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Sozialismus in unserer Zeit

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Ein neuer Wegweiser :ur sozialistischen Gesellschaft. Herausgegeben von der Sozialistischen Union in London. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung. 144 Seiten. Preis 2t S

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Ein neuer Wegweiser :ur sozialistischen Gesellschaft. Herausgegeben von der Sozialistischen Union in London. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung. 144 Seiten. Preis 2t S

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Der englische Sozialismus war nie orthodox, sondern nachdrücklich im Handeln wie in der Theorie praxiskonform. Daher fällt es ihm erheblich leichter, „umzudenken“, als dem kontinentalen Sozialismus, weil das Umdenken und das jeweils neue Interpretieren der gegebenen Situation in der Schauweise der jeweiligen Gegenwart zum Wesen des Sozialismus in England gehört. Man vermag daher bereits abzusehen, wann der durchschnittliche Sozialismus Englands überhaupt kein „Sozialismus“ mehr im klassischen Sinn sein wird. Ein Beweis ist die vorliegende Schrift.

Ohne in die Tiefe der Probleme zu gehen und unter Vermeidung jeder wissenschaftlichen Beweisführung wird in einer „Studie in angewandter Ethik“ das sozialistische Bemühen einer Gruppe innerhalb der Labour-Partei sichtbar, in der Frage der Gestaltung der Wirtschaft zu einem neuen Konzept zu kommen.

Die „Altglauber“ gingen noch von der bis zur Konstitution einer „sozialistischen Gesellschaft“ bleibenden Gegensätzlichkeit der beiden Systeme, des „Kapitalismus“ und des Sozialismus, aus. Die Erfahrungen mit dem Wohlfahrtsstaat haben auf der Seite der Sozialisten die Sicherheit, mit der man bisher von der notwendigen Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus ausging, aufgehoben. Ist doch eine Schichte von „Sozialingenieuren“ ohne jedes Grundkonzept dabei, über die Einrichtungen des Wohlfahrtsstaates sozialistische Gedankengänge ad absurdum zu führen. Auf der anderen Seite orientieren sich die Doktrinäre auf „Landkarten“, die offensichtlich veraltet sind.

Was nun fehlt, ist ein Philosophieersatz, der an die Stelle des alten Freund-Feind-Denkens treten soll, um so mehr, als allmählich die Mittel vergöttert wurden und an die Stelle der großen Ziele des ursprünglichen Grundplanes traten. Die Mittel wurden alles, das Ziel nichts. Ob die Sozialisierung dem einzelnen Menschen nützt oder nicht, ist den Orthodoxen auch bei uns gleichgültig, wenn nur alles so ausgeführt ist, wie es im Buch steht.

Iii einem Katalog von dargebotenen Mitteln zur Erreichung der sozialistischen Ziele gehen die Autoren auf folgende Fragen ein:

1. Der Kampf um die Sicherheit wird heute mittels der Wirtschaftsplanung geführt, um einen Zustand der Vollbeschäftigung zu erreichen, und dies ohne Inflation. Den Verfassern scheint es ausreichend, wenn man die Nachfrage unter Kontrolle hält, insbesondere durch kreditäre Maßnahmen und Einsetzen fiskalischer Mittel.

2. Die gerechte Verteilung des Einkommens soll vor allem mittels der Ein-'körAMens'tetief erfolgen, wenn auch die Besteuerung 'wleni* ih'icnt “ausreicht, 'um die vorweg durch “die

Höhe der Bruttoeinkünfte gegebene Ungleichheit zu beseitigen. Daher ist eine Neuverteilung auch des Vermögens erforderlich, etwa durch die Sozialisierung, die aber nicht entschädigungslos, sondern auch durch eine progressive Besteuerung erfolgen kann.

3. Eine wirtschaftlicheExpansion kann nur dann erfolgen, wenn öffentliche und private Wirtschaft miteinander in Kombination treten.

4. In der Frage der industriellen Demokratie geht es darum, daß das System der politischen Demokratie auf die betriebliche Führung übertragen wird. Dabei scheint es unvermeidbar, daß auch das Verhältnis von Gewerkschaft und Betriebsräten neu geordnet wird.

Im letzten Teil der Arbeit stellen die Verfasser ein System sozialistischer Wirtschaftsführung heraus. Wirtschaftsmacht ist da, ob das Eigentum bei Privaten oder beim Staat ist. Es geht nun darum, die an sich unvermeidbare Macht derer, die wirtschaften, unter Kontrolle zu halten. Bisher übersah man zu sehr, daß ein Eigentümerwechsel allein kaum geeignet ist, den Gebrauch des Eigentums vorweg zu ordnen. So kann eine totale Verstaatlichung zur totalen Tyrannei führen. Die Folge ist eine neue und das Grundkonzept des Sozialismus aufhebende Einsicht in die Funktion des Eigentums an den Produktionsmitteln. Das Privateigentum ist nicht das Böse schlechtweg; es kann auch eine Bedingung der Freiheit sein. Auf der anderen Seite wird die Eigentümermacht der Manager durch die Sozialisierung nicht beseitigt, sondern geradezu notwendig. Was geboten erscheint, das ist vor allem eine Sicherung gleicher Chancen in der Wirtschaft, eine Art Gleichmacht auf den unterschiedlichen Märkten.

Was der Staat tun muß, das ist nicht Eigentümer sein, sondern die Eigentümer kontrollieren. Die Kontrolle kann unter anderem über das Budget erfolgen, über die Gesetzgebung und mittels aller Mittel, die dem Menschen nützen; sie mögen von der Orthodoxie gebilligt werden oder nicht. Die britische Arbeiterbewegung war nie Sklavin einer Doktrin und gibt unbekümmert traditionelle Vorstellungen auf, wenn sie mit der Wirklichkeit nicht mehr abgestimmt werden können.

Den Verfassern geht es um einen neuen s o z ialistischen Realismus in der Wahl der Mittel. Das heißt:

1. Der Sozialismus darf nicht weiterhin nur in materiellen Begriffen denken. Es soll nicht nur um eine Gleichheit der Chancen gehen, sondern auch um die Schaffung von Chancen für etwas (etwa um eine sinnvolle Ordnung des Konsums).

2. Die sozialistische Wirtschaft ist eine „gemischte“ Wirtschaft, distanziert von der Idee totalen Staatseigentums, da auch die Privatwirtschaft eine legitime Funktion hat,

3. Der sogenannte „öffentliche Sektor“ ist nicht allein identisch mit Staatswirtschaft. Heute ist wirtschaftliche Macht nicht nur durch die Inne-habung von Eigentumstiteln gegeben. Was der Staat tun muß, das ist die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der Bürger und die Schaffung von Bedingungen zur Ausweitung der Grundlagen der Wirtschaft.

4. Man soll erkennen, daß dem Wirken der Gesetzgebung Grenzen gesetzt sind.

Es gibt kern eindeutiges, in vorgegebene Thesen zu fassendes katholisches Wirtschaftskonzept. Bei jeder Art von wirtschaftlichem Konzept muß die Beurteilung auf die Elemente der christlichen Moral zurückgehen. Will man von der Moral her das vorgelegte Konzept der Sozialistischen Aktion prüfen (einer Gruppe im englischen Sozialismus, der nicht wenige Doktrinäre hat), man fände kaum etwas, das im Widerspruch zur christlichen Wirtschaftsmoral stände.

Ein lesenswertes Buch, das keine Vorkenntnisse voraussetzt, und ein Zeitdokument.

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