Spion - © Illustration: Rainer Messerklinger (unter Verwendung eines Fotos von iStock/VikaValter)

Spionage: Dollargrüße aus Peking

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China investiert hohe Beträge in die Beschaffung von geheimdienstlichen, wissenschaftlichen und technologischen Informationen aus den USA.

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China investiert hohe Beträge in die Beschaffung von geheimdienstlichen, wissenschaftlichen und technologischen Informationen aus den USA.

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Kevin Mallory lebte ein Doppel­leben. In seinem Wohnort in Leesburg im US-Bundesstaat Virginia half er Nachbarn bei der Gartenarbeit, ging sonntags in die Kirche und assistierte Migranten bei der Steuererklärung. Im zweiten Leben spionierte er für den chinesischen Geheimdienst. Doch der Reihe nach.

Im Jahr 2017 geriet der ehemalige US-­Geheimdienst-Agent in finanzielle Schwierigkeiten. Er hatte ausstehende Verbindlichkeiten von 230.000 Dollar: Mit der Abzahlung eines Immobilienkredits war er mit 200.000 Dollar in Rückstand geraten, hinzu kamen Kreditkartenschulden in Höhe von 30.000 Dollar. Jahrelang bezog er einen stattlichen Beamtensold. Nachdem die Einnahme wegfiel, stand ihm das Wasser bis zum Hals. Doch der Geheimdienst­agent, der unter anderem für die CIA in China, Taiwan und im Irak stationiert war und Zugang zu geheimen Informationen hatte, ließ seine Kontakte spielen.

Im Februar 2017 wurde Mallory auf der Karriereplattform Linkedin von einem chinesischen Nutzer namens Michael Yang kontaktiert, der sich in seinem Profil als Wissenschaftler der Denkfabrik Shanghai Academy of Social Sciences ausgab. Die beiden vernetzten sich. Mallory, der fließend Mandarin spricht, wurde ein Job als Wissenschaftler angeboten. Der Ex-Agent stieg in den Flieger und flog im März 2017 nach Shanghai. In einem Hotelzimmer sollte ein diskretes Treffen mit seinen neuen Chefs stattfinden. Die Mission: geheime Dokumente der US-Geheimdienste liefern, die vertrauliche Informationen über das US-Raketenabwehrsystem enthielten. Dafür sollte er eine fünfstellige Summe kassieren.

Informationen per Chat-App

Mallory bekam ein präpariertes, verschlüsseltes Samsung-Galaxy-Smartphone an die Hand. Auf dem Handy war eine kryptografisch gesicherte Chat-App installiert, über die der Nachrichtenaustausch erfolgen sollte. Nach seiner Rückkehr kontaktierte er seine ehemaligen CIA-Kollegen und bat sie um vertrauliche Informationen. Er behauptete, er wanze sich an den chinesischen Geheimdienst heran. Die geheimen Dokumente sicherte er auf einem Speicherchip, den er in eine Alufolie hüllte und in einem Smartphone versteckte, damit er nicht in Sicherheitsschleusen entdeckt würde. Im April flog Mallory erneut nach China. Was dann passierte, könnte der Plot eines Spionagethrillers sein.

Für China sind finanziell klamme Ex-Agenten lohnenswerte Ziele. Die Anwerbeversuche folgen stets demselben Muster. Beamte können sich ihr Wissen versilbern lassen.

Auf dem Rückflug von Shanghai in die USA wurde Mallory am Flughafen O’Hare in Chicago von Beamten der US-Grenzschutzbehörde gestellt. Eine Routine­kontrolle. Der Ex-Agent wurde darüber unterrichtet, dass jeder Passagier bei der Einreise sich einer solchen Kontrolle unterziehen müsse. Neben einer Gepäckkontrolle umfasste das Screening auch eine Inspektion elektronischer Geräte. In der Befragung gab Mallory zu Protokoll, dass er auf Geschäftsreise in Shanghai unterwegs gewesen war und den Auslandsaufenthalt auch privat genutzt hatte. Er arbeite für die Beratungsfirma „GlobalEx“, die er 2010 gegründet habe.

Die Grenzbeamten schienen ihm diese Story zunächst abzunehmen. Doch der Ex-Agent machte einen folgenschweren Fehler: Die Frage, ob er mehr als 10.000 Dollar bei sich trage, kreuzte er auf dem Einreiseformular mit Nein an. In seinem Gepäck fanden die Beamten Bargeld in Höhe von 16.500 Dollar. Zwar konnte Mallory das Bargeld deklarieren. Doch er wurde aktenkundig – und war in der Folge auf dem Schirm der Sicherheitsdienste. Vor der CIA prahlte er weiter mit seinem Wissen über die chinesischen Nachrichtendienste. Mallory setzte darauf, wieder vom US-Geheimdienst eingestellt zu werden. Doch er pokerte zu hoch.

