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Auf ein Wort

"Wäre es zu kühn, sich eine Union vorzustellen, die nicht nur einen gemeinsamen Markt, eine gemeinsame Währung und eine gemeinsame Zentralbank hat, sondern auch ein gemeinsames Finanzministerium?“ Mit dieser rhetorischen Frage erntete Jean-Claude Trichet Zustimmung, als er in Aachen den Karlspreis in Empfang nahm. Jetzt, kurz vor seinem Ausscheiden aus der Funktion des Präsidenten der Europäischen Zentralbank, konnte er frei aussprechen, was ihm am Herzen liegt. Widerspruch blieb wohl nur deshalb aus, weil sein Wunsch ohnehin Utopie bleiben wird.

Greifbare Ratlosigkeit

Die Preisgabe der fiskalischen Souveränität der Mitgliedsstaaten wäre der Schlussstein eines Einigungsvorgangs, der derzeit nicht nur stockt, sondern dabei ist, sich zurückzuentwickeln. Die greifbare Ratlosigkeit europäischer Spitzenpolitiker, deren vielstimmiger Auftritt im Gefolge des Lissabon-Vertrages nicht geschlossener, sondern verwirrender wirkt als zuvor, hat das Vertrauen in die europäischen Institutionen geschwächt statt gesteigert. Der Umgang mit den Flüchtlingsströmen aus dem nordafrikanischen und nahöstlichen Raum steht exemplarisch für die Uneinheitlichkeit der europäischen Politik. Die innereuropäische Grenzenlosigkeit, seit dem Schengen-Vertrag zur angenehmen Gewohnheit geworden, wird durchlöchert. Anstelle akkordierter Strategien dominiert der Überlebenstrieb der teilnehmenden Innenminister. Ihre Wähler haben sie nun einmal in den Mitgliedsländern und nicht in der Union.

Die größte, innere Zerreißprobe aber geht von der Euro-Krise aus. Die Unterschiedlichkeit der Produktivitätsniveaus in den einzelnen Volkswirtschaften mag dafür ebenso mitverantwortlich sein wie die massiven strukturellen Probleme in den Staatsbudgets. Ihr eigentlicher Auslöser aber war die vorangegangene Finanzkrise. Sie erst erzwang Garantien, Bankenhilfspakete und Konjunkturprogramme, die zur schockartigen Erhöhung der durchschnittlichen Verschuldung der EU-Staaten um mehr als ein Drittel geführt haben.

Die richtige Antwort darauf wäre noch vor wenigen Monaten die Flucht nach vorne gewesen: Ein europäischer Währungsfonds hätte sicherzustellen, dass kein Euro-Land in den Staatsbankrott kippt. Damit würden Spekulationen gegen einzelne Staaten beendet, und den gegen strenge Auflagen mit Eurobonds versorgten Schuldnerländern bliebe erspart, für neues Geld absurd hohe Zinsen zu zahlen, die erst recht jede Sanierung verunmöglichen. Diese proaktive Lösung hätte die Akzeptanz der Wähler gefunden, wäre sie von der längst überfälligen, grundlegenden Erneuerung der Finanzmarkt-Regulierung begleitet worden.

Idealpolitische Prosa

Der Zeitpunkt aber, zu dem eine solche Strategie noch gestaltbar war, liegt bereits hinter uns. Denn unter dem Eindruck offenkundiger Konzeptlosigkeit hat längst die ungeordnete Flucht nach hinten eingesetzt. Sie wird wesentlich risikoreicher und teurer werden. Und sie macht aus den hoffnungsfrohen Sätzen des scheidenden EZB-Präsidenten endgültig ein unverbindliches Versatzstück idealpolitischer Prosa.

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