Sprache und politisches Kalkül

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Das neue Sprachgesetz in der Ukraine zerstört langfristig das staatliche Fundament, schreibt die "Neue Zürcher Zeitung“.

Mit der Unterschrift von Präsident Wiktor Janukowitsch hat das Gesetz zum Status der russischen Sprache in der Ukraine Rechtsgültigkeit erlangt. Die regierende Partei der Regionen hatte es Anfang Juli im Eilverfahren durch das Parlament in Kiew geboxt. Gemäss dem neuen Gesetz dürfen die Angehörigen von Minderheiten in Gebieten, in denen ihr Anteil bei mehr als zehn Prozent liegt, im Amtsverkehr ihre eigene Muttersprache verwenden. Das heisst: In vielen Gebieten vor allem im Osten und im Süden des Landes wird Russisch damit auch de iure auf Kosten des Ukrainischen zur dominierenden Amtssprache. Die Aufwertung des Russischen war von allem Anfang an umstritten. Im Parlament gingen während der emotionalen Debatte über die Vorlage Dutzende von Abgeordneten mit den Fäusten aufeinander los. Auch auf der Strasse kam es zu heftigen Protesten. Änderungsvorschläge, und solche gab sehr zahlreiche, wurden alle schnöde vom Tisch gefegt.

Regionale Gegensätze

Auf den ersten Blick könnte man meinen, es sei ein Schritt zu mehr Demokratie und entspreche dem Standard westlicher Minderheitenrechte, wenn Angehörige einer Minorität im Verkehr mit den Behörden die eigene Sprache verwenden dürfen. Das trifft für die Minderheiten etwa der Tataren und der Ungarn auch zu, doch nicht für die Russen. In dem seit 1991 unabhängigen Land bezeichnen 40 Prozent der Bewohner Russisch als ihre Muttersprache, und zwar nicht nur ethnische Russen, sondern auch Ukrainer. Mit Russisch kann man sich, eher als mit Ukrainisch, im Land problemlos verständigen.

Seit dem Ende der Sowjetunion hat das Ukrainische zwar an Boden gewonnen hat, vor allem dank der Ukrainisierung des Bildungswesens. Die russische Sprache ist dennoch nicht bedroht. Die heutige sprachliche Situation in der Ukraine ist das Ergebnis der rücksichtslosen sowjetischen Politik der Russifizierung. Das hatte schon unter den Zaren begonnen. Die Ukraine - das Wort bedeutet Grenzland - hieß damals lange Zeit offiziell Kleinrussland.

Sprachpolitik als Machtpolitik

Die Gegner des Sprachgesetzes befürchten, nicht zu Unrecht, dass das Ukrainische in den mehrheitlich russischsprachigen Teilen des Landes endgültig aus dem öffentlichen Leben verdrängt werden könnte. Damit aber würde die noch ungefestigte nationale Identität geschwächt, deren wichtigstes Element die ukrainische Sprache ist. Auch die regionalen Gegensätze dürften sich wieder verschärfen. Die Ukraine ist ein heterogenes Staatsgebilde, das sich aus Gebieten mit einer unterschiedlichen Geschichte und Kultur zusammensetzt.

Janukowitsch, der seine Wählerbasis vor allem in den russischsprachigen Gebieten des Landes hat, geht es beim Sprachgesetz vor allem um Machtpolitik. Dabei nimmt er in Kauf, dass sich der Graben zwischen den beiden Teilen der Ukraine weiter vertieft. Darüber kann auch seine Ankündigung nicht hinwegtäuschen, er wolle eine Arbeitsgruppe zur Förderung des Ukrainischen bilden. Im Oktober wird ein neues Parlament gewählt, und die Partei des Präsidenten könnte die Mehrheit verlieren. Mit der Einlösung des Versprechens aus dem Wahlkampf von 2009, Russisch als zweite Amtssprache einzuführen, hofft die Partei, wieder Boden gutzumachen.

Die Ukraine ist ein künstliches Gebilde. Sie kann nur bestehen, wenn die politischen Eliten im Osten und im Westen des Landes den Staat auch wollen. Gerade die Vielfalt zwingt zu einem Interessenausgleich. Das Sprachgesetz mag Janukowitsch kurzfristig politischen Nutzen bringen, langfristig aber wird damit das staatliche Fundament zersetzt.

* Neue Zürcher Zeitung, 13. August 2012

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