Im Mai arrangierte der Ex-Agent ein Treffen mit einem CIA-Beamten in einem Hotel in Ashburn. Doch zu Mallorys Überraschung tauchte bei dem Treffen auch ein FBI-Agent auf. Als er den Beamten das abhörsichere Smartphone demonstrieren wollte, stürzte die Chat-App ab. Plötzlich poppten verschlüsselte Chat-Nachrichten aus dem Archiv auf, die Mallory längst als gelöscht glaubte. In den Protokollen fand sich die kompromittierende Nachricht: „Ihr Ziel ist es, Informationen zu erhalten. Mein Ziel ist es, bezahlt zu werden.“ Absender: Mallory. Besser hätte es der Drehbuchautor eines Agententhrillers nicht formulieren können. Wie in der Anklageschrift zu lesen ist, fanden sich in den Chat-Protokollen noch zahlreiche weitere belastende Hinweise. Zum Beispiel die Aufforderung Mallorys, die Zahlungen in vier Tranchen zu splitten. Für die Ermittler war dies Beweismaterial genug. 2019 wurde der Ex-Agent wegen Geheimnisverrats zu 20 Jahren Haft verurteilt. Es ist nicht der erste Fall, in dem ein ehemaliger US-Agent die Seiten wechselt.

Im vergangenen Jahr wurde der ehemalige US-Geheimdienstagent Ron Rockwell Hansen zu zehn Jahren Haft wegen Spionage verurteilt. Er hatte geheime Militär­informationen an China weitergegeben und dafür insgesamt 800.000 Dollar kassiert. Wie Mallory war auch Hansen von Geldnöten getrieben. Für China sind klamme Ex-Agenten offenbar ein lohnenswertes Ziel. Die Anwerbeversuche folgen stets demselben Muster. Zunächst identifiziert ein sogenannter „Spotter“ mögliche Personen. Dann werden diese Kandidaten geprüft und mögliche Anreizsysteme entwickelt. Die Rekrutierung ausländischer Spione erfolgt häufig über das Karrierenetzwerk Linkedin. Chinesische Spione screenen systematisch Profile, um Agenten anzuheuern. Laut einem Bericht der New York Times soll ein ehemaliger Mitarbeiter des dänischen Außenministeriums über einen Headhunter gezielt auf Linkedin angesprochen worden sein. Beamte können sich ihr Geheimwissen versilbern lassen.

Milliardeninvestitionen

Laut einer Untersuchung des ehemaligen CIA-Agenten Peter Mattis inves­tiert China Milliarden in Spionageaktivitäten. Auch im Hochschulsektor haben Chinas Geheimdienste ihre Fühler ausgestreckt. Der chinesische Computerwissenschaftler Bo Mao, der an der Texas University eine Gastprofessur innehatte, wurde im September 2019 von der US-Polizei verhaftet, weil er Geschäftsgeheimnisse eines Silicon-­Valley-Start-ups an eine Huawei-Tochter weitergereicht haben soll. Im Jänner wurde der Vorsitzende der chemischen Fakultät in Harvard, Charles Lieber, wegen dubioser Deals mit China verhaftet. Er soll Kontakte zu Chinas „Thousand Talents Program“ verschwiegen haben, einem groß angelegten Förderprogramm.

Pikant: 2011 hatte er als „strategischer Wissenschaftler“ einen Forschungsauftrag an der Wuhan University of Technology angenommen, der ihm 50.000 Dollar Monatsgehalt sowie 150.000 Dollar Spesen im Jahr bescherte. 2015 fanden Harvard-Forscher heraus, dass Lieber ein Labor an der Wuhan University leitete und dafür widerrechtlich das Logo der Elite-Uni nutzte. Seitdem schießen in sozialen Netzwerken Gerüchte ins Kraut, der Forscher sei in Wahrheit verhaftet worden, weil er im Auftrag Chinas das Coronavirus im Labor entwickelt habe. Eine Verschwörungstheorie, klar. Doch der Fall macht deutlich, dass Chinas Agenten selbst die dicken Mauern der Harvard University und Geheimdienste durchdrungen haben.

Der Autor ist freier Journalist

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