer Notstandsregierung der Region Sizilien, zu deren Zustandekommen in erster Linie die Kommunisten, die Nenni-Sozialisten, die Monarchisten und die Neofaschisten, dann einige abtrünnig gewordene christliche Demokraten und Unabhängige beitrugen.

Um der solcherart formierten „Regierung“ die Mehrheit zu sichern; fanden sich also die heterogensten Elemente zusammen, insgesamt 48 von 90. Präsident wurde der inzwischen aus der Democrazia Cristiana ausgestoßene, in mittleren Jahren stehende Milazzo, derselbe, welcher nach Feststellung des offiziellen Organs der Partei, des römischen „Popolo“, schon einmal in der Vergangenheit, nämlich 1953, „wegen seiner philoseparafistischen Haltung“ aus der Partei ausgeschlossen worden war (später, nachdem er dem Separatismus abgeschworen hatte, war er wieder in Gnaden aufgenommen worden).

Diese „Operation Milazzo“, die auf einen Meisterstreich der Kommunisten zurückgeht, füllt die Spalten aller Zeitungen. Die der äußersten Linken frohlocken und spenden der „sizi-lianischen Selbsthilfeaktion“ höchstes Lob. Die der äußersten Rechten wissen nur schlecht ihre Verlegenheit ob dieses Bundes mit den Kommunisten zu verbergen. Die einzigen Parteien, die gegenwärtig laut und scharf protestieren, sind die in die Opposition gedrängten 42 Abgeordneten der Christlichen Demokraten und der Liberalen. Mit den Protesten ist es freilich nicht getan. Denn nach Meinung der unabhängigen Presse besteht kaum Aussicht, daß sich dieses vielfarbige Parlament der Un„natur“, wo die größten ideologischen und sachlichen Feinde nunmehr einträchtig zusammenarbeiten, vor den nächsten, für das Frühjahr 1959 vorgesehenen Regionalwahlen auflösen wird. Wie aber werden diese Wahlen ausfallen, wenn die bislang im sizilianischen (regionalen) Parlament stets führende katholische Partei in der Opposition steht?

Der den Liberalen nahestehende Mailänder „Corriere della Sera“ drückt, hierin mit dem genannten „Popolo“ wie mit allen regierungsfreundlichen Blättern einer Meinung, über die sich abseits aller politischen Vernunft bewegenden Vorgänge in Sizilien schroffen Tadel, ja Ekel aus. Er sucht nach Gründen für das unnationale Verhalten der an der „Operation Milazzo“ beteiligten Democristiani und findet deren viele: Die angeblich in Sizilien weitverbreitete Ablehnung der römischen Parteidiktatur durch die vom Festland nicht nur geographisch getrennten Inselbewohner, deren Vorfahren durch Jahrhunderte ihr Eigenleben geführt haben und die unter der heutigen Demokratie erst recht ihre „politische Freiheit“ beanspruchten; sodann den in der Partei Fanfanis ziemlich restlos zugunsten der Jüngeren entschiedenen Kampf zwischen den Generationen, der in Sizilien noch hin und her wogt. Die Aelteren, die sich große Verdienste zumessen, diese sogenannten „Nota-beln“, erweisen sich hier langlebiger als auf dem Festland und sind nicht ohne weiteres geneigt, sich den Befehlen der aus der jungen Generation zusammengesetzten römischen Parteileitung zu unterwerfen. Endlich — und hier wirken persönliche Egoismen und Spekulationen der sizilianischen Politiker mit — die Zurücksetzung der Inselbewohner in den römischen politischen Gremien, wo angeblich andere, zu; meist nördlich Orientierte über die wirtschaftlichen und sozialen Belange der Insel entscheiden. Erst recht gelte dies nach Meinung vieler Sizilianer für den doch zumeist Süditalien (einschließlich Siziliens) zugute kommenden S ü d-h i 1 f e p 1 a n von vielen Hunderten von Milliarden Lire. Die seit vielen Jahren mit Sitz in

Neapel fungierende Südkasse habe das südliche Element sowohl in den Ausschüssen wie in der Stellenbesetzung kaum berücksichtigt. Vergessen wird dabei nur, daß die Gesamtleistung Italiens für Sizilien ganz beträchtlich war und ist.

„Personalismus“ also, kleine und kleinliche Erwägungen, die allerdings ihr Gewicht haben und die den Unmut gegen die angeblich allmächtige, von Rom aus den Staat diktatorisch lenkende Democrazia Cristiana maßlos anfachenI Der „Corriera della Sera“ glaubt sogar, in dem hier und da wieder aufbrechenden Separatismus, der in Zeiten nationalitalienischer Not die im Grunde berechtigte und anerkannte sizilianische Autonomiebewegung auf große Strecken begleitete, eine üble Folge der sogenannten Regionalverwaltung zu sehen, jener von der Verfassung von 1948 für sämtliche 19 italienischen Regionen (Landschaften) vorgesehenen, aber erst in vier Regionen (Sizilien, Sardinien, Trentino-Süd-tirol, Valle d'Aosta) durchgeführten Verwaltungsautonomie. Diese Meinung wird zumal von weiten Kreisen der Christlichen Demokraten, von den Liberalen und von den Rechtsparteien geteilt, die in der Einführung der die zentrifugalen Kräfte weckenden Regionalverfassung eine Gefährdung der schwererkämpften italienischen Einheit sehen. Von hier sind zusätzliche psychologische Hemmnisse für die gerechten Wünsche der Südtiroler zu erwarten.

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