6753495-1967_37_07.jpg
Digital In Arbeit

Sudanesische Probleme

Werbung
Werbung
Werbung

Vielleicht war es die in Khartum im ersten Jahrzehnt nach der Unabhängigkeitserklärung (1956) ungewöhnlich stark gebliebene britische Tradition, die den Sudan aus den innerarabischen Zwistigkeiten heraushielt. Trotz langer Bindungen an Ägypten (1899 bis 1955 war er „anglo-ägyptisches Kondominium“, und 1951 ernannte sich Faruk zum „König des Sudan“) und jahrelanger ägyptischer Anschlußpropaganda (Abdel Nassers Mitverschwörer und erster Informationsminister Salah Salem, der inzwischen verstarb, tanzte am Lagerfeuer südsudanischer Negerstämme halbnackt wilde Kriegstänze; die „Einheit des Niltales“ war ein Hauptziel der Kairoer Offiziersjunta, und erst der aus ursprünglich sudanischer Familie stammende Präsident Nagib verzichtete offiziell auf die ägyptischen Ansprüche) behielt der Sudan seine Unabhängigkeit. Zunächst war nicht einmal sicher, ob er Mitglied der Araberliga werden solle; die Araber bilden in ihm nur eine Minderheit (39 Prozent der Bevölkerung).

Während die übrigen Araberstaaten heftige antiwestliche Affekte entwickelten, blieb der Sudan bei seiner prowestlichen Einstellung. Er bekam britische Verwaltungs-, amerikanische Finanz- und deutsche Militärhilfe. Die Arabisierungspoli-tik gegenüber der in den drei Südprovinzen lebenden nichtislamischen schwarzen Bevölkerungsmehrheit erregte jedoch westliche Kritik. Großbritannien hatte dem jungen Staat ein fast unlösbares Problem hinterlassen. Der Sudan besteht in Wirklichkeit aus zwei Staaten: dem arabischen im (kleineren) Norden und dem afrikanischen im (größeren) Süden. Die britische Politik lief darauf hinaus, beide Teile im gleichen Staatsverband zusammenzuhalten — als dauerhaftes Gegengewicht gegen das ägyptische Hegemoniestreben. Gleichzeitig wurden aber britischer-seits die südsudaniischen Separationstendenzen ermutigt — für den Fall, daß sich die Kairoer Anschlußhoffnungen doch verwirklichen würden. Solange der Sudan unabhängig bleiben will, muß er, koste es, was es wolle, seine territoriale Integrität aufrecht halten. Fielen die Südprovinzen ab, worauf ihre in den Nachbarländern lebenden politischen Wortführer hinzielen, bliebe dem Rest nur der Anschluß an Ägypten.

Keine Einheit, aber größere Einigkeit

Die wenigen westlichen Konferenzbeobachter waren einig im Frohlocken, die Araber seien von der Einheit heute weiter entfernt als vor dem knapp fünf Jahre zurückliegenden Beginn der Gipfelkonferenzserie und vor dem israelischen Junisieg. Das ist aber nur bedingt richtig. Die Fata Morgana von einem allarabischen Bundesstaat zwischen Atlantik und Persergolf ist entschwunden, doch unter den in Khartum versammelten

Oberhäuptern der arabischen „Kernländer“ wuchs die Bereitschaft zu echter Zusammenarbeit auf inner-arabischer und internationaler Ebene.

Das Fehlen der Radikalen wie Algerien und Syrien und der Kompromißler wie Tunesien, Libyen und Marokko war eher ein Vorteil. In Khartum blieben diejenigen, die das Palästinaproblem unmittelbar angeht, unter sich. Der besiegte ägyptische Präsident war zur Mäßigung gezwungen, der jordanische König hatte saudische Rückendeckung. Das Ergebnis war ein Tauschhandel zwischen Abdel Nasser und Feisal: Ägypten erhält finanzielle Unterstützung und die Chance, ohne Ge-sichtsverlust aus dem Jemen abzuziehen; Jordanien bekommt freie Hand für eine separate Friedensregelung in Palästina. Ägypten akzeptierte die jugoslawischen Vorschläge, wonach eine Garantie der Großmächte oder der UN Israel in den vor dem 5. Juni bestehenden Grenzen garantieren soll, sofern es

die besetzten Gebiete räumt und keine Gebietsforderungen geltend macht.

Wiederannäherung an den Westen?

