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Trotz schlechter Planung oft gute Leistung

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Der weite Spielraum, über den die Staatsfirmen verfügen, die eigenartigen Konkurrenzverhältnisse, die mehr von persönlichem sportlichem Ehrgeiz als von Gewinnstreben und Existenzangst westlichen Zuschnitts gesteuert werden, ermöglichen oft die Bildung starker persönlicher Machtpositionen. Das sichtbare Symbol einer solchen ist ein vielpferdiger Personenwagen, ausschließlich westlicher Provenienz, keine Zim, Wolga und Po.beda, die einem Funktionär zur Verfügung steht, meist zu ziemlich uneingeschränkter Benützung. Die Typen umfassen die ganze Skala vom neuesten amerikanischen Compact bis zum Chevrolet, der noch den Krieg mitgemacht hat und mit slawischem Improvisationsgeschick immer wieder neu zusammengebastelt wird.

Durch die vorwiegend politische Ausrichtung gibt es doch auch heute noch viel Dilettantentum in diesem Wirtschaftssystem, Leute, die durch die politische Konstellation hochgetragen werden. Dann kann es Vorkommen, daß in einem schönen Kurort, Opatija (Abbazia) etwa, ein Kurs für hochangesehene Direktoren hochangesehener Firmen über wirtschaftliches Einmaleins abgehalten wird.

Die neuen Manager

Die Neuordnung der Wirtschaftsverhältnisse hat eine neue Manager* Schicht geschaffen. In den staatlichen Firmen sind die Generaldirektoren immer Politiker, ihre Subdirektoren zum Teil Fachleute ohne politische Einstellung, die vielfach auch schon vor dem Krieg in führenden Positionen standen. Die Politiker, denen man in solchen Stellungen begegnet, sind oft Leute von starker persönlicher Aus-, Strahlung, die es eben verstehen, sich mit Hilfe ihrer Fachberater in der Höhe zu halten. Die erste Zeit, als grundsätzlich nur Verdienste im Partisanenkrieg für eine Tätigkeit als Direktor legitimieren, ist allerdings bereits vorbei.

Die große Linie wird, nicht zum Vorteil des Landes, ziemlich ausschließlich nach politischen Gesichtspunkten ausgerichtet. Das Land ist föderalistisch aufgebaut, mit starkem Eigenleben der einzelnen Länder, die eifersüchtig darüber wachen, daß die Investitionen gleichmäßig auf alle Republiken verteilt werden, ohne sich viel um so läppische Dinge wie Standortfragen und Rentabilität, zu kümmern. Die Zahl der Anekdoten, , die hierüber erzählt werden, ist Legion - Anekdoten allerdings, die dem Land viele Millionen Dollar kosten.

Die Geschichte von der Zuckerfabrik

Wenn etwa die Serben eine neue Papierfabrik bauen, will die Crnagora auch eine haben, und die Planung ist eventuell schon weit vorangetrieben,

ehe man auf den Gedanken kommt, daß keine Eisenbahnverbindung besteht und eine wirtschaftliche Rohstoffversorgung nicht möglich ist. Im tiefsten Mazedonien, fern von Straßen und Eisenbahnen, soll eine Bodenbelagfabrik gebaut werden, wo jeder Nagel, jede Tonne Rohstoff, jedes Stück Fertigware mit teuren Transportkosten belastet ist. Die Fabrik Vis- kosa Losnica soll mit acht Milliarden Dinar Kostenüberschreitung gebaut worden sein, weil man die Kleinigkeit übersehen hatte, daß sie mitten in das Überschwemmungsgebiet der Drina hineingeplant wurde; ihre Produktionskosten sollen 40 Prozent über dem westlichen Standard liegen. Eine Textilfabrik, um die sich Zagreb beworben hatte, wurde an die griechische Grenze gestellt, ohne zu überlegen, wo dort die Fachkräfte herzunehmen waren. Ergebnis: 30 Prozent weniger Produktion als geplant, 50 Prozent Ausschuß. Die Eisenhütten von Niksic beziehen ihren Grauguß aus 600 Kilometer Entfernung aus Jesenice und verfrachten ihre Erzeugnisse an ihre Abnehmer über weitere 800 Kilometer

Entfernung zurück. Da ist auch die Geschichte der Zuckerfabrik, die auf 22.000 Tonnen Jahresproduktion dimensioniert wurde, aber nur ein Drittel erzeugte, weil die Rohstoffversorgung nicht in die Planung einbezogen worden war.

