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Starke Angst vor der Islamisierung

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Niemand hat das Recht, unseren Befreiungskampf für sich allein zu beanspruchen”, heißt es in einer dramatischen Erklärung des bosnischen Staatspräsidiums, „unsere Heimat Bosnien-Herzegowina muß multi-national bleiben und ein weltlicher Staat.” Doch vor allem in der Armee gäbe es Kreise, so die Spitzenpolitiker weiter, die einen islamischen Gottesstaat errichten wollten. Zwischen den Zeilen deuten die Unterzeichner an, daß sie Präsident Alija Izetbegovic und Vize-Präsident Ejup Ganic des moslemischen Fundamentalismus verdächtigen und in Premierminister Haris Silajdzic den letzten Garanten sehen, der diese Pläne noch durchkreuzen könne.

Der Appell wurde bereits am 30. Jänner verfaßt, jedoch erst jetzt in den kleinen regimekritischen Zeitungen veröffentlicht. Vor allem die staatlich kontrollierten Medien (siehe FURCHE 3/1995, Seite 4) verloren bisher kein Wort über den Konflikt im formell höchsten Entscheidungsgremium Bosniens. Auslöser des seit langem schwelenden Konflikts war eine Bede von Präsident Izetbegovic am 21. Jänner vor islamischen Würdenträgern aus aller Welt in Kairo, in der er scharfe Kritik an der westlichen Zivilisation übte und eine Renaissance islamischer Werte forderte ~ auch für seine bosnische Heimat. Am 1. Februar besuchte dann auf Einladung Izetbegovics, aber gegen den Willen des Staatspräsidiums, Irans Ajatollah Ahmed Dschanati die bosnische Hauptstadt und versprach umfangreiche militärische und humanitäre Hilfe „für die treuen islamischen Brüder”.

Wie bereits bei ähnlichen Anlässen in der Vergangenheit, versprach auch diesmal wieder Bosniens höchster islamischer Würdenträger, Reis-ul-Ulema Mustafa Ceric, gegenüber dem iranischen Gast, er werde das einst tolerante multikulturelle Bosnien den Gesetzen des Islams unterwerfen. Der Izetbegovic-Vertraute beteuerte, den Genuß von Alkohol verbieten zu lassen, den Verzehr von Schweinefleisch zu untersagen und die Jugend von dekadenten westlichen Einflüssen wie Bockmusik und freizügiger Mode fernzuhalten. Wer gegen diese Tendenzen seine Stimme erhebt, hat einen schweren Stand. Obwohl nach der Verfassung die einfache Mehrheit im Staatspräsidium genügt, um beispielsweise Gesetzesentwürfe und politische Entscheidungen an das Parlament zurückzuweisen, falls sie den Präsidiums-Mitgliedern mißfallen, kommen die Izetbegovic-Gegner mit ihren weltoffenen Vorstellungen seit langem nicht mehr durch. Die Medien belegen die Kritiker außerdem mit Schreib- und Zensurvejboten. Vor allem in der Armee geben Fundamentalisten den Ton an. Freien Zutritt in Kasernen, Schulen und Fabriken hat dagegen Mustafa Ceric Das geistige Oberhaupt der bosnischen Moslems weiß von seiner Macht und reist gerne durch die Lande um seine I ^ehre zu verbreiten. „Grundlage unserer Existenz ist der Islam”, predigt dann der Reif und fährt fort: „Jede Moslemin hat in ihrem lieben mindestens fünf Kinder zu entbinden - zwei für die eigene Familie, drei für Bosnien.”

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