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Spiel mit dem Feuer

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Im Augenblick, da diese Zeilen geschrieben werden, nach dem Scheitern der Bemühungen des christlich-demokratischen Fraktionsführers in der Abgeordnetenkammer, Giulio Andreotti, um eine Regierungsbildung und der Erteilung des gleichen Auftrags durch Staatspräsident Saragat an den bisherigen Schatzminister Emilio Colombo, ist nach fast drei Wochen intensivster Verhandlungen und Bemühungen noch kaum ein Ausweg zu sehen, wie die italienische Innenpolitik aus der Sackgasse herausgeführt werden könnte, in die sie durch die überraschende Demission des Ministerpräsidenten Mariano Rumor am 6. Juli geraten ist. Rumor hat seinen „einsamen Entschluß“ — über den Grad der „Einsamkeit“ gibt es verschiedene Vermutungen und Versionen, doch steht fest, daß zumindest die drei Koalitionspartner der Democrazia Cristiana in der Regierung der „linken Mitte“ und die breitere italienische Öffentlichkeit völlig überrascht wurden — ausführlich begründet und wenngleich auch dieses Dokument, wie fast alle Äußerungen italienischer Spitzenpolitiker in den letzten Jahren, weitgehend in jenem vagen und abstrakten, pseudo-philosophischen und hermetisch-politologischen Jargon abgefaßt war, den vor allem die professoralen Rivalen Fanfani und Moro eingeführt haben und der wesentlich zur Entfremdung zwischen der Politikerkaste und dem italienischen Volk beigetragen hat, so ging doch einigermaßen deutlich daraus hervor, daß Rumor durch die Enttäuschung über die innere Uneinigkeit in der Vierparteien-Koalition, eine Uneinigkeit, die die Regierung besonders gegenüber dem drohenden Chaos sozialer Konflikte und der sich verschlechternden wirtschaftlichen Situation handlungsunfähig machte, zu seinem spektakulären Schritt veranlaßt worden war.

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Im Augenblick, da diese Zeilen geschrieben werden, nach dem Scheitern der Bemühungen des christlich-demokratischen Fraktionsführers in der Abgeordnetenkammer, Giulio Andreotti, um eine Regierungsbildung und der Erteilung des gleichen Auftrags durch Staatspräsident Saragat an den bisherigen Schatzminister Emilio Colombo, ist nach fast drei Wochen intensivster Verhandlungen und Bemühungen noch kaum ein Ausweg zu sehen, wie die italienische Innenpolitik aus der Sackgasse herausgeführt werden könnte, in die sie durch die überraschende Demission des Ministerpräsidenten Mariano Rumor am 6. Juli geraten ist. Rumor hat seinen „einsamen Entschluß“ — über den Grad der „Einsamkeit“ gibt es verschiedene Vermutungen und Versionen, doch steht fest, daß zumindest die drei Koalitionspartner der Democrazia Cristiana in der Regierung der „linken Mitte“ und die breitere italienische Öffentlichkeit völlig überrascht wurden — ausführlich begründet und wenngleich auch dieses Dokument, wie fast alle Äußerungen italienischer Spitzenpolitiker in den letzten Jahren, weitgehend in jenem vagen und abstrakten, pseudo-philosophischen und hermetisch-politologischen Jargon abgefaßt war, den vor allem die professoralen Rivalen Fanfani und Moro eingeführt haben und der wesentlich zur Entfremdung zwischen der Politikerkaste und dem italienischen Volk beigetragen hat, so ging doch einigermaßen deutlich daraus hervor, daß Rumor durch die Enttäuschung über die innere Uneinigkeit in der Vierparteien-Koalition, eine Uneinigkeit, die die Regierung besonders gegenüber dem drohenden Chaos sozialer Konflikte und der sich verschlechternden wirtschaftlichen Situation handlungsunfähig machte, zu seinem spektakulären Schritt veranlaßt worden war.

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Tatsächlich hat der bemerkenswerte Erfolg der Regierungsparteden bei den Regionalwahlen vom 7. Juni den Zusammenhalt der Koalition der Christlichen Demokraten (DC), der Republikaner (PRI), der Sozialisten (PSI) und der Sozialdemokraten (PSU Partito Socialista Unitario) keineswegs gefestigt. Im Gegenteil: Die beiden seit der neuerlichen Spaltung im Sommer des vergangenen Jahres verfeindeten sozialistischen Brüder PSI und PSU vertreten in der Frage der Regional-, Provinzial- und Kommunalregierungen einander diametral entgegengesetzte Auffassungen. Während die Sozialdemokraten auch für die Bildung dieser Regierungen „an der Peripherie“ das klare und unzweideutige Bekenntnis zur Formel der „linken Mitte“ und damit die Absage an die Kommunisten fordern, wollen sich die Sozialisten, trotz des ständig wiederholten Lippenbekenntnisses, daß der „fron-tismo“, der Geist des kommunistischsozialistischen Volksfrontbündnisses der „proletarischen Aktionseinheit“, endgültig tot sei, in den Regionen, Provinzen und Stadtverwaltungen alle Möglichkeiten offenhalten, zu-

