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Uberraschende Disziplin der Linken

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Die große ? Überraschung des 12. März 1967 wurde im wesentlichen durch zwei Elemente ermöglicht:

• Einerseits durch die Beachtung des zwischen der Föderation der Linken und den Kommunisten abgeschlossenen Wahlabkommens — Sozialisten und Radikale stimmten bedenkenlos für den kommunistischen Kandidaten, wenn er die meisten Aussichten hatte, den jeweiligen gaullistischen Gegner zu schlagen — und anderseits

durch die offensichtliche Bereitschaft zahlreicher „Lecanuetisten“, ihre Stimme dem Kandidaten der Linksföderation oder gar den Kommunisten zu geben, soweit er in der Auseinandersetzung mit dem Gaullisten am günstigsten placiert war.

Damit war die in Frankreich sprichwörtliche Angst des gemäßigten rechtsorientierten Bürgers vor den Kommunisten vor dem Wunsch zurückgetreten, der Regierungspartei um jeden Preis eine Niederlage zu bereiten. Dieses völlig neue Phänomen in der Geschichte des französischen Parlamentarismus wird von vielen Beobachtern als ein Beweis dafür angesehen, daß die Kommunistische Partei, der schon Maurice Thorez eine betont nationale Prägung zu geben gewußt hat, weitgehend ihren Schreckenscharakter als Schrittmacher der Enteignung und Verstaatlichung eingebüßt habe.

Niemand wird sich ernsthaft vorstellen, daß die Anhänger des Demokratischen Zentrums bewußt ihrem ideologischen Antipoden zum Siege verhelfen wollten. Sie wissen auch heute, was von der Dialektik einer von Moskau abhängigen Partei zu halten ist. Und wenn der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs Waldeck-Rochet auf die Frage eines Journalisten, ob Frankreichs Kommunisten nicht mehr eine revolutionäre Gruppe seien, erwidert: „Natürlich ist die Kommunistische Partei revolutionär! Aber in Frankreich kann die Revolution nur auf demokratischem Wege verfolgt und vollendet werden .. so wird jeder vernünftige Mensch ungeachtet der äußeren Wandlung den Taschenspielertrick nicht übersehen. Auch diejenigen Lecanuetisten, die am 12. März für kommunistische Kandidaten stimmten, sind sich dessen bewußt, daß die Statthalter Moskaus gegenwärtig für klüger halten, das Messer nicht mehr zwischen den Zähnen, sondern in der Tasche zu tragen.

Der Präsident des Demokratischen Zentrums, Jean Lecanuet, der vor der Stichwahl nicht abgeneigt war, mit den Gaullisten eine Koalition einzugehen, scheint nach wie vor bereit, unter bestimmten Voraussetzungen an der neuen Regierung mitzuwirken. Die Tatsache jedoch, daß ungeachtet der Bemühungen des Ministerpräsidenten Pompidou, im Bedarfsfalle die Regierungsbasis auf die inzwischen stark zusammengeschmolzene volksrepublikanische Gruppe Lecanuets auszudehnen, der General selbst ihre völlige Vernichtung anstrebte, hat fraglos gewisse psychologische Hemmnisse mit sich gebracht, die nicht leicht zu überwinden sein werden.

Jedenfalls hat Lecanuet in der Nacht, die den Stichwahlen folgte, mit betonter Bitterkeit General da Gaulle angeklagt, Frankreich in zwei gegnerische politische Blöcke zerschnitten zu haben. Vieles spricht • dafür, daß Lecanuet eine neue „politische Mitte“ vorschwebt, die durch eine Verbindung zwischen dem Demokratischen Zentrum und den Unabhängigen Republikanern, der Gruppe des ehemaligen Finanzministers Giscord d'Estaing, realisiert werden könnte. Sie würden zusammen — Lecanuet 27 und Giscard d'Estaing 46 Sitze — eine recht stattliche parlamentarische Einheit von 73 Abgeordneten bilden. Die tieferen Absichten Giscard d'Estaings sind noch nicht klar zum Ausdruck gekommen. Beachtlich ist jedoch, daß der ehemalige Finanzminister die unmittelbar nach dem für die Gaullisten ungünstigen Wahlergebnis unternommenen dringenden Vorstellungen des Ministerpräsidenten Pompidou, er möge dem Aufgehen seiner Gruppe in einer homogenen politischen Formation unter dem Etikett „Fünfte Republik“ zustimmen, abgewiesen hat. Unmittelbar nach dem Gespräch mit dem Premierminister erteilte der Direktionsausschuß der Unabhängigen Republikaner die Entscheidung Giscard d'Estaings mit, eine autonome parlamentarische Gruppe aufrecht zu erhalten.

Im Mittelpunkt des Interesses steht natürlich das mögliche Verhalten der Linken. Allgemein wird ein Mißtrauensantrag gegen die Regierung für sehr unwahrscheinlich gehalten, wenn das neue Parlament am 3. April wieder zusammentritt. Das Zahlenergebnis der Wahlen schließt diese Möglichkeit aus — es sei denn, daß die Opposition Verstärkung von Seiten abtrünniger gaullistischer Abgeordneter erhält. Eine solche Hypothese ist jedoch kaum vorstellbar. Überdies ist der Beweis noch nicht erbracht, daß die Disziplin zur Erreichung eines negativen Ziels auch auf eine konstruktive Staatsführung übertragen werden kann.

