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Streit um Waffen am Oeresund

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erhitzen, ist die Verteidigungsfrage. An diesem Punkt stoßen alljährlich die Abgeordneten im Kopenhagener „Folketinget“ hart aufeinander, und immer wenn der Verteidigungsminister Poul Hansen sich dem Parlament stellt, munkelt man in Kopenhagen von Regierungskrisen, Zusammenbrüchen der Dreierkoalition, ja, außerordentlichen Neuwahlen. Die Herbstsession im Folketinget begann diesmal eben’mit der — von der Regierung immer wieder hinausgezögerten — großen Verteidigungsdebatte.

Warum die Debatte über Militärfragen in Dänemark so hart geführt wird, findet eine einfache Erklärung in der jüngsten Geschichte des Landes. Als im Jahre 1940 die Truppen des südlichen Nachbarlandes die Grenze bei Flensburg überschritten, stand Dänemark faktisch wehrlos’ und vollkommen unvorbereitet der Aggression gegenüber. Es gab keinen nennenswerten militärischen Widerstand. Heute, zwanzig Jahre darnach, kann man sich nicht darüber einigen, ob man die NATO voll und ganz stützen soll und somit eine gewisse Sicherheit in einem Verteidigungsbündnis erlangen könnte, oder aber ob man sich dem schwedischen

Muster der bewaffneten Neutralität angleichen soll, was den Vorteil hätte, daß man nicht mit den deutschen Partnern Zusammenarbeiten müßte. Der gegenwärtige Status ist ein Kompromiß, der nicht einer gewissen Lächerlichkeit entbehrt: Dänemark ist Mitglied der NATO, erfüllte aber die Mindestanforderungen der Gemeinschaft nur zu knapp 60 Prozent, man befürwortet die Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Paktes, aber nur zu einem gewissen Grad, auf der einen Seite rüstet man auf, auf der anderen ab - wobei es, wie von allen skandinavischen Militärexperten übereinstimmend festgestellt wird, an jeder Konzeption mangelt. Die Gründe dafür liegen in der unglücklichen ..Dreierkoalition“ zwischen Sozialdemokratie, Retsforbundet und den Radikalen. Verzweifelt versucht Poul Hansen. allen seinen Partnern gerecht zu werden, was jedoch nicht gelingen will. Die Majorität

Die politische Landschaft Dänemarks ist gar nicht so unähnlich der geographischen Struktur des kleinen Inselstaates: Neben den großen Festlandmassen mangelt es nicht an Inseln und Holmen, und so klein auch das eigentliche Areal ist, so bunt und vielschichtig — eben wie die typisch dänische Gartenlandschaft auf Fünen und Seeland — sind die Parzellen der dänischen Politik. Und immer dann, wenn sich die Gärtner nicht mehr so recht einig waren, errichteten sie flugs einen neuen Zaun. Nur auf diese Weise ist es wohl zu erklären, daß es in diesem liebenswerten Land der viereinhalb Millionen Einwohner nicht weniger als acht politische Interessengruppen gibt. Allerdings ist bei dieser Zählung die kleine, politisch uninteressante deutsche Minderheitenvertretung inbegriffen. Die Kardinalfrage im politischen Leben Dänemarks, das Problem, an dem sich am meisten die Gemüter der Sozialdemokraten — sie bilden den Kern der Regierung unter H. C. Hansen und verfügen über etwa 40 Prozent der Stimmen im Lande — will die NATO, jedoch ohne atomare Bewaffnung, der sehr starke linke Flügel, der eine gewisse Selbständigkeit anstrebt, fordert die Neutralitätspolitik. Die Koalitionspartner schließlich sind gegensätzlicher kaum zu denken: die liberalen Radikalen, die sich im Jahre 1905 von der liberalen Stammpartei, der Venstre, trennten, gelten als reine Pazifisten, der Retsforbund, ein irrationales politisches Gebilde, fordert gar die Atombewaffnung. Aus dieser Konstellation ist es erklärlich, wenn die Verteidigungsdebatte in Dänemark stets mit besonderer Spannung erwartet wird. Berücksichtigt man noch die höchst unterschiedlichen Auffassungen der Oppositionsparteien (liberale Venstre, konservative Högre, Kommunisten und sozialistische Volksparteiler des ehemaligen KP-Chefs Aksel Larsen, auf dem der Bannstrahl Moskaus lastet), so wird das Durcheinander der Meinungen, Ideen und Interessen noch vollkommener.

