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Startschuß einer Konfrontation

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Sie verbringen ihren Urlaub in Osttirol, im Tullnerfeld oder in Mittel-schweden: Österreichs Politiker können die nächsten Wochen zum Ausspannen benützen und in Muße ihre Startlöchei- graben, bevor es im Herbst in die Endrunde der Legislaturperiode geht: der ersten der Zweiten Republik, die in der Konfrontation von Alleinregierung und Opposition einen neuen politischen Stil zur Prüfung durch den Wähler aufruft.

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Sie verbringen ihren Urlaub in Osttirol, im Tullnerfeld oder in Mittel-schweden: Österreichs Politiker können die nächsten Wochen zum Ausspannen benützen und in Muße ihre Startlöchei- graben, bevor es im Herbst in die Endrunde der Legislaturperiode geht: der ersten der Zweiten Republik, die in der Konfrontation von Alleinregierung und Opposition einen neuen politischen Stil zur Prüfung durch den Wähler aufruft.

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Waren die letzten Wochen der Frühjahrssession des Nationalrates gezeichnet von der verschärften Auseinandersetzung zwischen Regierung und Parlament, so dürften die letzten Tage des Hohen Hauses mit einer Serie dringlicher Anfragen, mit Geschäftsordnungsdiskussionen, j a (fast) sogar mit Handgreiflichkeiten nur den Auftakt eines viel munteren Schießens im Herbst gebildet haben. 16 wichtige Gesetzesmaterien warten auf parlamentarische Behandlung, und das ordentliche Budget für 1970 wird einen generellen Konfrontationszwang schaffen. Dazu kommen Landtagswahlen in, Niederösterreich und Vorarlberg, die nicht allein als letzter Test, sondern vielmehr als echte Generalprobe der Nationalratswahlen 1970 empfunden werden. Die Marschrichtung der Parteien ist dennoch in dieser Session ein wenig aus dem Nebel getreten:

• Die SPÖ ist daran, durch eine Flut von Programmen echte Kontrapunkte zu setzen. Wirtschafts- und Humanprogramm, Demokratie-reform und Schulkonzept geben einen soliden Unterbau ab, von dem aus man die rational denkenden Wechselwähler anzusprechen erhofft. Das lange „Pflanzen“ der SPÖ durch einzelne Volksparteipolitiker mittels der Forderung, die Sozialisten sollten konkret sagen, was sie anders als die ÖVP machen wollten und würden, ist zu einem Bumerang geworden. Die SPÖ konnte glaubhaft machen, daß sie mit einer klaren Vorstellung über die wichtigsten

Sachfragen in eine kommende Regierungsperiode tritt. Die ÖVP hat außer dem Koren-Plan zwar einige „Papiere“ ihrer Aktion 20, aber kein neues Kleid ihrer Regierungsvor-stellung der Jahre nach 1970 vorgelegt.

Wie sich die SPÖ heulte unter Bruno Kreisky darstellt, bezeichnet man in der ÖVP als „Humansozialismus“, und fügt erklärend hinzu, daß diese Spielart ein „Offert an die Trägheit“ sei, das dem Staatsbürger einen wünschenswerten Himmel ohne reale erdnahe Stützen vorgaukelt.

• Anderseits hat auch die Volkspartei ein wenig den Zipfel eines Schleiens gehoben, der freilich noch gar nicht gewebt sein dürfte: Die ÖVP muß im Herbst zu klaren Profilen kommen, will sie den linken Angriff auf ihr Zentrum abschlagen. Sie muß klarstellen, wodurch sie sich in ihrer bündischen Vielfalt eigentlich von der SPÖ unterscheidet. Und muß überdies den Wechselwählern (auch dem immer stärker werdenden Block der FPÖ-Sympathisanten) klarmachen, daß eine SPÖ-Regie-rung Unruhe, Unsicherheit und Krise bringen würde. Daß der Nachweis ihrer Leistungen der ÖVP-Regierung wenig honoriert wird, hat sich bereits herumgesprochen. So wird der Leistungswahlkampf auch kaum noch aktuelle Bedeutung haben. In der Tat haben sich auf Grund der Wiener und Salzburger Wahlen die Gewichte in diesem politischen Frühjahr empfindlich verschoben.

