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SPD: Vertrauen auf die Disziplin

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Diese Stimmung in der Fraktion entsprach der Stimmung im Lande. Manche Funktionäre draußen vermochten nicht sogjeiöh über die Schatten der Vergangenheit zu springen und werden nun argwöhnisch darauf achten, wie das Unternehmen in Bonn verläuft, gegen das sie einen Widerwillen haben. Nicht zuletzt werden sie aufs Korn nehmen, wie sich die Zusammenarbeit mit Franz Josef Strauss anläßt, der für viele jahrelang der schwarze Mann der Demokratie war und dem nichtsdestoweniger jetzt in aller Öffentlichkeit der neue Wirtsohaftsminister Schiller enge und vertrauensvolle Kooperation zugesichert hat.

Wie hoch diese negativen Stimmungen in der SPD zu veranschlagen sind läßt sich schwer beurteilen. Hie und da tauchte sogar die Frage auf, ob der Bonner Entschluß nicht zu einer Zerreißprobe dieser Partei führen könnte und ob nicht sogar eine Absplitterung auf dem linken Flügel zu befürchten sei. Doch sind alte Sozialdemokraten, auch solche, die ebenfalls nur mit halbem Herzen bei der großen Koalition sind, der Auffassung, am Ende werde die traditionelle Partei- disziplin obsiegen. Keine Frage allerdings, daß zwischen SPD und Gewerkschaften noch harte Sträuße bevorstehen. Das gilt insbesondere in bezug auf die geplante Notstandsgesetzgebung. die von einem Teil der Gewerkschaften radikal abgelehnt, von der SPD mehrheitlich aber ebenso entschieden angestrebt wird.

Im übrigen spricht man sowohl bei der CDU/CSU wie bei der SPD von einem Bündnis auf Zeit. Das entspricht der Konzeption, gemeinsam eine Wahlrechtsreform herbeizuführen, hin zum reinen Mehrheitswahlrecht nach englischem Muster. Doch soll die chemisch reine Lösung erst nach einer Übergangsregelung in Kraft treten, das heißt, erst mit den Wah len im Jahre 1973. Ob dies das letzte Wort ist, steht indessen dahin. Man muß abwarten, ob beide Parteien nicht doch Gefallen an der gemeinsamen Ausübung der Macht finden werden. Das Mehrheitsrecht würde hingegen zwangsläufig dazu führen, daß sie sich spätestens 1973 wieder in der Arena auf Hieb und Stich gegenüberstehen würden und jede Partei damit rechnen müßte, für vier Jahre von der Ausübung der Macht verbannt zu werden.

Möglicherweise wird auch dies davon abhängen, wie die gesamt- politische Entwicklung verläuft. So läßt sich noch nicht erkennen, wie die FDP ihre Ausschließung in Bonn und die Aussicht, durch das Mehrheitswahlrecht ganz aus dem politischen Rennen im Bund geworfen zu werden, verkraften wird. Zur Zeit geben einige Bundestagsabgeordnete zu erkennen, daß sie überlegen, zur SPD überzutreten. Andere sprechen davon, daß die FDP nun versuchen solle, die NPD albzufamgen. Vorläufig bildet jedenfalls die FDP keine Opposition im Bund, die das politische Geschehen zu beeinflussen vermöchte. Und die Radikalen auf der Rechten? Allgemein wird mit ihrem Anwachsen gerechnet. Die neuen Regierungsparteien verfolgen diesen Vorgang darum mit größter Aufmerksamkeit und Entschlossenheit, möglichst den Anfängen zu wehren. Anderseits wird daran erinnert, daß im ersten Bundestag mehrere Dutzend Kommunisten und Rechtsradikale sowie Politiker anderer diffuser Schattierungen vertreten waren, aber kein langes Leben hatten.

Auf jeden Fall besteht kein Zweifel, daß die politische Entwicklung in der Bundesrepublik durch die Bildung der großen Koalition in Bonn neue Aufwinde erhalten hat, deren Mächtigkeit und endgültige Stromrichtung erst die Zukunft erweisen kann.

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