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Türkei — Brücke nach dem Osten

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Ein Viertel der Streitkräfte, die dem OT AN-Befehlshaber unterstehen, nämlicl 25 Divisionen und drei Panzerbrigaden, werden von der türkischen Armee gebildet. Die Kemalistische Republik ist das einzige Lane des Nahen Ostens, in dem ein westlich demokratisches System klaglos funktionier: und wo eine freie Abstimmung die vordem allein und ursprünglich diktatorisch herrschende Partei aus der Macht entfernt unc die bisherige Opposition an die Regierung gebracht hat. Es gibt ferner kein Beispiel dafür, daß sich das Volkseinkommen eines Mittelmeerlandes oder eines Staates dei muselmanischen Welt binnen dreier Jahre von 1950 bis 1953, um die Hälfte vermehrt habe, wie eben in der Türkei von acht aui zwölf Milliarden Pfund; man wird vergebens nach einem zweiten politischen Organismus Umschau halten, der seinen bebauten Boden in demselben Zeitraum um 40 Prozent vergrößerte, der seine Getreideernte innerhalb derselben Frist verdoppelte, seinen Baumwollertrag verdreifachte. Aus den eben erwähnten Tatsachen leuchtet bereits hervor, welche Bedeutung dem Lande zukommt, das durch seine geographische Lage eine dreifache wichtige Aufgabe für die nichtkommunistischen Nationen zugewiesen erhielt: verbindendes Glied zwischen Europa einerseits, den mohammedanischen Staaten und damit auch Südostasien anderseits zu sein; den Zugang zum Mittelmeer, zur Levante und zum Suezkanal, zu Afrika zu hüten; den sowjetischen Vormarsch auf die Balkanhalbinsel zu hemmen.

Ansehen und Bedeutung der Türkei werden noch dadurch erhöht, daß sie an ihrer Spitze hervorragende Männer besitzt, die gleichermaßen auf diplomatischem, innenpolitischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet ihre Fähigkeiten bewähren. Es war vielleicht die größte und die dauerndste Leistung des Atatürk, daß er eine Schar von würdigen Nachfolgern heranerzogen hat, die nach voneinander verschiedenen Formeln und Methoden, doch mit dem gleichen entscheidenden Ergebnis das Erbe dieses Schöpfers der modernen Türkei verwalten. Das waren zunächst die Führer der Volkspartei, voran Ismat Inönü, der langjährige Regierungschef und zweite Staatspräsident. Heute sind dies Celal Bayar, Adnan Menderes und Fuat Köprülü, die der seit über vier Jahren (Mai 1950) regierenden Demokratischen Partei angehören. Die Republikanische Volkspartei neigte zum Totalitarismus, der in den ersten Jahren der Türkei nötig, später nützlich, doch nach Konsolidierung der Verhältnisse und in der allgemeinen Situation überholt und schädlich war; sie lehnte zwar den Kommunismus mit voller Entschiedenheit ab, zeigte aber geringe Begeisterung für die Einordnung in den Atlantikpakt. Vor allem aber huldigte sie dem Dirigismus auf wirtschaftlichem Gebiet, züchtete sie bürokratische Einengung der privaten Sphäre. Das wurde der Partei, die sich am Steuerruder verbraucht hatte, zum Verhängnis. Die Massen der anatolischen Bauernschaft strömten der Opposition zu. So kam es zum innenpolitischen Erdrutsch von 1950. Die Demokraten, die nun das Land regierten, haben in jeder Hinsicht die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt. Die Liberalisierung der Wirtschaft entfesselte Ungeahnte Energien; sie erzeugte einen gewaltigen Aufschwung in allen Sektoren des Handels und der Produktion. Die Lockerung der staatlichen Einflußnahme, das Abgehen von starrer Dogmatik und Ideologie trugen die besten Früchte. Der Antiklerikalis- mus der ersten Jahre Kemals wurde weiterhin abgebaut. Der Islam entfaltet in der Türkei neue geistige und sittliche Kräfte, ohne daß deshalb ein beschränkter, gegen andere Bekenntnisse aggressiver Fanatismus entfacht worden wäre wie in manchen arabischen ‘Staaten und mitunter in Pakistan oder auf Indonesien. Von den militärischen Leistungen des Landes haben wir schon mit ein pa%r eindrucksamen Zahlen gesprochen. Es sei dem hinzugefügt, daß die Ausrüstung des Heeres, dank amerikanischen Lieferungen großen Stils, hohen Anforderungen genügt, daß esiüber eine glänzende Führung, ein vortreffliches Offizierskorps und vor allem über ein unvergleichliches, genügsames, wohldiszipliniertes und tüchtiges Soldatenmaterial verfügt. Kein Wunder, daß die internationale Lage der Türkei diesen Voraussetzungen gemäß ist.

