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Thema: Inflationsbekämpfung

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Die kräftige Erhöhung der Verbraucherpreise hat (auch) für unser Land während der letzten Monate das Inflationsproblem wieder in den Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Diskussion gerückt. Stabilisierungsprogramme werden diskutiert und verworfen, und jeder neue Indexwert wird mit Spannung erwartet. In auffallendem Gegensatz zu dieser Aktivität der Praxis stehen die eigentlich geringen Erfolge in der wissenschaftlichen Analyse und wirtschaftstheoretischen Durchleuchtung des Inflationsproblems an sich und in der Erforschung seiner Ursachen: Nicht einmal über eine operationale Definition der Inflation konnte man sich bisher einigen. Die einschlägigen Studien beschreiben entweder ganz allgemein Bestimmungsgründe, ohne ihr Verhältnis zueinander genauer zu erklären, oder es sind Monographien einzelner Einflüsse, die gar nicht erst versuchen, ein Gesamtbild zu entwerfen. Man darf sich daher nicht wundem, daß das konkrete Inflationsproblem in Österreich auch noch nicht näher untersucht worden ist.

Die Inflationsursachen

Die Periode der offenen, rasanten Inflation wurde in Österreich 1952 überwunden. Seither blieben die Preissteigerungen auf höchstens 4,4 Prozent, meist aber weniger als 3,5 Prozent pro Jahr beschränkt; sie waren damit in den fünfziger Jahren geringer als in den meisten anderen europäischen Ländern. Zum Teil dürfte das eine Folge der weiten Verbreitung amtlicher Preise und ihres relativen Zurückbleibens sowie der Verzögerung einer längst fälligen Mietenreform gewesen sein. Die Preise für Bekleidung, länger- lebige Konsumgüter und Dienstleistungen stiegen hier allerdings rascher als in fast allen anderen (vergleichbaren) Ländern. Während der sechziger Jahre hat sich das Verhältnis dann freilich einigermaßen umgekehrt: Die amtlichen Preise wurden rasch nachgezogen und beschleunigten so den Preisauftrieb, Bekleidung und dauerhafte Güter blieben etwas zurück.

Als Inflationsursachen kommen — wie fürdie OECD, so auch für Österreich — die Erhöhung von Monopolpreisen, Übemachfrage, Lohnsteigerungen und „spezielle Preiserhöhungen” in Frage. Betrachtet man die amtlichen Preise bei uns nicht als Monopolpreise, so dürften diese letzteren keine sehr große einschlägige Bedeutung haben; wohl aber deutet die Kalkulationspraxis im Handel darauf hin, daß Kostensteigerungen offenbar leicht weitergegeben werden können. Lohnerhöhungen kommt daher entsprechend großer Einfluß zu. Tatsächlich sind die Löhne auch stark gestiegen; die Entwicklung der Überbezahlungen läßt jedoch vermuten, daß daran die Arbeitskräfteknappheit größeren Anteil hatte als die Ausnutzung ihrer Verhandlungsmacht durch die Gewerkschaften (obwohl diese in Phasen schwächeren Wachstums und langsamerer Produktiv,itätsfort- schritte zweifellos kosteninflatorische Wirkungen hatte). Die kräftige Nachfrage nach Arbeitskräften aber ergab sich aus dem Zusammentreffen einer anhaltend starken privaten Konsumnachfrage mit beachtlich hohen Staatsausgabein und aus einer meist sehr leibhaften Investitionsnachfrage der Unternehmer, die zum Teil durch wirtschaftspolitische Maßnahmen („Bewertungsfreihieit”) noch vermehrt wurde. Der daraus stammende Preisauftrieb wurde durch stoßweise Nachziehungen der amtlichen Preise und durch Schwankungen der Preise für Saisonprodukte weiter verschärft. Letztere wurden vor allem deswegen unangenehm, weil sie — obwohl grundsätzlich vorübergehender Natur — Anlaß zu Lohnforderungen gaben, die ihrerseits dauernde Preiserhöhungen nach sich zogen.

