Seeweg Ostsee  - © Foto: picturedesk.com/AP

Transitsperre für Kaliningrad: Ein sinnvoller Rückzieher

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Mitte Juni sperrte Litauen für bestimmte Güter aus der EU-Sanktionsliste den Transitverkehr zwischen Russland und der russischen Ostsee-Exklave Kaliningrad. Nun rudert die EU zurück – und sollte aus dem Vorgang einige Lehren ziehen.

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Mitte Juni sperrte Litauen für bestimmte Güter aus der EU-Sanktionsliste den Transitverkehr zwischen Russland und der russischen Ostsee-Exklave Kaliningrad. Nun rudert die EU zurück – und sollte aus dem Vorgang einige Lehren ziehen.

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Die faktische Blockade des russischen Transitverkehrs auf der Schiene in die Kaliningrad-Exklave durch Litauen für bestimmte Hightechprodukte und Baumaterialien ist seit Ende der vergangenen Woche zu Ende. Die EU hat am 13. Juli neue Leitlinien verabschiedet, die die seit 17. Juni durch Litauen umgesetzte Sperrung des Transitverkehrs auf der Schiene faktisch beenden. Zwar bleiben Transporte dieser Güter auf der Straße und der Transport von Militärgut per Bahn durch Litauen verboten. Auch darf die transportierte Tonnage der sanktionierten Güter nicht höher als im Durchschnitt der letzten drei Jahre liegen.

Doch im Kern scheint der gefährlich schwelende Konflikt beendet. Laut der russischen Nachrichtenagentur Tass sei Moskau „komplett zufrieden“ mit dem Brüsseler Dokument. Und Litauens Regierungschefin Ingrida Šimonytė sagte am Donnerstag vergangener Woche, es sei nicht vernünftig „zu diskutieren, ob eine Kilotonne Stahl per Bahn aus einem Teil Russlands in die Region Kaliningrad transportiert werden kann“.

Heimat der Flotte

An den knappen Reaktionen aus Brüssel, Moskau und Vilnius ist zu schließen, dass zuletzt allen Seiten an einem stillen Zu-Grabe-Tragen des Konflikts gelegen schien. Der Vorfall hatte sich zwischenzeitlich gefährlich zugespitzt. Zwar konnte Russland die faktische Teilblockade der Transittransporte in den rund eine Million Einwohner(innen) zählenden Oblast Kaliningrad via See- und Luftweg umgehen. Auch galt die Sperrung nicht für andere Güter wie Lebensmittel und auch nicht für Personen.

Doch es ging auch um symbolische Lesarten – und um Militärisches. Die Hafenstadt Kaliningrad, die bereits zu Sowjetzeiten eine hochmilitarisierte Zone war, ist Heimat der russischen Ostseeflotte, Moskau hat in dem Oblast nach eigenen Angaben rund 50.000 Mann und seit 2016 atomwaffenfähige Iskander-Raketen stationiert. Der Seeweg aus Russland, vom Ostseehafen in Sankt Petersburg nach Kaliningrad, führt über den Finnischen Meerbusen – dieser liegt zwischen NATO-Mitgliedsland Estland und Finnland, dem baldigen NATO-Staat. Russische Medien wie die Pravda breiteten sich bereits darüber aus, „was für Waffen Russland in Kaliningrad hat, um auf einen möglichen NATO-Angriff zu antworten“. Nicht nur daher wollte die EU-Kommission bereits vor dem 10. Juli, dem Inkrafttreten des nächsten Sanktionspakets, den Transitverkehr durch Litauen wieder regeln. Litauen sperrte sich zunächst – und so erweiterte sich am 10. Juli gar die Liste sanktionierter Güter entsprechend des an diesem Tag in Kraft getretenen, folgenden EU-Sanktionspakets. Doch dann die Order der EU: zurückrudern!

Der Streit um den Kaliningrad-Transit scheint ein Lehrstück dafür, wie die EU durch Kurzschlussreaktionen, fehlende Abstimmungen und einen Mangel am Denken „vom möglichen Ende her“ zur ungewollten Eskalation beiträgt. Denn wie aus Medienberichten hervorgeht, erfuhr die Spitze der EU-Kommission im Juni nicht davon, dass Litauen eine Blockade auf Basis des vierten EU-Sanktionspakets erwog. Laut Angaben der Süddeutschen Zeitung hatte die litauische Führung zwar um Weisung gebeten und als Antwort ein Ja zur Transitsperrung erhalten – doch offenbar habe die Entscheidung „die oberste Etage der Kommission nicht erreicht“, so die Süddeutsche Zeitung.

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