Stadtführung mit Sarajewos General a. D.

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Im Frühjahr 1992 beginnt der Krieg um Sarajewo. Die meisten glauben, der Spuk werde nur Tage dauern. Aus den Tagen werden Wochen, Monate, Jahre - bis im November 1995 der Vertrag von Dayton dem Krieg in Bosnien-Herzegowina ein Ende bereitet. Der Serbe Jovan Divjak war der bekannteste Verteidiger der Stadt. Mit der furche geht er zehn Jahre nach Kriegsbeginn durch "sein" Sarajewo, schaut zurück und blickt voraus.

Inat Ku´ca, Trotz-Haus, nennen die Leute jenes Gebäude, das sich ein Bürger Sarajewos vor Jahrhunderten getreu dem Original und Stein für Stein wieder aufbauen ließ, nachdem es von seinem angestammten Standort hatte weichen müssen. Für das Rathaus der Stadt musste das Trotz-Haus Platz machen, auf das andere Ufer der Miljacka hat man es übersiedelt. Vor zehn Jahren bildete dieser Fluss mitten durch Sarajewo die Front zwischen den Angreifern und den Verteidigern der Stadt. Das Rathaus ist nach wie vor vom Krieg schwer gezeichnet, das Trotz-Haus hingegen hat sich wieder zu einem stattlichen Wirtshaus mit einladender Terrasse gemausert. Zwei Seiten einer Stadt, die zusammen gehören, die beide in ihrer Widersprüchlichkeit den heutigen Zustand von Sarajewo gut beschreiben.

Als Ausgangspunkt für einen Stadtrundgang zehn Jahre nach Kriegsbeginn ist aber das Trotz-Haus besser geeignet. Noch dazu, wenn man Jovan Divjak, den Trotz-Bürger von Sarajewo schlechthin, als Begleiter hat. Divjak ist Serbe, trotzdem verteidigte der General als stellvertretender Befehlshaber der bosnischen Streitkräfte "seine" Stadt, in der er schon bald vierzig Jahre lang lebt. Anhand seines eigenen Beispiels bestreitet Divjak auch vehement, dass der Krieg in Bosnien ein Nationalitätenkonflikt gewesen sei: "Das war kein Krieg zwischen Nationalitäten, das war ein Aggressionskrieg." Immerhin hätten 15 Prozent Serben in der bosnischen Armee gekämpft, unterstreicht Divjak.

Unser Kommandant!

Nicht er habe nachdenken müssen, entgegnet er auf die Frage, ob es ihm schwer gefallen sei, sich für eine Seite zu entscheiden: "Die anderen haben sich überlegen müssen, ob sie für mich sind oder gegen mich." Und es sei nicht nicht immer leicht gewesen, in einer Stadt zu leben, für eine Stadt zu kämpfen, in der Serben die schlimmsten Massaker anrichteten, gibt der General zu bedenken. "Hier ist die Granate eingeschlagen", deutet Divjak aus dem Autofenster in Richtung einer Hausmauer. Die Blicke der Journalisten folgen Divjaks Hand, während der General die Geschichte dieses Ortes erzählt: Drei Kinder wurden hier getötet, zwei Brüder und eine Cousine der beiden. Als Divjak damals vorbeikam, hielt die Mutter noch einen der toten Buben in der Hand. In dem Moment habe er sich geschämt wie niemals zuvor, ein Serbe zu sein, beteuert Divjak. Das habe er auch der Mutter gesagt, und er hätte es verstanden, wenn sie aufgestanden wäre und ihn beschimpft hätte. Aufgestanden ist die Frau, doch sie beschimpfte den General nicht. "Sie sind unser Kommandant!" sagte sie zu Divjak. Die Frau und ihr Mann blieben dann bis zum Ende des Krieges in der Armee. Nach dem Krieg bekam das Paar wieder einen Sohn - und der General ist der Patenonkel. "Das ist eine sehr traurige Geschichte", meint Divjak, "aber so nah liegen Leben und Tod hier beisammen."

Leben und Tod, Spiel und Ernst - der Weg führt an einem Friedhof vorbei. Früher sei das hier ein Kinderspielplatz gewesen, fährt der General in seiner Stadtführung fort. Vielleicht haben Elvin Milsanovi´c - geboren 1971, gefallen 1992 - oder Begi´c Dzemala - geboren 1972, gefallen 1992 - oder Zoran Sari´c - geboren 1978, gefallen 1995 - in ihrer Kindheit sogar hier gespielt. Serben mit Bosniaken, sprich bosnischen Muslimen, oder Kroaten mit Serben oder jeder mit jedem. Von einem Tag auf den anderen waren sie Feinde. Und doch auch wieder nicht, denn der Krieg machte die bis dahin praktizierte Trennung zwischen christlichen und muslimischen Friedhöfen obsolet. Und während des Krieges entstanden somit bereits wieder die ersten Symbole des künftigen Zusammenlebens.

