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Stützen der Konjunktur

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Gedanken zum Jahreswechsel sind üblich. Es wäre aber schlimm, wenn Silvester und Neujahr der einzige Anlaß wären, sich über die gestellten Aufgaben und Probleme Gedanken zu machen. Das Jahr ist angefüllt mit Problemen, die zu lösen sind, und es vergeht kein Tag — es darf keiner vergehen —, ohne daß man prüft und erwägt, welche Lösungen möglich seien und was im Sinne einer positiven Aufgabenstellung und -erfüllung geschehen kann. Trotzdem ist es sinnvoll, zum Jahresschluß darüber einiges Konkretes auszusagen.

Was den für das wirtschaftliche Wohlergehen des Landes hauptverantwortlichen Ressortminister im Augenblick am meisten beschäftigt, sind Überlegungen bezüglich der konjunkturellen Entwicklung in Österreich. Diese Entwicklung verläuft gegenwärtig ziemlich parallel zu der in allen anderen europäischen Industriestaaten. Nach einer steil ansteigenden Konjunkturkurve trat schon Ende 1964 eine erste, im Laufe der Zeit immer fühlbarer werdende Konjunkturverflachung ein, die sich unter anderem in der sinkenden Tendenz der Zuwachsrate des Bruttonationalprodukts statistisch erweist. Ich habe es immer betont, und bleibe auch heute auf diesem Standpunkt, daß diese Konjunkturverflachung nicht mit einer Krise verwechselt werden darf. Noch immer haben wir Vollbeschäftigung und steigendes Einkommen, besonders auf der Seite der Arbeitnehmer, und noch immer ergibt sich als Folge davon eine Zunahme der Konsumkraft der gesamten Bevölkerung. Wir dürfen aber nicht übersehen, daß der steigenden Konsumkraft eine sinkende Investitionsrate gegenübersteht, ein Vorgang, der unter anderem geeignet sein kann, eine Geldentwertung herbeizuführen. Daß diese Gefahr im abgelaufenen Jahr 1966 in Österreich kaum wirksam geworden ist, ist auf die hohe Preisdisziplin und auf ein verstärktes Warenangebot auf dem inländischen Markt zurückzuführen. Nach einer jüngst veröffentlichten Internationalen Statistik verzeichnet Österreich die geringste Preissteigerung aller EFTA-Staaten im Jahre 1966.

Trotzdem darf man die Gefahren nicht übersehen, die sich aus steigendem Konsum und zurückgehender Investition ergeben. Die Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Produktion auf den internationalen Märkten kann nur erhalten — in einzelnen Fällen müssen wir bereits sagen, tviederhergeäteflt — werden, wenn die österreichische Produktion mit dem internationalen Rationalisierungstrend wenigstens halbwegs Schritt halten kann. Gerade das aber ist eines der ernstesten Probleme der Gegenwart. Wir dürfen nicht glauben, daß es auf die Dauer möglich sei, etwa durch eine protektionistische Handelspolitik die österreichische Produktion wirklich zu schützen. Die Konsumentenschaft in den Industriestaaten läßt sich einfach auf die Dauer einen Wirtschaftsprotektionismus nicht gefallen, der den Konsum billigerer Auslandsware verhindert. Deshalb haben wir ja auch seit 1955 konsequent und unbeirrt von allen — im Einzelfall zwar verständlichen — Verzögerungsmanövern, die Liberalisierung der Einfuhr durchgezogen. Was dieser Prozeß an Schwierigkeiten und Ärgernissen für alle Beteiligten gebracht hat, könnte Bände füllen. Unternehmer und Gewerkschaften vereinigten sich dabei in dem Grundsatz, daß Liberalisierung in allen Branchen ein sehr nützlicher wirtschaftspolitischer Vorgang sei — nur nicht in der eigenen. Das ist, wie gesagt, ein für den Betroffenen verständlicher, für den verantwortlichen Minister natürlich nicht akzeptabler Grundsatz.

Mit dem 31. Dezember 1966 wird nun, von einzelnen Agrarprodukten abgesehen, eine hundertprozentige Einfuhrliberalisierung auf dem industriell-gewerblichen Sektor gegenüber den GATT-Staaten Platz greifen, indem einige der letzten bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht liberalisierten Härtefälle ebenfalls liberalisiert werden. Auf dem industriell-gewerblichen Sektor bleiben künftighin nur noch das Penicillin und die Braunkohle einfuhrgeregelt.

