6683082-1962_02_04.jpg
Digital In Arbeit

Staat — der unparteiische Schiedsrichter

Werbung
Werbung
Werbung

Will man das Grundsätzliche des durch die Aktion von Raab und Olah aufgeworfenen Problems herausarbeiten, so ist zunächst festzuhalten, daß der moderne demokratische Staat das Produkt eines geschichtlichen Prozesses ist, der mit dem vom Bürgertum getragenen Kampf um Parlamentarismus und Verfassung zur Bändigung der Staatsmacht einsetzte. Auf dieser Tradition fußt heute noch die konservative Staatslehre, wenn sie am Gegensatz von Staat und Gesellschaft festhält und im Staat in erster Linie eine moralische Anstalt sieht. Zumindest in der Idealvorstellung ist der Staat der unparteiische Schiedsrichter über den sozialen Gegensätzen, ist die Verwaltung der Ordnungsgarant der Gesellschaft. Obwohl der Staat im Laufe der Jahre viele neue Aufgaben übernommen hat und den Erfolg gesellschaftlicher Aktivitäten durch einen vielfachen Interventionismus sicherzustellen versucht, bleibt vor allem für die westliche Welt doch die Unterscheidung von staatlichen Institutionen und freien gesellschaftlichen Wirksamkeiten von größter Bedeutung, , ti£'iimn karm sogar sagettsdaß das Wesen' der westlichen Demokratie sowohl im Mächtpluralismüs 'als auch darin besteht, daß weder eine totale Verstaatlichung der Gesellschaft noch eine totale Vergesellschaftung des Staates angestrebt wird. Ebenso wie wir uns einen demokratischen Staat nicht ohne Gewaltenteilung vorstellen können, gehört auch die Existenz staatsfreier Gesellschaftsbereiche zum Wesensbestand westlichdemokratischer Lebensform. So gesehen ist die Ablehnung eines übertriebenen staatlichen Wirtschaftsdirigismus durchaus am Platze, und ist es zumindest sehr fraglich, ob es unbedingt zu den Kompetenzen eines Parlaments und einer Regierung gehört, in einzelnen Fällen Lohn- oder Preispolitik zu betreiben.

Was die schöpferischen Kräfte der westlichen Demokratie auf allen Gebieten und vielleicht auch im Letzten ihre Überlegenheit gegenüber den volksdemokratischen Staaten ausmacht, ist gerade die Pflege freier gesellschaftlicher Aktivitäten, die nicht dauernd nach staatlicher Planung oder staatlicher Zwangsgewalt rufen. Wie ja überhaupt für das Eingreifen des Staates das Subsidiaritätsprinzip gilt, demzufolge eine höhere Gemeinschaft — und der Staat ist die höchste Gemeinschaft — erst dann wirksam werden soll, wenn keine kleinere Gemeinschaft die Aufgabe in ihrem Bereich zu erfüllen vermöchte. Damit sind wir auch bei einem grundsätzlichen Aspekt der die öffentliche Diskussion derzeit so bewegenden Frage der künftigen Zusammenarbeit der Mitglieder der Paritätischen Kommission angelangt: Solange die Sozialpartner Fragen des Allgemeininteresses - zu denen sicherlich bedeutsame Lohn-Preis-Probleme zu zählen send - im eigenen Wirkungsbereich zu lösen willens und imstande sind, ist es nicht nötig, nach Parlament, Regierung, Preispolizei usw. zu rufen.

Herrschaft der Verbände?

Man hat nun gegen die Absichten der Sozialpartner ins Treffen geführt, der demokratische Parteienstaat werde durch den Kammerstaat, die geordnete Gesellschaft durch Interessentenhaufen abgelöst. Dem aufmerksamen Beobachter der Parteipolitik in unserer Wohlstandsgesellschaft müßte allerdings schon längst klar geworden sein, daß sich auch die parteipolitischen Auseinandersetzungen fast ausschließlich nur noch damit befassen, wer was, wann und warum erhalten soll. Man denke nur an die jährlich wiederkehrenden, monatelangen Budgetkämpfe, die alles andere in den Schatten stellen.

Im Sinne der Gewaltenteilung

Was unterscheidet heute noch Parteien von Interessenverbänden, als die Direktheit beziehungsweise In-direktheit der Wege? Die Parteien streben zum Unterschied von den Verbänden nicht nur irgendeinen politischen Einfluß, sondern die unmittelbare Regierungsübernahme an; ihr Ziel ist es, am Funktionieren der staatlichen Institutionen teilzunehmen, um die Macht teilweise oder ganz zu erlangen und den Ideen und Interessen ihrer Mitglieder Geltung zu verschaffen. Beeinflußt von traditionellen Theorien, hat der Staat anfangs sowohl den Parteien als auch den Verbänden nur stillschweigend politische Einflußmöglichkeiten eingeräumt. Während in der öffentlichen Meinung der Parteienstaat jedoch allmählich als Notwendigkeit akzeptiert wird, Raffet den Interessenverbänden und der durch sie geübten Repräsentationen organisierter Interessen noch immer ein Makel an. So spricht man von der Herrschaft der Verbände, der Demontage des Staatlichen usw. Bei dieser Einstellung übersieht man oft die ordnenden und regulierenden Momente, die sich aus der Auseinandersetzung gerade der Verbände ergeben, ja daß sowohl der Staat als auch die politischen Parteien auf die Hilfe der Verbände gar nicht mehr verzichten könnten. Gäbe es nämlich die organisierten Interessenvertretungen nicht, so würden höchstwahrscheinlich die politischen Parteien selbst zu den bevorzugtesten Kampfinstrumenten der Klassen- und Gesellschaftsgruppen werden. Wenn daher den politischen Parteien noch ein Rest von ideellen und ideologischen Programmpunkten geblieben ist, so nur dank des Ilm-Standes, daß ihnen vor allem die Wirtschaftsverbände die undankbare Aufgabe der Klassenauseinandersetzung und der massiven wirtschaftlichen Interessenvertretung abnehmen I