Am Kleinbus, der Divjak und die Handvoll Journalisten von Ort zu Ort bringt, fährt eine Straßenbahn vorüber. Noch bevor in Wien eine Tram gefahren sei, habe Sarajewo bereits eine besessen - Divjak kann sich einen Seitenhieb auf seine österreichische Begleitung nicht verkneifen. Dass die jetzigen Wagons in Sarajewo nach wie vor so ausschauen, als stammten sie aus der Zeit der Monarchie, liegt wohl so manchem in der Runde als Replik auf der Zunge, bleibt aber ungesagt - mit Generälen spaßt man nicht!

Anders der Gedanke beim Anblick des Benetton-Plakats auf der Straßenbahn. Die vielen Gesichter unterschiedlicher ethnischer Herkunft, die in ihren schönen, bunten, italienischen Pullovern die Multikulti-Gesellschaft schlechthin darstellen, fahren jetzt Tag für Tag durch die Straßen. In einer Stadt, in der noch vor wenigen Jahren jeder Gedanke an das friedliche Zusammenleben verschiedener ethnischer oder religiöser Gruppen für immer zerstört und illusionär erschien.

"Das ist Serbien!" habe ein Unbekannter vor kurzem in großen Lettern auf das Postgebäude von Sarajewo geschrieben, erzählt Divjak. Am nächsten Tag war die Proklamation durchgestrichen, und darunter konnte man lesen: "Du Dummkopf, das ist die Post!" Wenn sich nur alle nationalistischen Verhetzungen so leicht als Dummheiten entlarven ließen... Leider stecken die Ressentiments tiefer, sind die Wunden erst oberflächlich verheilt. Vor dem Krieg lebten 45 Prozent Bosniaken, 33 Prozent Serben, 18 Prozent Kroaten und noch ein paar andere Volksgruppen in Sarajewo. Heute sind es 85 Prozent Bosniaken, der kleine Rest verteilt sich auf die anderen Ethnien. Vom multiethnischen Zusammenleben ist also nicht mehr viel geblieben.

Die Schuld am Krieg gibt Divjak der jugoslawischen Armee, weil sie die nationalistische Politik ihrer Führer und deren Forderung nach einem Serbien für alle Serben umzusetzen versucht habe. Von einem Teil der Verantwortung will der General aber auch die bosnische Regierung nicht freisprechen: "Weil sie nicht ausreichend für die Sicherheit der in Bosnien lebenden Serben gesorgt hat." Mit Sorge erfüllt Divjak auch, dass sich seine multiethnische Armee zu einem reinen Bosniaken-Heer verwandelt hat. Gerade er habe doch für ein Bosnien gekämpft, in dem jede Nationalität ihren Platz hat.

Die kleine Gruppe erreicht eine der Berghöhen, die die Stadt umgeben. "Hier war unser letzter Bunker, dort verschanzten sich die Serben", erklärt der General die Lage. Verkohlte Baumstümpfe und Ruinen erinnern noch daran, dass es hier in einem gefährlicheren Sinn einmal heißer war als an diesem Frühlingstag. Das können auch die paar Kühe nicht vergessen machen, die trotz der vielen Minenwarnungen und unter dem wohlwollenden Blick ihrer Besitzer friedlich vor sich hin grasen.

Divjak zeigt mit ausgestreckter Hand, ganz General, in Richtung der Serbenhochburg Pale. Radovan KaradÇzi´c und Ratko Mladi´c, die beiden gesuchten Serbenführer, seien nach wie vor ein großes Problem für das Land, meint er. Aber kein UN-Sonderkommando, kein Hoher Repräsentant sollte diese Kriegsverbrecher nach Den Haag ausliefern, ist der erfahrene Soldat überzeugt. "Die Serben selber müssen ihre Götter vor Gericht stellen!" fordert der Serbe Divjak. Ansonsten werden die beiden immer Märtyrer bleiben, und die Atmosphäre werde sich nie zum Besseren verändern.

Bei der Rückfahrt führt der Weg an der Brücke vorbei, an der 1914 der Serbe Gavrilo Princip den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand erschoss. Heute hat sich eine serbische Geheimorganisation den Namen des Attentäters auf die Fahnen geheftet und bedroht zehn bekannte Serben, die den ganzen Krieg über in Sarajewo geblieben sind, mit dem Tod. Auf dieser obskuren "Abschussliste" findet sich auch der Name Divjak. Ein Grund für ihn, so sagt er - halb Spaß, halb Ernst -, die Journalisten nicht in die Republika Srpska und nach Banja Luka zu begleiten. Außerdem warte in Sarajewo noch genug Arbeit auf ihn. Divjak ist nämlich nicht nur der Patenonkel des bereits erwähnten Kindes. Divjak ist auch der Direktor des Kinderhilfswerks "Bildung baut B&H", das Kriegswaisen Lebensunterhalt, Aus- und Weiterbildung bietet.

Vor dem zerstörten Rathaus springt der General aus dem Wagen und verabschiedet sich von den Journalisten. Während des Krieges habe man wegen der Heckenschützen hier nicht entlang gehen können, sagt Divjak noch und entschwindet über eine der Brücken, die über die Miljacka führen - in Richtung Trotz-Haus.

Hilfswerk Austria unterstützt J. Divjaks Kinderhilfswerk: PSK 90.001.002 Kennwort"Bosnien".

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