Doch nicht nur in Militärfragen zieht sich ein tiefer Graben durch verschiedene Interessengruppen, in anderen, wesentlichen innen- und außenpolitischen Fragen ist das auch der Fall. Die seit Jahrzehnten tonangebende Partei in Dänemark ist, wie in den nordischen Nachbarländern, die Sozialdemokratie. Freilich gelang es ihr in Dänemark nie, die Alleinherrschaft auszuüben, wodurch die Sozialpolitik, seit je das Steckenpferd der Bruderparteien in Norwegen und Schweden, ohne die in den Nachbarländern offenbaren Ueberhastungen durchgeführt werden konnte. Die Frontstellung, hier sozialistische Parteien, einschließlich Kommunisten, dort der bürgerliche Block, die in Norwegens und Schwedens Ländervertretungen durchaus noch üblich ist, gibt es in Dänemark nicht. Die Kommunisten, die kurz nach Beendigung des Krieges vorübergehend stark in den Vordergrund gerieten, sind heute wieder auf eine Minorität beschränkt. Seitdem der ehemalige KP-Chef Aksel Larsen aus den Reihen der KP Dänemarks ausgestoßen ist — Larsen forderte eine von Moskau unabhängige Parteipolitik und kritisierte die Haltung des Kreml im Jahre 1952 gegenüber Tito in aller Oeffentlichkeit —, spricht man in Kopenhagen offen von den „Moskauhörigen“. Larsens eigene Parteigründung, die Sozialistische Volkspartei, hat sich im Kampf um die Wählerstimmen zwar noch nicht bewährt, sie gilt jedoch zwischen den Sozialisten des H. C. Hansen und den Kommunisten als aussichtsreiche Gruppe, die vor allem in -den--Gewerkschaften, ihre zukünftigen Anhänger findet. Die rechte Opposition besteht aus zwei Parteien: den konservativen der Högre und den liberalen der Venstre. Die beiden Parteien stehen gegen wärtig im Mittelpunkt des Interesses in ganz Skandinavien. Zum ersten Male ist es nämlich gelungen, eine Aktionsgemeinschaft aus den beiden großen bürgerlichen Parteien zu bilden. Erik Eriksens und Poul Sörensens bürgerlichliberaler Block ist kürzlich mit einem gemeinsamen Aktionsprogramm an die Oeffentlichkeit getreten, das beweist, daß es wohl möglich ist, unter Wahrung der Interessen beider Partner eine Linie anzusteuern, die als Alternative zu der sozialdemokratischen Regierung diskutabel ist. Im Zentrum des Programms stehen die Verteidigungsfragen — man will endlich eine kompromißlose, effektive und sichere Verteidigungspolitik durchsetzen — eine Verwaltungsreform und mehr Freiheit für den einzelnen Bürger in sozialen Fragen. Man möchte vor allem die Zwangspension der Sozialisten torpedieren. Darüber hinaus strebt man natürlich den Regierungssturz an. Obwohl die Konservativen als reine „Unternehmerpartei“ gelten, die Venstre dagegen eine Ideenpartei ist, die über ein erstaunlich breites Wählerreservoir in allen Schichten der Bevölkerung verfügt, scheint die „Vernunftehe“ ihre ersten Früchte zu zeitigen. Die Aussichten dieser Gruppe, die, immerhin über sechs Sitze im Folketinget mehr als die Sozialisten verfügen, werden für die kommenden Wahlen als ungewöhnlich günstig bezeichnet. Gelingt es der Venstre, den konkurrierenden Liberalen der „Radikalen“ ihre Schlüsselposition streitig zu machen, wären die Voraussetzungen für eine bürgerliche Regierung in Dänemark gegeben. Nach der jahrzehntelangen„ nahezu ununterbrochenen Herrschaft der Sozialisten in Skandinavien wäre das Beispiel in Dänemark aller Voraussicht nach von Konsequenzen auch in den Nachbarländern begleitet.

Die Kluft zwischen der Regierungspartei und den bürgerlichen Oppositionsparteien ist in diesen Tagen noch tiefer geworden: Die Abgeordneten der Venstre und Högre verließen unter Protest den Verteidigungsausschuß, nachdem der Ressortminister Rechenschaft abgelegt hatte. In einer gemeinsamen Erklärung hieß es schlicht: „Wir sind nicht mehr in der Lage, die versteckte Abrüstungspolitik der Regierung zu unterstützen, Obwohl die Regierung sich zur Mitgliedschaft im Nordatlantikpaktbündnis bekennt, wurde die Truppenstärke auf 29.000 Mann, die Flugwaffe von acht auf fünf Geschwader vermindert, die vorliegenden Marinebauprogramme abgelehnt, soll die Wehrdienstzeit verkürzt werden! Die Rate für Neuanschaffungen für militärische Zwecke ist in den letzten Jahren von zirka 400 Millionen Kronen auf 90 Millionter! Krönet: ‘gefallen? unsere Flotte besteht — obwohl sie an einer strategisch wichtigen Stelle in der Ostseeausfahrt stationiert ist — aus einigen veralteten Zerstörern und unmodernen U-Booten.“

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