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Studenten und Professoren

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Die gesetzliche Regelung der Hochschul-prüfungstaxen und Kollegiengelder gibt Anlaß, jenseits von Schillingbeträgen und noch stark überspitzten Meinungen eine Bilanz über das Vergangene zu ziehen und eine offene Aussprache über die noch ungelösten Fragen einzuleiten. Denn es besteht kaum ein Zweifel, daß auf dem Gebiete des Hochschulwesens neue legislative und andere Maßnahmen in der nächsten Zeit kaum vermeidbar sein werden. Daß hierzu von den Akademikern von heute ebenso Stellung genommen werden muß wie von den Akademikern von morgen, darüber gibt es kaum einen Zweifel. Nichts liegt auch den Hochschullehrern ferner, als etwa einseitige Entscheidungen treffen zu wollen, wenngleich sie natürlich gewisse Dinge, wie etwa ein Feilschen mit den Hörern um die ihnen aus den Taxen zufallenden Beträge schon aus Gründen der Selbstachtung — auch der Selbstachtung der Hörer — ablehnen müssen. Niemand aber soll sagen können, daß die Hochschullehrer kein Verständnis für ihre Schüler zeigen wollen. Dazu aber ist Offenheit der einzige Weg.

Die Hochschullehrer haben zweifellos ein Interesse daran, daß nicht nur die Studenten, sondern auch die Organisationen der Studenten an den Hochschulen funktionieren. Sie müssen den Studenten aber doch einiges zu bedenken geben. Die bisherigen Demonstrationen sind leider zum Teil in sehr wenig würdiger Form erfolgt; erfreulich war, daß die aufreizende Ansprache eines Abgeordneten (in der Diktion weiland Goebbels') von der großen Mehrheit der Studenten energisch abgelehnt worden ist. Die Lehrer an den österreichischen Hochschulen sind nicht geneigt, den österreichischen Charakter ihrer Hochschulen in Frage stellen zu lassen. Sie denken allerdings auch nicht daran, Aeußerungen eines einzelnen als die Meinung einer ganzen Gruppe anzusehen oder irgendwelche Gruppen von Studenten politisch zu diskriminieren. Sie sind vielmehr bereit, mit allen zusammenzuarbeiten, die sich vorbehaltlos zu Oesterreich bekennen, und zwar ohne Unterschied d erPartei..

Sie möchten weiter zu bedenken geben, daß die tatsächliche — nicht die organisatorische — Wirksamkeit und das tatsächliche Prestige von Studentenvertretungen in hohem Grade von den Leistungen der dort auftretenden Personen auf dem Gebiete ihrer eigenen Studien weitgehend abhängig erscheint. Die Professoren können nicht verhehlen, daß sie um so lieber und mit um so größerer Bereitwilligkeit die Meinung von Studenten und Studentenführern entgegennehmen werden, als diese entsprechende oder gar besondere Leistungen aufweisen und als zukünftige oder schon gegenwärtige Fachkollegen eine Hoffnung für die Zukunft darstellen. Die Professoren blicken nicht ohne Sorge auf die mögliche Entwicklung einer bestimmten Vertretung der Studenten, die den Grundstock für den unwillkommenen Typ des berufsmäßigen — oder richtiger berufslosen — Politikers, sei es welcher Partei immer, bildet.

Auf vielen Gebieten ist außerdem die Nachfrage nach erstklassigen Kräften heute noch wesentlich größer als das Angebot. Die Hochschullehrer wären nur zu glücklich, wenn sie Fleißige und Fähige in weit größerem Ausmaße als bisher individuell fördern könnten. In sehr vielen Fällen würde sogar über das geplante allgemeine Förderungs- und Stipendienwerk hinaus — dessen Idee übrigens von den Hochschullehrern selbst stammt — die Mobilisierung von Mitteln aus der Privatwirtschaft durchaus möglich sein. Es gibt heute schon Möglichkeiten, und es wird nicht zuletzt Aufgabe der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher und künstlerischer Verbände sein, diese Möglichkeiten zu vergrößern. Zeigt uns die Leute, und wir wollen helfen! Zeigt uns die Leistungen, und wir werden sie honorieren! Zeigt uns den Willen, und wir werden ihn mit dem unseren vereinen! Aber verlangt nicht, daß wir ein zu bescheidenes Wissensniveau als unveränderlich ansehen!

In zwei Punkten scheint mir eine Zusammenarbeit durchaus vordringlich zu sein. An einer angemessenen Höhe des Kulturbudgets, die dem Kulturstaat Oesterreich wahrhaft entspricht, sind Lehrer und Lernende im gleichen Ausmaß interessiert. Die Studenten können nur das lernen, was ihnen wirklich hochqualifizierte Lehrer zu geben in der Lage sind, und das Ansehen der jungen Doktoranden wird in hohem

Grade davon abhängen, bei wem sie doktoriert haben. Institute, die keine Mittel haben, können oft wichtigste Arbeiten nicht durchführen, und junge strebende Absolventen, die in der Praxis ein Vielfaches von dem erlangen können, was ihnen an der Hochschule bestenfalls blüht, werden der Hochschule ebenso verlorengehen - wie Professoren, die gar nicht daran denken können, eine Berufung nach oder in Oesterreich anzunehmen oder einer Berufung aus Oesterreich hinaus etwa nicht Folge zu leisten. Wenn dazu noch der Bundeskanzler erklärt hat, daß die Oeffentlichkeit und die Wirtschaft als solche der Wissenschaft helfen sollen, so ist dies anzuerkennen. Ein entscheidender Schritt hierzu aber wäre die Steuerbegünstigung und Steuerbefreiung von Spenden für wissenschaftliche und kulturelle Zwecke. Auf diesem Gebiet ist aber leider — sagen wir es offen — bisher so gut wie nichts geschehen.

Lehrer und Lernende sind mit dem Ressortministerium vollständig einig in der Anschauung, daß untragbare Verminderungen der Ausgaben im kulturellen Sektor in Wirklichkeit die größte Verschwendung bedeuten. Der Bürgermeister der Stadt Wien hat in einer viel beachteten Rede gesagt, daß die Verdreifachung des Wohnraumes innerhalb

eines Menschenalters für jeden Oesterreicher eine Tat bedeute; was für eine Art von Tat bedeutet aber demgegenüber die Verminderung des Kulturbudgets im gleichen Zeitraum auf weniger als zwei Drittel? Es fallt den Hochschullehrern nicht ein, etwa direkt ursächliche Zusammenhänge zwischen diesen beiden Erscheinungen künstlich konstruieren zu wollen; aber es scheint ihnen nicht ganz unbegründet, wenigstens die Parität des materiellen und des ideellen Sektors und die Erhaltung eines anständigen Niveaus der Schüler aller A r t zu fördern. Werden die rund 40 Prozent (!), die nach der jüngsten Statistik in den Pflichtschulen nicht das volle Lehrziel erreichen, jemals etwas anderes werden als ein geistiges Proletariat, dem keine materielle „Entproletarisierung“ mehr nützen kann?

Mehr als anderswo bedeutet in Bildung und Kultur Stillstand: Rückschritt, Rückschritt aber: Katastrophe. Noch ist es Zeit. Wenn das Notwendige aber nicht bald geschieht, so könnten bald nur allzuleicht Wissenschaft, Kunst und Kultur in einen einzigen Gegenstand, in eine einzige Lehrkanzel zusammengefaßt werden: in eine Lehrkanzel für Geschichte von Oesterreichs einstiger wissenschaftlicher Größe und kultureller Weltgeltung. Oesterreich aber darf kein kulturelles und wissenschaftliches Pompeji werden!

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