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Stützen des Rechtsstaats

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Ansehen und Sicherheit im öffentlichen Dienst müssen die in anderen Bereichen bessere Bezahlung ersetzen.

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Ansehen und Sicherheit im öffentlichen Dienst müssen die in anderen Bereichen bessere Bezahlung ersetzen.

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Inmitten des tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels, dem wir uns ausgesetzt sehen, sollten wir Grundfragen jeder Gemeinschaft, nämlich die Sicherstellung von Ordnung und staatlicher Autorität, im Auge behalten. Vor allem drei Kräfte haben diese Aufgaben zu erfüllen: die Politik, das Beamtentum und die Justiz. Alle drei bieten heute freilich das Bild schwindender Fähigkeit zur Erreichung ihrer Ziele. Was die Gerichtsbarkeit betrifft, sind bisher nur einzelne Fehlentwicklungen zu beklagen. Schlimmer ist die Situation im übrigen staatlichen Bereich.

Dieser Prozeß des Autoritätsverlustes scheint in Etappen zu erfolgen. Im ersten Schritt wurden die Politiker zu Feindbildern. Sie haben im allgemeinen Bewußtsein ihre Bolle als demokratische Bepräsentanten der Bevölkerung weitgehend eingebüßt. Man betrachtet sie nicht mehr als Menschen, die sich einer wahrlich nicht leichten, aber wohl Respekt verdienenden Aufgabe unterziehen. Es fehlt nun in einem höchst beunruhigenden Ausmaß an Persönlichkeiten und Nachwuchs. Welcher fähige junge Mensch träumt heute noch von einer politischen Karriere, um als geachteter Mitbürger Ideale verwirklichen zu können? Geht er in die Politik, riskiert er ja nur, ein verhaßter Privilegierter zu sein, über dessen Rechte man sich ärgert und dessen Arbeit gering geschätzt wird.

Nun scheint der zweite Schritt zu folgen. Der Apparat des öffentlichen Dienstes, der Recht und Ordnung, Dienstleistung und Sicherheit herstellen soll, scheint nun in denselben Sog zu geraten. In einer Pauschalver urteilung wird auf alle hingedroschen, die für die Gemeinschaft arbeiten. Nicht die Aufgabe und ihre Erfüllung wird gesehen, sondern ein Zerrbild dargestellt, das nur die angeblich unerträglichen Bevorzugungen der Staatsdiener zeigt. Dabei hatte Österreich immer eine für viele andere Staaten beispielhafte Beamten-tradition. Es sollte uns zu denken geben, daß in den postkommunistischen Staaten Europas heute umso mehr Chaos und Korruption herrschen, je weniger sie mit der k. u. k. Monarchie in Berührung kamen. Pflicht, Anstand und Ehre des Staatsdieners waren früher hochgeachtete Ideale. Dementsprechend hat der Staat seinen Dienern besondere Rechte, aber auch Pflichten, zugeteilt, über deren Erfüllung ein Disziplinarrecht wacht. Er läßt sie nicht bloß „jobben”, sondern nimmt sie in ein lebenslängliches Treueverhältnis.

Ansehen und Sicherheit müssen die in anderen Bereichen bessere Bezahlung ersetzendas ersetzen.

Gewiß: Die Welt und die Anforderungen der Zeit wandeln sich. Das gilt natürlich auch für den öffentlichen Dienst. Unbegreiflich ist freilich, warum man nun das System eines stabilen Berufsbeamtentums an sich in Frage stellt, ohne auch nur einen winzigen Gedanken an seine Bedeutung für das Funktionieren des Staates zu verschwenden. Offenbar meint man, .daß der beste Beamte jener ist, der in der ständigen Sorge leben muß, von demselben Staat „gefeuert” zu werden, dem er die Treue versprochen hat und dessen Gesetze er vollzieht. In den Augen der öffentlichen Meinung ist es anscheinend kein Unterschied, ob man Verbrecher bekämpft oder Wäsche verkauft, ob man dem Bürger Steuern vorschreibt oder die Buchhaltung einer Werbeagentur besorgt.

Daß die Verwaltung unserer Republik zu teuer geworden ist, verdanken wir nicht einem üppigen Lebensstil und einem vergoldeten Ruhestand der Beamten, sondern einfach der Tatsache, daß die Politik der letzten Jahrzehnte die Verwaltungsapparate mit immer mehr Vorschriften überhäuft, aufgebläht und noch dazu verpolitisiert hat. Heute ist kaum etwas dringlicher, als der Rückzug des Staates aus vielen Bereichen. Das Problem ist erkannt, das Vorhaben einer Verwaltungsreform gibt aber seit vielen Jahren ein zuständiger Minister dem nächsten in die Hand. Daraus den Schluß zu ziehen, daß man nun mit dem bisherigen Modell des öffentlichen Dienstes Schluß machen muß, bedeutet einen Ast abzusägen, auf dem wir alle sitzen. Keiner scheint mehr daran zu denken, wie sehr sein persönliches Wohlergehen davon abhängt, daß der Staat gut verwaltet wird, daß für eine gleiche, gleichmäßige und korrekte Handhabung der Vorschriften gesorgt ist. Welcher Sektionschef wird einem Minister noch sagen, was dieser nicht tun soll oder gar darf, wenn ihm die „flexible” Kündigung wegen politischen Ungehorsams droht? Korrekte und pflichtbewußte Beamte sind eine unentbehrliche Stütze des Rechtsstaates. Es kommt daher nicht von ungefähr, daß sich der Staat um ihre Versorgung auch noch im Ruhestand kümmert und daß diese - ja, das Wort sei verwendet- „standesgemäß” ist.

In Österreich laufen genug Leute herum, die an Weltverschwörungen glauben: internationale Netzwerke der Rechten oder der Linken wollen unsere schöne Gesellschaftsordnung zerstören. Nehmen wir einmal an, es gäbe solche Absichten. Man säße in den Zentralen beisammen und überlegte, wie man einen Staat kaputt machen kann. Die Chefstrategen könnten schon nach kurzer Beratung die Linie festlegen: Erst ruinieren wir die Politiker. Dann den öffentlichen Dienst. Nebenbei die Kirchen und die Hochschulen. Sozusagen von unten her auch die Familien. Das sind natürlich Wahnvorstellungen. Fast ist aber verständlich, daß manche Leute auf solche Gedanken kommen. Allerdings besorgen wir den Abbruch unseres Systems selbst. Ohne Weltverschwörung. Aber augenscheinlich mit Konsequenz.

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