Es soll aber nicht verschwiegen werden, daß dieses in seiner Substanz fleißige und tüchtige Volk trotz aller Belastungen auch sehenswerte Leistungen hervorzubringen imstande war.

Die Werften sind, teils auf Grund ihrer guten Leistungen, teils dank der Konjunktur, auf Jahre hinaus mit Aufträgen vollgebucht; die Ingenieurbüros für die Planung ganzer Industrien und Kraftwerkanlagen konkurrieren erfolgreich mit ihren westlichen Kollegen. Objekt besonderen nationalen Stolzes sind die Straßenbauten. So, wie etwa in England das Thema Wetter, fehlt in einem Gespräch mit Jugoslawen kaum das Thema „Straßen”, und jeder weiß Bescheid, wie weit schon die Autobahnen nach Ragusa und Skopje gediehen sind. Daß diese Straßen von sogenannten freiwilligen Brigaden gebaut werden, ist wieder ein kleines volksdemokratisches Detail, und daß die Bürokratie es fertigbringt, schöne, neue Straßen, wie etwa die zwischen Banja Luka und Bosnisch Brod, im Drang nach neuen Planzielen zu vernachlässigen, so daß sie schon wieder wannengroße Schlaglöcher aufweisen, steht auch auf einem anderen Blatt. Und neben den schönen neuen Betonbahnen, wie etwa die von Laibach nach Agram — übrigens ein Meisterwerk landschaftlich schöner Tras- sierling —, gibt- es auch noch die alten Türkenstraßen in der Batschka, die Kaldrmas, mit ihren kopfgroßen Steinen. Bei der Planung neuer Industrien werden die unterentwickelten Gebiete, wie Mazedonien, Crnagora, Bosnien und Kosovo-Meto- hija bevorzugt. Sie bekommen leichter dafür Kredite, auch wenn sie alle nur denkbaren Nachteile des Standortes aufzuweisen haben und mit überhöhten Kosten arbeiten. Den Verlust zahlt ja der Aktionär, der Staat. Die zum Teil dilettantisch betriebene Wirtschaftspolitik” läßt auch Industrien entstehen, deren Erzeugung aus qualitativen oder auch aus politischen Grün den nur in unterentwickelte Länder exportiert werden kann, wofür häufig die exotischesten bilateralen Devisen eingetauscht werden, die zum Ankauf von Waren bescheidenen Gebrauchswertes verwendet werden können, während hartes Geld für wichtige Rohstoffe oder Waren fehlt. Das drückt natürlich auf den allgemeinen Lebensstandard: Die Industrialisierung ist aber hier nicht in erster Linie und ausschließlich ein Mittel zur Hebung des allgemeinen Wohlstandes, sondern wiederum ein eminent politisches Instrument zur Durchdringung auch entlegener Teile der Bevölkerung, deren Standard auf diese Weise — mit unerhört unökonomischen Kosten und zu Lasten der Gesamtbevölkerung — allerdings tatsächlich gehoben wird, besonders wenn man den Vergleich mit der zum Teil höchst bescheidenen Ausgangsbasis, besonders außerhalb der großen Städte und Industriezentren, zieht.

Die Jugoslawen haben in der Tat eine ganz eigene Variante der kommunistischen Planwirtschaft aufgebaut. Gewürzt mit verschiedenen marktwirtschaftlichen Resten, womit einige Schwächen des Systems überbrückt werden konnten, vielfach dezentralisiert, um die Schwerfälligkeit des Apparates zu mildern, mit einem kleinen Vorschuß auf das Glück des Besitzes für den kleinen Mann, der nicht nur auf kommenden Überfluß vertröstet wird. Diese Mischung, wohl gepfeffert mit der Allgegenwart einer Wirtschaftspolizei, hat das Leben im Reiche Marschall Titos sicher lebenswerter gemacht als in allen übrigen volksdemokratischen Staaten. Sie hat aber doch *~Mch*i-aūšįereižlftr; mitt die Nachteile eines unbeweglichen, - weil zentral geplanten uhd dirigistisch gelenkten Wirtschaftssystems aufzuheben, dem der Ansporn der persönlichen Initiative weitgehend fehlt und das mit der Hypothek belastet ist, daß allzu viele Entscheidungen durch politische Erwägungen gelenkt — und verwässert — werden. Alles in allem ein erstaunliches System, das an allen Egken und Enden Überraschungen bereithält, und vor allem ein vitales und begabtes Volk, das trotz der Fehlleitungen und der Kraftvergeudung des herrschenden Wirtschaftsdirigismus beachtliche Leistungen hervorzubringen imstande ist.

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