Arithmetiker kommen zu den gleichen Prozenten wie die laufenden Meinungßforschungsergebnisse: Die ÖVP liegt schlechter denn je im Rennen. Ihr Abstand zur SPÖ dürfte sich auf mehr als 10 Prozent vergrößert haben, und eine Hochrechnung ergab, daß die absolute Mehrheit der SPÖ bereits auf Grund der derzeitigen Resultate vorhanden ist. So hat auch Farteivorsitzender Kreisky schon sein Wahlziel deutlich manifestiert, indem er von der klaren Mehrheit der SPÖ sprach, die er anstreben wolle und die eine SPÖ-Alleinregierung möglich

machen soll.

Stehen sich die Kontraste der Allein-regierungsfonm beider Großparteien schwarz-weiß gegenüber, ist in ihrem Schatten die Koalitionsbereitschaft der breiten Wählerschaft eher größer geworden. Umfragen haben ergeben, daß 44 Prozent der SPÖ-Wähler wieder zurück zur großen Koalition wollen. Ja selbst die Jungwähler treten überwiegend für eine große Koalition ein.

So haben auch im ÖVP-Lager augenblicklich jene Politiker Überwasser, die teils aus Bequemlichkeit, teils auch aus einem Sicherheitsdenken wieder zur großen Koalition (und Kasse) zurückwollen. Schließlich hat die ÖVP-Alleinregie-rung ja auch nichts während ihrer dreieinhalb Jahre unternommen, was dem Wähler augenfällig die Anfälligkeit der alten Koalition für Korruption, Faulheit und schlechte Kompromisse gezeigt hätte. Und tatsächlich ist die Prophezeiung der Sozialisten im großen und ganzen aufgegangen, daß an die Stelle der alten Koalitionspartner nunmehr in der schwarzen Alleinregierung eine Koalition der drei Bünde getreten ist; was in der Schlußrunde dieser Session ja auch besonders deutlich geworden ist: die Witwenrenten wurden erhöht, die Bauern erhalten ihre Pension, die kleinen und mittleren Betriebe ihre billigen Kredite. Und ÖAAB, Bauernbund und Wirtschaft sind mit diesem „Körberlgeld“ gleichmäßig glücklich in die Ferien gegangen.

Der Herbst wird aber auch über die Personen Klarheit schaffen, die die siebziger Jahre verantwortlich gestalten werden. Der moderne Wähler wird sich bei den nächsten Wahlen noch mehr an den Persönlichkeiten orientieren, die ihm die Parteien präsentieren. So wird die SPÖ Klarheit schaffen müssen, wer hinter Kreisky stehen soll. Das „Schattenkabinett“ wird sichtbar werden müssen, will Kreisky nicht den Vorwurf hören, daß hinter ihm eben nur die alten Marxisten der fünfziger und sechziger Jahre stehen. Und die ÖVP wird Anfang November ihren Bundesparteitag abhalten. Wichtigster Punkt: Neuwahl von Obmann und Generalsekretär. Wenngleich auch niemand zweifelt, daß Klaus und Withalm wieder kandidieren werden, so wird das Ausmaß des Votums der Delegierten einerseits und die Bereitschaft zur allgemeinen Gefolgschaft anderseits erkennbar werden. Immerhin haben die Statuten die ÖVP noch nie gehindert, eben auch nach Wahlen die Pferde zu wechseln. Immerhin: Die siebziger Jahre warten darauf, gestaltet zu werden. Wer bietet glaubhaft mehr als Papier und abgegriffene Minister listen? .

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