Bemerkenswertestes Konferenzergebnis war die neue Sprache gegenüber dem Westen. Die Araber sind nach wie vor enttäuscht über ihren sowjetischen Bundesgenossen. Sie bezweifeln nicht mehr, daß der Kreml für ihre Interessen keinen Weltkrieg und auch keine begrenzte direkte Konfrontation riskieren wird. Der Bruch mit Israel wurde zwar begrüßt, aber man ist sich darüber klar, daß die Sowjetunion — genauso wie der Westen — keine Zerstörung Israels wünscht und — anders als der Westen — keinen Einfluß auf Israel besitzt. Nur die Westmächte, vor allem die USA, von denen Israel abhängt, können den Sieger des Junikrieges zur Nachgiebigkeit veranlassen.

Aus demselben Grund stimmte Abdel Nasser der Wiederaufnahme der öllieferungen zu. Auch er ist interessiert an einer Normalisierung seiner Beziehungen zu Washington und der Wiederaufnahme amerikanischer Lebensmittellieferungen. Seit Wochen weilt ein Nahostexperte des US State Departements in Kairo — offiziell, um die Geschäfte der Botschaft abzuwik-keln; in Wirklichkeit, um den direkten Draht zwischen Kairo und Washington nicht abreißen au lassen.

Was für die USA zutrifft, gilt auch für andere westliche Staaten. Frankreich unterstützt die Araber politisch durch die Forderung nach International isierung Jerusalems, militärisch durch Waffenlieferungen. Gegenüber der Bundesrepublik häufen sich die Anzeichen auf bevorstehende diplomatische Normalisierung. Jordanien und Libyen entsandten wieder Botschafter, und der Bonner Ligasprecher Kabbani unterstrich mehrfach das arabische Interesse an der Normalisierung. Von einer DDR-Anerkennung ist nicht mehr die Rede. Auf die Bonner Demarche in Jerusalem zugunsten der Flüchtlingsrückführung in das besetzte Ostpalästina folgte arabischerseits Genugtuung.

Arabische Selbsthilfe?

Auf dem Khartumer Gipfel begann offenbar eine neue Phase arabischer Politik. Es ist eine Phase des Realismus. Der mit 1,7 Milliarden Dollar ausgestattete Hilfsfonds,

in den Saudi-Arabien und Kuwait insgesamt zwei Drittel einzahlen und dessen Hauptanteil Ägypten und Jordanien zufließt, ist der erste Versuch eines innerarabischen Finanzausgleiches. Kenner der Verhältnissa sehen in der Bezeichnung „Kriegskasse“ nichts weiter als die propa-< gandistische Verschleierung direkter finanzieller Subventionen der reichen an die armen Länder.

Das Eingeständnis, die Palästinafrage sei nur politisch lösbar, ist nichts anderes als der vermutlich endgültige Abschied von der Gewalt.

Abdel Nasser weckte Sympathien

Für Abdel Nasser war der Khartumer Gipfel ein Wendepunkt seiner politischen Karriere. Ort der nächsten Konferenz ist Bagdad. Niemand denkt mehr an Kairo als ständigen Tagungsort, und der Ägypter ist nur noch „Erster unter Gleichen“. Nichts könnte deutlicher seinen Prestigeverlust beweisen. Auch zu Hause ist er nicht mehr unangefochten. Er ließ seinen ältesten Freund und ehemaligen Vizepräsidenten, Abdel Haim Amer, verhaften und muß sich, besagen glaubhafte Informationen, zum erstenmal den Mehrheitsbeschlüssen des Kabinetts fügen.

Die Konferenz war für ihn auch ein sentimentales Wiedersehen mit seiner Jugend. Im Sudan erklomm der junge Offizier die ersten Sprossen der soldatischen Erfolgsleiter. An den romantischen Lagerfeuern der Militärcamps, unter dem Kreuz des Südens, reiften die politischen Ideale und die Umsturzpläne, die ihn emportrugen zum unumschränkten Nilherrscher von pharaonischem Zuschnitt. Hier lernte er seine Mit-verschwörer kennen, von denen die meisten heute unter Hausarrest stehen oder inhaftiert sind. Kein Ort wäre mehr geeignet gewesen, ihn über die Vergänglichkeit von Freundschaft und Ruhm nachdenken zu lassen. Der Ort, von dem der Jüngling ausgezogen war, um das Niltal zu erobern, zwang den als ergrauten und geschlagenen Staatsmann Zurückgekehrten offensichtlich zur Wahrheit. Konferenzteilnehmer, die ihn seit langem kennen und ihm durchaus reserviert gegenüberstehen, verweigerten ihm diesmal nicht die Zustimmung. Unter jenen, die alle Schuld von sich zu weisen versuchten und sich nur wieder gegenseitig bezichtigen wollten, hatte er den Mut zur Selbstkritik. Hier erlebte er denn auch noch einmal die gewohnten Triumphe. Die Bevölkerung bereitete ihm begeisterte Ovationen, und König Feisal, vor der Rede seines Widersachers noch sehr kühl, verwehrte ihm hinterher nicht den Beifall.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung