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„Traum vom Wiener Kongreß...

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Es war fast dieselbe Stunde, da der Außenminister der Bundesrepublik in Moskau zur ersten Visite seines Kollegen Gromyko antrat und in Wien das österreichische Außenministerium ein Memorandum zur europäischen Sicherheitskonferenz veröffentlichte.

Der Termin ließ nicht nur die interessierte Öffentlichkeit aufhorchen — er könnte auch — wie man von Kreisen des Ballhausplatzes hörte — beabsichtigt gewesen sein. Der Vorschlag für eine europäische Sicherheitskonferenz wurde ursprünglich von einer Konferenz der Warschauer-Pakt-Staaten erstattet. Ostblockdiplomaten machten lange Zeit in den westlichen Außenministerien nur sehr kursorisch klar, was auf einer Sicherheitskonferenz beraten werden sollte. Aber der Westen — an Entspannung und an jedem Kontakt mit dem Osten interessiert — wollte doch wissen, wer denn alles zu einer solchen Konferenz eingeladen werden sollte. Sollte der Ostblock etwa eine Konferenz ohne Amerikaner und Kanadier, die Truppen in Europa stehen haben und in der NATO mit den Westeuropäern verbunden sind, vorhaben?

Ostblockdiplomaten stellten rasch klar und erwiesen Verständnis, daß USA und Kanada ein Interesse an der Regelung europäischer Sicherheitsfragen haben. Und in zweiter Linie gab es auch bald Klarheit, daß es den Sowjets nicht primär um eine „schleichende“ Aufwertung der DDR ging, die man an einem Konferenztisch gleichberechtigt neben die Bundesrepublik setzen wollte. Denn in der Zwischenzeit hat ja die Bundesrepublik die „Gleichberechtigung“ der DDR in Erfurt und Kassel vor aller Welt demonstriert.

Nun ist die Reise Scheels nach Moskau Teil einer Entspannungsoffensive der neuen deutschen SPD/ FDP-Regierung. Und es ist ohne Zweifel so, daß der auszuhandelnde Gewaltverzicht zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik zuvor schon zahlreiche Streitfragen aus dem Weg räumen kann, mit denen sich eventuell eine europäische Sicherheitskonferenz erst hätte herumschlagen müssen.

So geht die Initiative der österreichischen Bundesregierung bereits einen (mit Bonns Außenamt abgestimmten) Schritt weiter: nach der Grundsatzregelung zwischen Deutschland und der Sowjetunion sollte eine militärische Verminderung erfolgen, weil ein günstiger Verlauf des Entspannungsprozesses „auf weite Sicht nur dann erwartet werden kann, wenn die Konferenz... auch die für diese Sicherheit zentrale Frage einer ausgeglichenen und gegenseitigen Verminderung des Militärpotentials einer Beratung und Lösung zuführt.“

Nach den bisher erfolgreich verlaufenen SALT-Gesprächen in Wien mag diese Formel — die auch bei der jüngsten NATO-Konferenz Gebrauch fand — stimulierend auf den Ostblock wirken. Denn nichts liegt dem Kreml anscheinend augenblicklich mehr am Herzen als gesicherte Zustände in Mitteleuropa, die den Status quo nicht berühren, damit er militärisch an der chinesischen Grenze freier operieren kann. Wiens sozialistische Regierung hat also mit ihrem Vorschlag sicherlich einen der bedeutsamsten Schritte Österreichs auf internationalem Parkett in den letzten Jahren gesetzt. Beobachter werten dies vor allem als persönliches Verdienst von Außenminister Dr. Kirchschläger, der allerdings auf das Sachwissen seines Vorgängers und Regierungschefs zählen darf.

Immerhin fällt auf, daß die Frage der Sicherheitskonferenz in der Regierungserklärung vom April 1970 nicht enthalten war. Es mag eine nicht weit hergeholte Interpretation sein, Wenn man annimmt, daß Bundeskanzler Kreisky aus innerpolitischen Gründen alles unterlassen wollte, was man böswillig als Avance gegenüber dem Ostblock hätte ansehen können. Denn bislang haben sich ja nur der Osten und als einziges neutrales Land Finnland für die Abhaltung der Konferenz besonders stark engagiert. Hingegen hat die ÖVP während der Regierungsverhandlungen ein Elaborat vorgelegt, das die außenpolitischen Zielsetzungen einer eventuellen Koalition zum Inhalt hatte und in dem die positive Stellung Wiens zu einer solchen Konferenz enthalten war. Kreisky hat dieses Elaborat — im Gegensatz zu mehreren anderen — nicht für den Text seiner Regierungserklärung benützt. Auf diese Tatsache wies natürlich der außenpolitische Sprecher und Schattenminister der Volkspartei, Gesandter Dr. Karasek hin, der in dem jetzigen Memorandum der Bundesregierung eine „Änderung des außenpolitischen Kurses“ der Minderheitsregierung sieht. Gerade deshalb, so Karasek, begrüße auch die ÖVP die Initiative des Ballhausplatzes.

Zwar liegen von interessierten Staaten noch keine Reaktionen vor (der Sommer wird noch längere Wartezeiten erfordern), doch scheint es Anzeichen dafür zu geben, daß man von den bilateralen zu multilateralen Vorberatungen der Konferenz übergehen will. Wiens Vorschlag, als Konferenzort für Expertengespräche auf hoher Ebene zu dienen, wird allerdings erst viel später beantwortet werden.

Inzwischen gilt es ja für Wiens Außenminister auch, zwei weitere Initiativen zu verfolgen: Österreichs Bewerbung für den Sicherheitsrat der UNO und die Hereinholung des neuen' UNO-Hauptquartlers UNDP (United Nations Development Pro-gram) nach Wien.

Dies macht allerdings neuerlich klar, daß zwischen den neutralen Staaten Europas langsam aber sicher ein echter Konkurrenzkampf entsteht. Denn in Bern ist man schon lange ungehalten, daß Wien sich als neues internationales Zentrum zu entwickeln scheint; und Helsinki — das sich selbst als Konferenzort für Sicherheitskonferenzen antrug — hat die erste SALT-Konferenz an Wien verloren. Geht also eine Lizitation zwischen Finnland, Schweiz und Österreich vonstatten?

Die „Zürcher Zeitung“ jedenfalls hat Wiens neue Aktivität bereits etwas ironisch als „Traum von einem zweiten Wiener Kongreß“ bezeichnet ...

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