Das bedeutet für die österreichische Industrie einen neuerlich verstärkten Importdruck, dem nur mit echter Konkurrenzfähigkeit begegnet werden kann. Aber, es wurde ja schon gesagt, diese echte Konkurrenzfähigkeit ließe sich, auf die Dauer gesehen, auch nicht durch Restriktionsmaßnahmen entbehrlich machen. Im Gegenteil: der Zwang zur Konkurrenzfähigkeit ist in Wirklichkeit auch eine Voraussetzung für den künftigen Bestand der Unternehmungen.

Für den Nationalökonomen stellt sich gegenwärtig allenthalben die Frage, wie den Verflachungstendenzen entgegengewirkt werden könne. Die britische Labourregierung, deren Schwierigkeiten durch ein gefährliches und dauerndes Zahlungsbilanzpassivum besonders groß sind, versucht mit den klassischen Mitteln, so etwa der Konsumrestriktion und der höheren Besteuerung, das Problem zu mei stern. In Österreich und in der Bundesrepublik Deutschland teilt sich die Meinung zwischen solchen klassischen Maßnahmen einerseits und einer Belebungskur durch Zuführung zusätzlicher Geldmittel, vor allem für den Investitionssektor, anderseits. Für Österreich dürfte das richtige Maß ungefähr in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen liegen. Wenn es gelingt, für einige Zeit wenigstens zu einer ausreichenden Kostenstabilität zu gelangen und gleichzeitig eine erfolgreiche Investitionspolitik der Betriebe zu fördern, so kann angenommen werden, daß nicht nur eine weitere Verflachung, ja eine Stagnation der Konjunktur, sondern wieder eine wenn auch bescheidene Aufwärtsentwicklung eintreten wird.

Um dies zu erreichen, bedarf es neben einer strikten Lohn- und Preisdisziplin umfassender wirtschaftspolitischer Maßnahmen für den Investitionssektor. Es ist klar, daß die Mitte des Jahres beschlossenen Wachstumsgesetze nur eine der vielen Voraussetzungen hierfür gewesen sind. Wenn heute vor allem aus parteipolitischen Aspekten heraus behauptet wird, jemand habe diese Waohstumisgesetze als ausreichendes Mittel bezeichnet, so ist das selbstverständlich nicht wahr. Es bedarf zusätzlich weiterer kapitalfördernder Maßnahmen, es bedarf aber auch endlich einer Belebung des Wertpapiermarktes auf breitester Basis. Die Idee, daß Aktienbesitz etwas moralisch Anrüchiges sei, muß endlich aus den Köpfen der Binneneuropäer heraus!

Alle diese bereits vollzogenen oder in näch ster Zeit noch zu treffenden Maßnahmen dienen insbesondere auch der Förderung der wichtigsten Stütze unserer Konjunktur, nämlich der Förderung unseres Exports. Wir müssen wieder dazu kommen, daß dieser Export gemeinsam mit den Erträgnissen aus dem Devisenbringer Nummer eins, dem Fremdenverkehr, das Passivum der Handelsbilanz abdeckt und damit auch die Zahlungsbilanz ausgleicht. Auf Dauer gesehen, könnten wir uns Abgänge in der Handelsbilanz, wie sie für das nun ablaufende Jahr zu gewärtigen sind, nicht leisten.

Unternehmen wir also alle Anstrengungen, die heimische Wirtschaft noch intensiver als bisher auf den sich verschärfenden Wettbewerb auf den Weltmärkten vorzubereiten. Auch die von Österreich angestrebte Teilnahme an einem größeren europäischen Markt verlangt die Bereitstellung aller verfügbaren Mittel für Investitionen zur Erlangung einer möglichst umfassenden „Europareife“. Nicht notwendige Konsumausgaben werden zurück- Stehen müssen.

Wenn wir alle, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in den kommenden zwölf Monaten Maß halten in unseren Ansprüchen, wenn wir nicht versuchen, die erst in der Zukunft zu erwartenden Früchte unserer Arbeit schon vorweg zu konsumieren, wenn wir vielmehr ausschließlich in der gemeinsamen ernsten Arbeit und Leistung die Basis unseres Wohlstandes auch in der Zukunft sehen, dann werden unsere Erwartungen in ein gutes Jahr 1967 nicht enttäuscht werden!

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