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SPÖ in der Sackgasse

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„Sozialismus ist uneingeschränkte politische, wirtschaftliche und soziale Demokratie“, heißt es im Parteiprogramm der SPÖ. In letzter Zeit scheinen allerdings in der Sozialistischen Partei die Tendenzen stärker zu werden, die der Verwirklichung eines solchen Sozialismus in der eigenen Partei massiven Widerstand entgegensetzen. Statt von „innerparteilicher Demokratie“ spricht man wieder vor allem von „Parteidisziplin“. Es wird nicht mehr idie Notwendigkeit eineriinnerparteilichen Kritik betont, sondern die Pflicht, gegen den „schrankenlosen Monopolkapitalismus“ zusammenzustehen und einen Block zu bilden. Die sozialistische Parteiführung geht daran, die eigenen Reihen zur Ordnung zu rufen. Wer sich nicht einordnet, wer nicht aufhört, den Standort eines modernen Sozialismus eigenmächtig und nötigenfalls auch ohne parteioffizielle Billigung auszuloten, der muß riskieren, als Souffleur parteifeindlicher Kräfte abgestempelt zu werden. Denn die Grenzen des Gesprächs und der Diskussion setzt die Parteiführung fest. Und diese zieht iim Augenblick diese Grenzen besonders eng.

Man könnte in Versuchung kommen, die Vorgänge in der SPÖ als eine Tragikomödie zu sehen. Die Spitzenfunktionäre, von denen die SPÖ auf einen Kurs der Kurslosig- keit gebracht wurde, die zwischen der Zusammenarbeit mit der FPÖ und der kommentarlosen Annahme der kommunistischen Wahlempfehlung richtungslos.': .hin-,-und herschwankten. die durch sfäihdiges Taktieren jede Strategie verloren, diese sozialistischen Politiker entdecken plötzlich ihre „sozialistische Ideologie“, in der es — man höre und staune — „keine Kompromisse“,.geben könnte. In dieser Partei,'öfe einmal stolz behauptete, sie habe die Hand am Puls des Volkes, die sich, einmal ihres demokratischer? Aufbaues rühmte, die einmal — wie lange ist das schon her? — ein Protest der Unterdrückten gegjen eine selbstherrlich regierende Mir.äerheit ein wollte, in dieser Partei kann es geschehen, daß Kritiker „Wirrköpff!“ ' genannt werden können;- weil ’sta. nicht in allen Fällen mit'ihrer. teiführung einei? Mein'uftg sind; vwefl sie protestieren, wenn man ihre Kritik nicht nur .SicHt. hören, sondern auch unterdrücken; will. Man unterdrückt, indem man .etwa den diskussionsfreudigen Chefredakteur des Parteiorgans massiv unter Druck setzt, oder aber, indem man an die

Sektionen Briefe sendet, in denen „nahegelegt“ wird, diesen oder jenen Genossen nicht mehr als Referenten einzuladen. Diese Partei, die am 6. März aus eigenem Verschulden eine schwere Niederlage erlitten hat, geht allem Anschein nach nun nicht etwa daran, diie für diese Niederlage Verantwortlichen an ihre Verantwortung zu erinnern — nein, sondern die Kritiker, die solches verlangen, werden diszipliniert und kommen sogar in die Gefahr, den Parteitod zu erleiden. Dann dürfen sie eine „Sozialistische Partei für Nichtsozialisten“ gründen, dann dürfen sie sogar „linfasldberal“ sein. Denn was Sozialismus ist, bestimmt ausschließlich die Parteispitze, auch wenn sich die als „Schulmeister" apostrophierten Kritiker noch so sehr auf das Parteiprogramm berufen.

Wie gesagt, das alles könnte tragikomisch sein. Man könnte ruhig zusehen, wie eine noch immer große und noch immer mächtige demokratische Partei in eine Sackgasse läuft. Aber man kann eben nicht ruhig zusehen, denn von der Zukunft des österreichischen Sozialismus hängt zuviel ab. In einer Demokratie, in der zwei Großparteien bestehen, ist m:i;t dem Zuistand der einen Partei sowohl der Zuistand der anderen als auch der unserer ganzen Demokratie eng verknüpft. Jede Partei ist für die andere ein demokratisches Korrektiv. Nimmt sich die Sozialistische Partei durch eine geistige Selbstverstümmelung für lange Zeit selbst die Chancen auf eine demokratische Mehrheit, ist auch die Volkspartei betroffen. Dienn wer zwingt dann die Regierungspartei, selbstkritisch zu sein, wer zwingt sie, sich rechtzeitig von einem Müllner zu trennen, wenn nicht eine starke Opposition diese Aufgabe gemeinisam mit der auch bei uns in Ansätzen vorhandenen „öffentlichen Meinung“ übernimmt? Warum sollte die Regierungspartei eine Politik der Mitte verfolgen, wenn sie weiß, daß die Opposition vornehmlich damit beschäftigt ist, die Kritiker aus den eigenen Reihen auf dem Altar einer falsch verstandenen, fiktiven Einheit zu opfern?

Eine gesunde und konkurrenzfähige SPÖ liegt daher auch im •richtig verstandenen Interesse der Volkspamtei, liegt im Interesse aller Demokraten. Wie steht es aber mit der Wettbewerbsfähigkeit unserer Sozialisten? Die SPÖ blickt gebannt auf ihre Funktionäre, die (angeblich) durch eine offen geführte Diskussion in Verwirrung geraten würden, und übersieht, daß der Versuch, die Diskussion zu unterbinden, die Anziehungskraft der SPÖ auf potentiell sozialistische Wähler nur noch mehr vermindert. In einer Demokratie entscheiden aber letztlich nicht die Parteifunktionäre eine Wahl und damit die Machtverteilung, sondern Wähler, die es erst zu gewinnen gilt. Glaubt die SPÖ-Parteiführung aber wirklich, neue Wähler gewinnen zu können, wenn man, statt Konsequenzen aus der Niederlage zu ziehen, auf Pmgelknaiben einschlägt?

Es geht hier keineswegs in erster Linie darum, wer den richtigen Weg weiß — Nenning, die „Gesellschaft für politische Studien“, Pittermann oder Kreisky. Es geht darum, daß jeder seine Meinung frei sagen darf, ohne als Parteischädling hingestellt zu werden. „Die Frage lautet nicht: Bist Du meiner Meinung? — Die Frage lautet: Bi?t Du dafür, daß ich meine Meinung äußern darf?“; so formulierte Günther Nenning dieses Anliegen. Und der in diesen Sätzen versteckte Vorwurf müßte doch einer sozialistischen Partei zu denken geben, in deren Programm der kühne Satz zu lesen ist, Sozialismus sei „vollendete Demokratie“. Will die SPÖ eine wirkliche Alternative zur Regierungspartei werden — und da;; sollten alle wünschen, so muß sie endlich eine Politik der großzügigen Öffnung einleiten. Eine solche Politik der Öffnung soll nicht ein ideenloser Pragmatismus oder das Abschütteln jeder geistigen Profilierung sein, sondern die Verbindung von zeitlosem sozialistischem Ideengut mit den Erfordernissen einer pluralistischen Demokratie. Österreich braucht eine solche Sozialistische Partei.

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