Die Kemalistische Republik gehört dem Atlantikpakt als Mitglied an. Sie ist, zuvor durch den Vertrag von Ankara und seit dem heurigen Jahr durch das Militärbündnis von Bled vom 9. August, mit Griechenland und Jugoslawien verknüpft, ferner durch die am 12. Juni 1954 von der Großen Nationalversammlung ratifizierte Allianz mit Pakistan. Da aber dieser bevölkertste muselmanische Staat gleichzeitig Unterzeichner des südostasiatischen Pakts von Manila ist, stellt die Türkei gewissermaßen das Kettenglied dar. das die KontinuitätWer antikommunistischen Abwehrfront von den Philippinen bis an den Atlantik sichert.

Die Staatslenker von Ankara haben erhebliche Aktivität ibewiesen, um bei der Schöpfung ebendieses'«Blocks mitzuhelfen und um an der Beseitigung; etwaiger Risse mitzuarbeiten. Sie haben ihre Vermittlerrolle an mannigfachen Orten geübt. So in Israel, zu dem sie als einziger mehrheitlich mohammedanischer Staat gute Beziehungen haben. So zwischen Italien und Jugoslawien; so endlich zwischen Pakistan und Afghanistan. Eine leichte Spannung besteht freilich, an der die Türkei unmitixilbar beteiligt ist und die das Verhältnis zm Griechenland, dem Balkanpaktpartner, trübt. Sie geht von Zypern aus, dessen gegenwärtige völkerrechtliche Stellung Gegenstand heftiger irreden- tistischer Bestrebungen ‘seitens der dortigen griechischen Bevölkerutt|gsmehrheit ist. Von Athen aus werden diesen Bemühungen eifrig unterstützt. Nun vertritt Ankara die Ansicht, Zypern sei 1878 atif dem Berliner Kongreß Großbritannien rswr zur Besetzung überlassen worden, im Falle eines Abzugs der Engländer müsse es autctmatisch unter türkische Souveränität zurückkehren, die während der Okkupation gpruht habe. Diese Meinung findet bei den Türken der um strittenen Insel lebhaften Anklang, die rund ein Fünftel der Einwohnerschaft umfassen. Angesichts der entschiedenen Weigerung Londons, dieses letzte bedeutende Bollwerk im östlichen Mittelmeer zu räumen, hat der Zypern betreffende Konflikt zwischen den beiden Verbündeten, Athen und Ankara,, nur theoretische Bedeutung; er stört immerhin die Harmonie des Balkanpakts, ohne sie aber ernstlich zu gefährden.

Die Regsamkeit und das Prestige der türkischen Staatsmänner ist bei deren häufigen Reisen ans Tageslicht getreten und bei Besuchen fremder Machthaber in Ankara bestätigt worden. Der Präsident der Republik, Bayar, hat als Gast in Athen, dann, Anfang September, in Jugoslawien geweilt; König Paul I. von Griechenland und Tito sind nach der Türkei gefahren. Auch mit Bundeskanzler Adenauer wurden Besuche ausgetauscht. Ministerpräsident Adnan Menderes hat sich nach den USA begeben, wo er eine starke Erhöhung der militärischen und wirtschaftlichen Kredite und Lieferungen erzielte; er hat in Griechenland bei einer Blitzvisite auf der Rückkehr aus Amerika die stockenden Verhandlungen über den Militärpakt wieder in Gang gebracht. Verteidigungsminister Ethem Menderes ist ebenfalls sehr beweglich. Er hat eben erst Manövern der OTAN bei gewohnt und sich in Deutschland aufgehalten. Anderseits hat Ankara den pakistanischen Regierungschef Mohamed Ali aus Anlaß der Paktunterzeichnung bei sich gesehen. Amerikanische Staatsmänner, die den Nahen Osten beweisen, wenden stets der Türker ihre Hauptaufmerksamkeit zu. So hat der nun ausgeschiedene Unterstaatssekretär By- roade in Istanbul «ine Konferenz der amerikanischen Missionschefs jener. Gegenden präsidiert.

Die Erfolge der türkischen Außenpolitik werden nicht zuletzt durch das Zusammenspiel der leitenden Männer erklärt, die vorzüglich aufeinander abgestimmt sind; durchweg Herren der besten Gesellschaft, mit feiner literarischer und künstlerischer Bildung, sprachkundig, weitläufig, dabei durch Teilnahme an den seinerzeitigen Befreiungskämpfen gestählt; wirtschaftlich unabhängig und dabei Demokraten aus tiefer Ueberzeu- gung. Gelal Bayar, der Bankmann, Adnan Menderes, der Gutsherr und Agrarpolitiker, Fuat Köprülü, der Gelehrte aus dem Blut der berühmten Großwesire, Ethen Menderes und der innenpolitisch wichtigste Minister, Vizepremier Rüstü Zorlü, diese beiden nahen Verwandten des Regierungschefs, sind ein vorzügliches Team, dem noch manche Erfolge winken.

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