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Träger politischer Ordnungsideen

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Läßt man die Wortverbindung „Christliche Demokratie“ als an sich fragwürdig gelten, dann stellt sich aber immerhin die Frage nach den politischen Vorstellungen, die sich hinter diesem Begriff verbergen — nach den Möglichkeiten eines politischen Selbstverständnisses der Christen. Christliche Politik oder Politik aus christlicher Verantwortung — wie mir scheint, haben sich die Verfasser der meisten Diskus-sionsfoeiträge für eine Politik aus christlicher Verantwortung ausgesprochen. Die Alternative „Christliche Politik oder Politik aus christlicher Verantwortung“ macht in den christlich-demokratischen Parteien schon lange die Runde, da man in diesen Kreisen durchaus das Gefühl hat, heute am Anfang einer neuen Entwicklung zu stehen. Die Argumentation zugunsten einer Politik aus christlicher Verantwortung stellt den einzelnen Christen — ob Wähler, Funktionär, Mandatar, Politiker oder Staatsmann — in den Vordergrund und bürdet ihm allein die Verantwortung für alle politischen Entscheidungen auf — die Verantwortung dafür, daß sie in einem „christlichen“ Sinn fallen mögen. So gesehen, müßte sich ein Christ in allen Parteien bewähren oder wären alle Parteien im gleichen Maße als Ebene seines politischen Engagements denkbar. Indessen muß man dabei

von einer stilschweigenden Voraussetzung ausgehen: daß sich alle Parteien das politische Engagement der Christen gefallen lassen, nicht nur als Wähler, als „Stimmvieh“, als das jeder Partei zweifellos auch Christen willkommen sind, sondern auch als Akteure. Die Befürworter einer „Politik aus christlicher Verantwortung“ halben anscheinend die politische Situation in den USA im Auge, wo tatsächlich in allen Parteien den Christen das Feld für ihr politisches Engagement offen steht, weil es zwischen den Parteien der USA keine wesentlichen ideologischen Differenzen gibt. Wie liegen die Dinge aber im Falle von Parteien, die sich dem politischen Engagement der Christen als Christen widersetzen? Wer sich daher für eine Politik aus christlicher Verantwortung einsetzt, geht davon aus, daß wir auch in Österreich amerikanische Verhältnisse haben. Eben das ist zu bestreiten.

Klare politische Leitbilder

Die österreichischen Parteien sind heute noch ideologisch akzentuiert, sicher nicht mehr in dem gleichen Maße wie die Christlichsoziale Partei und die Sozialdemokratie in der Ersten Republik, aber immerhin

bestehen zwischen ÖVP und SPÖ noch einige ideologische Unterschiede, von den Unterschieden gegenüber der KPÖ ganz zu schweigen. Doch selbst angenommen, ÖVP und SPÖ stünden dem politischen Engagement der Christen — nicht nur als „Stimmvieh“! — in gleicher Weise offen: Wie steht es nun eigentlich mit dem politischen Leitbild, nach dem sich die Christen richten? Politische Entscheidungen können doch wohl nicht nur aus Gefühl getroffen werden, auch nicht auf Grund vager phüawtropischer Ideale, die man vielleicht ganz allgemein mit dem Christentum identifizieren könnte. Angesichts der Fülle des dokumentarischen Materials, das dazu beigebracht werden kann, angefangen von den diversen Enzykliken der Päpste bis zu den großen Werken der katholischen und evangelischen Gesellschaftsphiloso-phie, sollte man eigentlich nicht daran zweifeln, daß die christlich-demokratischen Parteien ein sehr scharf abgrenzbares politisches Profil aufweisen. Prinzipien wie das Prinzip der Personalität, der Solidarität, der Subsidiarität, das Postulat des Naturrecbtes, das Bekenntnis zu einer sittlichen Ordnung, das christliche Menschenbild und die aus ihm resultierenden Ableitungen hinsichtlich der Haltung des Christen zur Geschichte, zur Gesellschaft und zum Staat summieren sich zusammen mit ihrem metaphysischen Hintergrund zu einem klaren Leitbild. Dann aber wird man eis Parteien, die sich zu diesem Leitbild bekennen, nicht gut verwehren können, sich als christliche Parteien zu bezeichnen, wie es zahlreiche christlich-demokratische Parteien Westeuropas tun. Es soll deswegen jedoch nicht übersehen werden, daß eine solche Bezeichnung auch gewisse Gefahren in sich birgt. Da der Begriff „christlich“ von Haus aus eine religiöse Bedeutung hat, kann es sehr leicht zu Verwechslungen zwischen der religiösen Funktion der Kirchen und der politischen Funktion einer Partei kommen; die Sorge für das ewige und die Sorge für das irdische Heää des Menschen, von Kirche und Parteien getrennt wahrzunehmen, gehen in der Bezeichnung „dirasfuliich“ für eine Partei eine unzulässige Verbindung ein. Das ist zweifellos der Hauptgrund, warum die Kirchen dem Adjektiv christlich“ in Verbindung mit einer Partei reserviert gegenüberstehen. Es ist alber auch denkbar, daß das Christliche als parteibildendes Element in einer politischen Umgebung ad absurdum geführt werden kann, in der es nicht mehr zur Debatte steht. Nicht zufällig ist es weder in Großbritannien noch in den USA jemals zur Bildung christlicher Parteien gekommen, einfach deswegen, nicht, weil sich in beiden Staaten das Christentum auf politischem Gebiet niemals in einer Verteidigungsposition befunden hat. Das Auftauchen christlicher Parteien ist daher immer ein Zeichen der Bedrohung der christlichen Position im religiösen und im politischer. Leben. Solange eine solche Bedrohung gegeben dstj, wird man daher in