Schleichende Inflation

Ehe die Möglichkeiten und Grenzen einer antiinflatorischen Politik in Österreich erörtert werden, soll noch kurz auf den Charakter der schleichenden Inflation (der späten fünfziger und bisherigen sechziger Jahre) und ihre Folgen hingewiesen werden. Die schleichende Inflation unterscheidet sich von der rasanten durch ihr Ausmaß und durch das offensichtliche Fehlen einer automatischen Beschleunigung. Auch ihre Auswirkungen dürften — mindestens bis heute — nicht sehr ungünstig gewesen sein. Offensichtlich haben die Lohnempfänger, einschließlich der Bediensteten der öffentlichen Hand, Mittel und Wege gefunden, ihren Reallohn absolut und relativ nicht nur zu halten, sondern eher zu steigern, und auch die Empfänger von Transfereinkommen litten — sogar vor der dynamischen Rente — auf längere Sicht nicht unter den Folgen der Preissteigerungen. Die Vermögensbesitzer halten in Österreich überwiegend Realvermögen, aber auch die Geldvermögen wurden real mit über 4 Prozent verzinst, was etwa dem international erwarteten langfristigen Zinssatz entspricht. Auf die Exporte schließlich war — wie in den meisten anderen Ländern — in kurzer und mittlerer Sicht kein Einfluß der schleichenden Inflation festzustellen. Man wird daher vor Ergreifen schärferer antiinflatorischer Maßnahmen überlegen müssen, wie weit sie dämpfende Wirkungen auf das Wirtschafts- wachstum haben, weil eine stärkere Verringerung der Wachstumsrate volkswirtschaftlich wahrscheinlich viel unangenehmer wäre als ein mäßiger Preisauftrieb.

Praktische Maßnahmen

Als Maßnahmen gegen die Übemachfrage kommen in expansiver Richtung vor allem Zollsenkungen während der Aufschwungphasen in Frage, die zwar nicht unbedingt auf kurze, wohl aber auf längere Sicht die Angebotssituaticxn erleichtern. In restriktiver Richtung wären eine etwas mehr zurückhaltende Staatsausgabenpolitik und eine antizyklische Variierung der Investitionsbegünstigungen zu empfehlen. Die Kreditpolitik wird wohl auch entsprechend eingesetzt werden können, sie wird jedoch stets darauf achten müssen, die Kreditnachfrage nicht in das Ausland abzudrängen und sich damit selbst das Wasser abzugraben. Gegen die preistreibenden Wirkungen der Lohnsteigerungen sind zwar nicht auf längere Sicht, wohl aber für gefährliche Situationen gewisse retardierende Elemente, wie das Bewilligungsverfahren der Paritätischen Preis- und Lohnkommission, durchaus sinnvoll. Auf längere Sicht jedoch bedarf es einer Wachstumspolitik, welche die Voraussetzungen für jährliche Realeinkommenssteigerungen von etwa 4 Prozent schafft. Ein wichtiger Bestandteil davon werden die richtige Schulung der Arbeitskräfte und eine strukturelle Arbeitsmarktpolitik sein, die es ermöglicht, die knappen Arbeitskräfte dort einzusetzen, wo sie den größten Beitrag zur Produktion leisten können. Das Schlagwort der Einkommenspolitik soll in diesem Zusammenhang nur erwähnt werden; darunter stellt man sich eine Politik vor, welche die Entwicklung von Löhnen und Gewinnen stets in ihrem Zusammenhang sieht und das Entstehen von Disparitäten verhindert. Die Einkommenspolitik wird wohl später einmal größere Bedeutung erlangen, derzeit sind indessen weder statistische Grundlagen noch praktische Instrumente dafür entwickelt.

Verantwortliche Preispolitik

Die durch Erfahrung erhärtete tatsächliche Unmöglichkeit von Preissenkungen in der heutigen Volkswirtschaft ausgesprochen starrer Preise und Löhne macht es notwendig, den speziellen Preissteigerungen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Erhöhungen amtlicher Preise sollten besser in kürzeren Zeitabständen, aber dafür in geringerem Ausmaß erfolgen; der Zeitpunkt wäre besonders genau zu überlegen, um zufällige Kumulierungen zu vermeiden. Der Baumarkt müßte durch eine Koordinierung der wichtigsten öffentlichen Projekte und durch die möglichste Zusammenfassung zahlreicher kleiner zu wenigen großen Baustellen entlastet werden. Vor allem in Perioden stark steigender Saisonproduktpreise wird man jedoch auch um „psychologische” Beruhigungsmaßnahmen nicht herumkommen, die zu verhindern suchen, daß sich vorübergehende Preiserhöhungen in dauernden Lohnsteigerungen niederschlagen. (Hier wäre einer der wenigen Fälle, wo an die vielzitierte „Verantwortung” sinnvollerweise appelliert werden müßte.) Schließlich wird man sich aber auch zu einer koordinierten Zahlungsbilanzpolitik durchringen müssen, das heißt dann; entweder die Zölle zu senken, um bei aktiver Kapitalbilanz ein gleich hohes Defizit der Leistungsbilanz zu haben; oder die Zinssätze weiter zu senken, um den Überschuß der Kapitalbüanz auf die Höhe des Defizits der Leistungsbilanz herabzudrücken. Die wichtigste Vorarbeit zur Inflationsbekämpfung wäre allerdings eine umfassende und detaillierte Inflationsstudie, die mit möglichster Genauigkeit und unter Heranziehung aller denkbaren Quellen die bisherigen Preissteigerungen analysiert und die Möglichkeiten ihrer Bekämpfung aufzeigt — um für die Zukunft zu lernen, wie man es besser machen könnte!

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