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Totaler Kleinkrieg alter Schule

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Die türkische Flotte lief am 26. Dezember von Iskenderun in Richtung Zypern zu „Manövern“ aus und kreuzte in Alarmbereitschaft in einer Entfernung von 18 Meilen vor der zypriotischen Küste. Auf der Insel kam es zu einem richtigen Kleinkrieg im Stile der Balkankriege des 19. Jahrhunderts, mit Überfällen auf wehrlose Frauen und Kinder, Brandschatzung und Plün-

derungen und Vertreibung von Hunderten von Türken. In Spitälern, die von Griechen geleitet werden, wurde türkischen Verwundeten die Aufnahme verweigert; ganze Ortschaften wurden durch Straßensperren und Zerstören der Telegraphenleitungen von der Außenwelt abgeschnitten. Quer durch die Hauptstadt Nikosia wurde eine Demarkationslinie gezogen, die die von Griechen beherrschten Stadtteile von jenen der Türken trennt. In einer „neutralen“ Zone wurden Gefangene und Geiseln ausgetauscht. In hellen Scharen flüchtete die türkische Landbevölkerung in die türkischen Viertel von Nikosia, weil sie sich nur dort vor den Übergriffen der Griechen sicher glaubte.

In seiner Ratlosigkeit appellierte Präsident Makarios an Großbritannien und bat um Vermittlung im zypriotischen „Bürgerkrieg“. Der englische General Young übernahm den Oberbefehl über die auf Zypern stationierten gemischten türkischgriechischen Einheiten, zu denen noch 3000 Mann britische „Schutztruppen“ hinzukamen. Als hierauf die Zwischenfälle etwas nachließen, kündigte Makarios im Namen der zypriotischen Regierung am 1. Jänner 1964 die Garantieverträge unter dem Vorwand, daß sich die Türkei in eine „innere Angelegenheit Zyperns eingemischt und durch Uberfliegen der Insel deren Souveränität verletzt habe“. Gleichzeitig wandte er sich hilfesuchend an die UNO, die jedoch wenig Neigung zeigt, auf der Mittelmeerinsel einzugreifen. Als Folge der starren Haltung des Präsidenten flammte die Unruhe erneut auf. Dr. Kücük erklärte seinerseits die einseitige Kündigung der Garantieverträge für ungültig und bezeichnete unter diesen Umständen die Teilung der Insel als einzige Lösung, die von den Türken akzeptiert werden könne.

Die Regierungen in der Türkei und in Griechenland befanden sich zu dem kritischen Zeitpunkt gerade in einer Krise. Ministerpräsident Papandreu hatte am 24. Dezember 1963 demissioniert und sich für Neuwahlen ausgesprochen. Dem türkischen Regierungschef Inönü war es nach langen Verhandlungen am 25. Dezember 1963 endlich gelungen, die Liste der Kabinettsmitglieder für seine dritte Koalition aufzustellen. Durch ihre schwache innenpolitische Position legten sich die beiden Regierungen in ihren Stellungnahmen zur Zypernkrise zunächst eine gewisse Zurückhaltung auf. Die besonnene Haltung der Regierungen in Athen und Ankara darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß beide Länder äußerstenfalls zu einer bewaffneten Intervention auf der Insel entschlossen sind. An einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen zwei NATO-Ländern aber wäre nur Moskau interessiert. Die in London anberaumte Zypernkonferenz der beteiligten Staaten wird vielfach als erster Schritt in Richtung einer Entspannung gewertet, doch ist anzunehmen, daß bei dieser Gelegenheit die gegensätzlichen Auffassungen erst recht aufeinanderprallen werden. Denn die EOKA-Parole „Enosis“, das heißt Anschluß der Insel an Griechenland, ist nach wie vor der Wunschtraum der zypriotischen Griechen, während die Türken ihren alten Schlachtruf „Ya taksdm ya ölüm“ (Teilung oder Tod) Wiederaufleben ließen. Die Teilung der kleinen Insel ist aber infolge der Verzahnung der Bevölkerungsgebiete ebensowenig eine realistische Lösung wie der Anschluß an Griechenland und wäre ohne neuerliche Vertreibungen und gewaltsame Aussiedlungen nicht durchführbar. Neuerdings ist von türkischer Seite die Idee einer Konföderation nach Schweizer Muster aufgetaucht. Diese sieht ebenfalls eine Art „völkische Flurbereinigung“ vor, indem außerhalb der großen Städte nur rein türkische und rein griechische Siedlungen mit lokalen Selbstverwaltungsorganen geschaffen werden sollen. Diese sollen dann untereinander einen Bund von Gemeinden bilden. Makarios äußerte sich noch nicht zu diesem Plan.

Das Grundübel des Zypernkonflikts ist jedoch die mangelnde Kompromißbereitschaft der beiden Volksgruppen. Der türkische Bevölkerungsanteil erkennt die Regierung Makarios nicht mehr an; die türkischen Beamten weigern sich,. ihre Arbeit wiederaufzunehmen. Nach den bitteren Erfahrungen der letzten Tage ist es nicht verwunderlich, wenn die türkischen Zyprioten kein Vertrauen mehr zu dem Erz-bischof haben, dem sie Engstirnigkeit, „Megalomanie“ und byzantinischen Machiavellismus vorwerfen. Auf der anderen Seite haben gerade die Türken nie ein Hehl aus ihrem Desinteresse an einem echten zypriotischen Staatsbewußtsein gemacht. In dem seit 1960 unabhängigen Zypern ist es nie zu einem gedeihlichen „Miteinander“, sondern höchstens zu einem mißtrauischen „Nebeneinander“ der beiden Volks-teüe gekommen. Solange es die Verfassung des selbständigen Staates Zypern den Staatsbürgern gestattet, neben den zypriotischen Nationalfarben auch die Flagge der Türkei oder Griechenlands zu hissen —* und Symbole spielen bei diesen prestigebewußten Völkern eine große Rolle —, solange werden nationalistische Heißsporne Anhänger für eine Politik des „Alles oder nichts“ finden. Sicherheit und Ruhe auf der Insel könnten nur durch ausreichende Garantie- und Schutzmaßnahmen, getragen durch den guten Willen aller Beteiligten, gewährleistet werden. Ob allerdings dieser Weg der Vernunft und des Kompromisses auf der Konferenz von London eingeschlagen werden wird, bleibt abzuwarten. Die Frage ist nur, ob es dafür angesichts der Ereignisse auf Zypern nicht schon zu spät ist

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