Demokratien mit christlichen Parteien rechnen müssen. Es kann aber auch der umgekehrte Fall eintreten, daß nämlich ein Abbau dieser Bedrohung die christliche Marke für Parteien fragwürdig werden läßt. Man sollte freilich nicht übersehen, daß dabei sowohl die religiöse als auch die politische Situation eines Landes in Betracht gezogen werden muß — das Abklingen einer Kultur-kampfgefahr bedeutet noch lange nicht das Aufhören jeder Gefahr für das Christentum überhaupt, es sei denn, das Christentum gibt sich als Träger eines polatischen Ordnungsgedankens selbst auf.

Genau das ist die heutige Situation in Österreich: Zum Unterschied von 1918, als es in Österreich auch eine Kulturkampfgefahr gegeben hatte, tauchte eine solche Gefahr nach 1945 nicht wieder auf; ihre heutige

Inaktualltät ist jedoch nicht auch ein Zeichen dafür, daß es den Christen dn Österreich erspart bliebe, für die Verwirklichung politischer Ord-nungsivoirsteiiungen einzutreten, die nach christlichen Auffassungen für das irdische Heil des Menschen von wesentlicher Bedeutung sind. Da es hier um politische Entscheidungen geht, fallen sie in die Kompetenz der Parteien, und das heißt, daß in Österreich eine christiieh-demokra-tische Partei nach wie vor ihre begründete politische Funktion hat, wobei die Frage nach der Zukunft überhaupt noch nicht gestellt ist. Ihr Repräsentant ist hierzulande unzweideutig die ÖVP, wenn sie ihre politische Aufgabe auch keineswegs mehr so versteht, wie die Christlich-soziale Partei ihre politische Aufgabe am Ende des 19. Jahrhunderts oder in der Ersten Republik verstanden hat, weil es in Österreich eben eine Kulturkampfgefahr heute nicht mehr gibt. Wird nun gesagt, die Christen sollten sich in allen Parteien politisch engagieren, so ist es doch wohl auch eine Frage der politischen Rationalität, in welcher Partei sie sich mit dem größeren Erfolg

politisch engagieren können: in einer Partei, in der sie mit ihren politischen Auffassungen offene Türen einrennen oder in einer Partei, in der sie nur als politische Partisanen wirken können? Offensichtlich ist ihre Chance, sich mit ihren Auffassungen in der Öffentlichkeit durchzusetzen, in jener Partei größer, die nicht erst zu ihren politischen Auffassungen bekehrt werden muß. Da es aber gerade in der Politik auf den Erfolg ankommt, wird für politisch denkende Christen eine christlich-demokratische Partei denn doch den Vorrang halben.

Zum Schluß sei noch bemerkt, daß das Schicksal des MRP für die heutige Situation der christlich-demokratischen Parteien Westeuropas nicht als typisch bezeichnet werden kann. Das MRP hat sich nach 1945 in Frankreich der Gunst einer besonderen politischen Situation erfreut, ist später jedoch der sich wieder mehr und mehr durchsetzenden tieferen politischen Gesetzlichkeit des republikanischen Frankreich zum Opfer gefallen, in deren Rahmen seit 1789 christlich firmierte Parteien niemals eine tragende Rolle gespielt haben.

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