mal sie dort, bei ihrer Anhängerschaft, ebenso wie von seiten der Gewerkschaften unter einem starken Druck im Sinne der „proletarischen Solidarität“ stehen. Wie die Sozialdemokraten nicht müde werden, an der Hand von Statistiken nachzuweisen, halten sich die Sozialisten — unterstützt von dem mit ihnen vielfach zusammenspielenden linken Flügel der Christlichen Demokraten — in den Regional- und Lokalverwaltungen nicht einmal an die von dem christlichdemokratischen Parteisekretär Forlani ausgearbeitete Kompromißformel, daß nur dort, wo nach den Wahlergebnissen eine Mehrheitsbildung durch die Parteien der „linken Mitte“ arithmetisch nicht möglich ist, andere Lösungen angestrebt werden sollen. Diese „Zweigleisigkeit“ der sozialistischen Politik — mit dem „Centro-sinistra“ in Rom, mit den Kommunisten und den Sozialproletariern (dem PSIUP, der äußersten linken Gruppe des italienischen Sozialismus) in den Regional-, Provinzial- und Kommunalverwaltungen, ist, wie die Sozialdemokraten immer wieder betonen, nach Rttmors eigenem Bekenntnis einer der Hauptgründe für seinen Rücktritt und damit für den Ausbruch der Krise geworden. Ohne die von Rumor geforderte „politische Klärung“ ist aber nach der Ansicht des PSU eine Wiederherstellung der Regierungskoalition des „Centro-sinistra“, zu des Jahrhundertjubiläums des Endes teien der bisherigen Regierungskoalition als der einzig derzeit möglichen Regierungsformel bekennen, nicht denkbar.

An dieser Quadratur des Zirkels ist selbst ein so gewiegter und erfahrener Politiker wie Giulio Andreotti gescheitert, der einstige „junge Mann“ De Gasperis, der von 1947 (damals als 27jähriger Unterstaatssekretär im Ministerpräsidium) bis 1967 allen Regierungen in den verschiedensten Verwendungen, vom Verteidigungs- bis zum Außenhandelsminister, angehört und sich aus der inneren Selbstzerfleischung der großen katholischen Partei in den letzten Jahren sehr geschickt herausgehalten hatte. Der jetzt mit der Regierungsbildung beauftragte Emi-lio Colombo gehört nicht nur der gleichen „corrente“, der gleichen innerparteilichen Fraktion, an wie Andreotti, sondern auch der gleichen Generation der heute Fünfzigjährigen, auch er war bereits mit 26 Jahren Parlamenteabgeordneter und seit zwanzig Jahren Mitglied aller italienischen Regierungen, zuerst als Landwirtschafts-, dann als Außenhandels-, als Handels- und Industrieminister und seit vollen sieben Jahren (seit Juni 1963) als Schatzminister, wobei er sich stets als entschiedener Gegner des Gedankens einer Lireabwertung erwies. Ob ihm das Kunststück gelingen wird, das seinem engsten Gesinnungsgenossen Andreotti mißlang, erscheint ihm selbst fraglich. Allein die allgemeine Erschöpfung und Feriensehnsucht auch der Politiker und die tatsächlich immer drohender am Horizont aufsteigenden Wolken einer Wirtschaftskrise mit gleichzeitiger Inflation und Arbeitslosigkeit — bedingt durch die von den Streikwellen erzwungene Erhöhung der Löhne und Gehälter bei gleichzeitigem Rückgang der Produktivität und die vorauszusehende Krise vor allem der kleinen und mittleren Industriebetriebe — könnten seine Position im Vergleich zu jener Andreottis in den vergangenen zwei Wochen verbessern.

Wenn die Regierung des „Centro-sinistra“ bisher die Erwartungen auf politischem Gebiet, wie auf dem der sozialen Reformen, enttäuscht hat, so liegt die Schuld gewiß sowohl bei den Sozialisten, die auf dem verschlungenen Weg der Vereinigung und neuerlichen Spaltung das Kunststück der Bildung von drei miteinander verfeindeten sozialistischen Parteien (PSU, PSI, PSIUP) zustandegebracht haben, wie bei der Democrazia Cristiana, die sich seit dem Tod von De Gasperi in inneren Richtungsund Cliquenkämpfen zerfleischt und ihre eigenen Führer der Reihe nach diskreditiert und „verheizt“. Wozu dann im Augenblick noch die Komplizierung der politischen Zustände durch die neue Institution der Regionen, das schwierige Problem des Streits um das Scheidungsgesetz (bei dem sich eine antiklerikale Front von den Liberalen bis zu den Kommunisten ergibt) und eine im Jahr des JahrhundertjubiläuniB des Endes des Kirchenstaates gesteigerte Empfindlichkeit der „democrazia laica“ gegenüber kirchlicher Einwirkung im staatlichen Bereich kommt. Immerhin sollten die jüngsten Ereignisse auf dem Feld der Innen- und Außenpolitik die blutigen Unruhen in Reggio di Caibria, die sich an dem Streit um die Hauptstadt der neuen Region entzündeten, wie die Enteignung der italienischen Siedler in Libyen durch die neue Revolutionsregierung, zusammen mit den drohenden Gefahren einer Wirtschaftskrise und neuer, von den Gewerkschaftsführern bereits angekündigter Arbeitskonflikte in einem neuerlichen „heißen Herbst“ die verantwortlichen Politiker veranlassen, ihr Spiel mit dem Feuer möglichst rasch zu beenden und dem Lande eine handlungsfähige Regierung zu geben.

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