Man braucht sich da nicht allein auf das historische Beispiel der Volksfront zu berufen, die in den Jahren unmittelbar vor dem Kriege an der politischen und ideologischen Eigenwilligkeit der einzelnen Elemente scheiterte. Auch heute klafft zwischen den Kommunisten auf der einen Seite und den Sozialisten und Radikalsozialen auf der anderen eine kaum überbrückbare Kluft. Dies ist nicht zuletzt durch die jahrelangen, vergeblichen Bemühungen des Sozialistenführers Guy Mollet, mit den Kommunisten einen gemeinsamen Aktionsplan auszuarbeiten, unter Beweis gestellt worden.

Freilich bemühen sich heute besonders die kommunistischen Exponenten in der Euphorie ihres großen Erfolges — sie gewannen bei diesen Wahlen rund eine Million Stimmen

— die große Macht der „vereinigten Linken“ zu beschwören und, über die erfolgreiche Taktik hinaus, die Perspektive einer gemeinsamen Aktion zu entwerfen, nachdem die stimmenmäßige Basis dafür geschaffen werden konnte. Aber diese Beschwörungen klingen deklamatorisch, und Moskau ist ■ zu weit, als daß es in Frankreich eine Gruppierung nach dem Muster der SED erzwingen könnte. Jedenfalls kann man sich unter den gegebenen Voraussetzungen nur schwer vorstellen, daß Persönlichkeiten wie Frederic-Dupont, Guy Mollet, Mendes-France, Felix Gaillard und Maurice Faure gemeinsam mit der Kommunistischen Partei die Führung der Nation übernehmen könnten, zumal die Kommunisten nach ihrem Wahlerfolg fraglos sehr hohe Ansprüche stellen dürften. Der Weg von den „Oppositionen“, über die die Gauilisten in den letzten Wochen höhnten, zur „Opposition“ scheint noch weit. Realistischer ist die Überzeugung des Radikalsozialisten Felix Gaillard, der von der „Kristallisierung“ der Linkskräfte in den kommenden fünf Jahren spricht. Auch Guy Mollet, die markanteste Persönlichkeit unter den Sozialisten, scheint sich keine Illusionen zu machen. Er stellte nach den Stichwahlen lediglich fest, daß die Linksopposition an Zahl und Zusammenhalt gewachsen sei, während das Abbröckeln der Rechten — das sind in seinen Augen die Gaullisten — offensichtlich den Anfang vom Ende demonstriere.

Pierre Mendes-France schließlich, der unter dem Etikett der Linkssozialisten PSU und mit Unterstützung der Kommunisten (obwohl sie ihn im Wahlkampf bekämpften) in Grenöble den Sieg davontrug und damit nach neunjähriger Abwesenheit vom Parlament wieder in die Nationalversammlung einzieht, sieht, bei allem Vorbehalt, die Aussichten einer politischen Ablösung in Frankreich für gegeben.

Im Regierungslager werden zur Zeit Überlegungen über die Gründe der halben Niederlage angestellt, wobei die Uberzeugung vorherrscht, daß die prekäre Wirtschaftslage und die unbefriedigenden sozialen Verhältnisse das Gros der Wähler bewogen, dem General den Rücken zu kehren. Fraglos konnten spektakuläre Prestigemanifestationen und das Spiel mit der „Force de Frappe“ auf die Dauer die Augen der Massen nicht von Wohnungselend, Bildungskrise und hygienisch-sanitären Notständen ablenken. Der gaullistische Politiker Capitant hat bereits vor den Wahlen angedeutet, daß der General sich mit dem Gedanken eines „sozialen Referendnims“ trage. Sowohl die Äußerung de Gaulles im Fernsehen am Vorabend des ersten Wahlgangs, es bleibe noch viel, viel, viel zu tun, als auch ein öffentliches Mea culpa Pompidous in der Wohnungsfrage könnten als Vorläufer einer derartigen Absicht angesehen werden. Nach Capitant sollte das Referendum „die Teilnahme der Arbeiter an der Expansion“ beinhalten. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß ein derartiges Manöver angesichts des Wahlergebnisses beschleunigt durchgeführt wird, um den psychologischen Schock des 12. März wenigstens teilweise wieder aufzufangen.

Im Ausland sind Hoffnungen und Befürchtungen wach geworden. So berichtete die französische Presse aus Bonn und Rom, daß Aussichten einer auf Giscard d'Estaing und Lecanuet gestützten geschmeidigeren Europa-poliitik, nicht zuletzt dm der Frage des britischen Beitritts zur EWG, diskutiert würden, während den Amerikanern das Gespenst eines von Kommunisten beherrschten Frankreich vorschwebe. Von Paris aus gesehen, wirken derartige Spekulationen etwas grotesk, und man möchte davor warnen, den Gaullismus vorzeitig zu begraben, wie man es schon früher nach verlorenen Schlachten getan hat. Dagegen ist der Mythos des Nationalhelden in der Tat erschüttert worden. Es ist eine natürliche Erscheinung, daß sich ein Regime in acht Jahren verbraucht. Und fraglos stimmten viele Franzosen gegen den General, nicht weil sie mit dieser oder jener Alltagserscheinung unzufrieden waren, sondern weil sie eine Änderung herbeizuführen wünschten. De Gaulle hielt sich als „historische Persönlichkeit“ für tabu. Doch man wollte ihm zeigen — so schrieb in diesen Tagen ein Chronist —, daß sein Abenteuer das eines Mannes und nicht das eines Volkes war. Eines ist jedenfalls sicher — und das beweist besonders einleuchtend die Wahlniederlage „bedingungsloser Gaullisten“ von Rang und Namen: Der Gaullismus dürfte den General nicht überleben. Das Volk will den neuen Regierungsstil.

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