Zur westlichen Vorstellung von Demokratie gehört vor allem die Ablehnung von Machtzusammenballungen und das Streben nach Ehrlichkeit in der Politik. Beiden Vorstellungen wird ein Staat gerecht, in welchem die Staatsgewalt selbst aufgeteilt ist, wo Staatsgewalt und Parteien auch noch andere Kräfte — wirtschaftliche Interessengruppen, religiöse und kulturelle Organisationen — anerkennen und wo gleichzeitig die nun einmal durch die Unvollkommenheit der Menschennatur zwangsläufig bestehenden Gegensätze einwandfrei zur Austragung gelangen. Zu alldem benötigt der westliche Staat also die Mitwirkung wirtschaftlicher Interessenverbände.

Aber auch die Gesellschaft bedarf — sofern Demokratie nicht nur Staatsform, sondern auch Lebensform sein soll — ideeller und wirtschaftlicher Verbände, um einer schädlichen Machtkonzentration vorzubeugen. Stehen doch im modernen Parteienstaat hinter dem Parlament als bewegende Kraft die politischen Parteien; hinter der Regierung stehen sie ebenfalls; und diese politischen Kräfte drängen in der Dynamik der modernen Massendemokratie fast zwangsläufig dazu, weitere Bereiche ihrem Einfluß zu unterwerfen. Die klassische Balance der Gewaltenteilung funktioniert nur noch vordergründig. Je mehr deshalb Staats- und Parteienmacht verschmelzen, um so mehr benötigt die Gesellschaft andere Institutionen zur Vertretung der verschiedenen Interessen!

Ehrliche Auseinandersetzung tut notl

Wie aber der Staat die Gesellschaft nicht überwuchern soll, darf auch nicht seine Degradierung zum Erfüllungsgehilfen der Interessengruppen erfolgen. Wenn es wahr sein sollte, daß das Abkommen zwischen Raab und Olah tatsächlich einen Zwang für staatliche Organe vorsieht, nach dem in der Paritätischen Kommission zum Ausdruck gekommenen Willen der Sozialpartner zu handeln, so wäre dieser Mißstand gegeben. Da genaue Details der Reformvorschläge von Raab und Olah noch nicht bekannt sind, wäre es aber durchaus möglich, daß lediglich Empfehlungen der Paritätischen Kommisson an die Bundesregierung oder an die Preisbehörde im Bundesministerium für Inneres vorgesehen sind. Sollte dies der Fall sein, so wäre nicht einzusel i, warum fachliche Ratschläge der Sozialpartner für einen Minister nicht das gleiche Gewicht haben könnten wie die ansonsten maßgeblichen Vorschläge dei Ministeriaiburökratie. In einer nicht bindenden Form wäre die Einschaltung der Paritätischen Kommission in wirtschaftspolitische Maßnahmen der Staatsverwaltung um so leichter vertretbar, als ja bekanntlich die Kammern ein viel weitergehendes Recht, nämlich das Recht der Begutachtung von Gesetzesvorschlägen der Bundesregierung, schon längst zugestanden erhalten haben.

Alles in allem gilt es offensichtlich, die Augen vor der Notwendigkeit der ehrlichen Auseinandersetzung, aber auch Zusammenarbeit der Sozialpartner nicht zu verschließen. Dieser Vorgang wird sich um so mehr unter der demokratischen Kontrolle der Öffentlichkeit vollziehen, als nicht versucht wird — wie häufig im parteipolitischen Bereich — Interessengegensätze hinter Ideologien zu verbergen. Man soll sie vielmehr offen aufzeigen und austragen. Nur so wird schließlich auch der Hauptbetroffene, nämlich der Konsument, im Wege der öffentlichen Meinung verhindern können, daß sich die Waagschale zu sehr nach der einen i oden ande!rif i-Rjchtungr-neägtieNach dejn.Mlmpräua,,;4er Befehlsgewaltvdes Staates aber sollte erst gerufen werden, wenn eine verantwortliche Gesellschaft nicht mehr imstande ist, die Probleme zu lösen. Der Appell zur Eigenverantwortung gilt in der demokratischen Welt des freien Westens nicht nur für den einzelnen, sondern auch für die organisierten gesellschaftlichen Gruppen!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung